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"Er war schon damals eine Ikone"

Der "Zeit"-Autor Bartholomäus Grill schildert aus eigener Erfahrung den Umbruch in Südafrika mit dem Amtsantritt Nelson Mandelas am 10. Mai 1994. Schon bei seinem ersten Interview mit dem späteren Präsidenten sei Mandela eine Legende in Südafrika gewesen. Seiner Grundlinie, der politischen Versöhnung von schwarz und weiß, sei Mandela immer treu geblieben.

Moderation: Silvia Engels | 18.07.2008
    Silvia Engels: In Südafrika erreichen die monatelangen Feierlichkeiten heute ihren Höhepunkt. Zeitungskolumnen überbieten sich in Lobeshymnen, es erscheinen eine Sonderbriefmarke und eine Münze mit seinem Portrait. Die Rede ist von Nelson Mandela. Der Friedensnobelpreisträger mit keiner geringeren Lebensleistung als der, die friedliche Abschaffung der Apartheid in Südafrika wesentlich gestaltet zu haben, wird heute 90 Jahre alt. Am Telefon ist Bartholomäus Grill. Er war für die Wochenzeitung "Die Zeit" ab 1993 viele Jahre lang Südafrika-Korrespondent, seit 2006 ist er zurück in Berlin. Guten Morgen!

    Bartholomäus Grill: Guten Morgen!

    Engels: Erinnern Sie sich noch an Ihre Stimmung in Südafrika unter Präsident Mandela, als Sie dort Ihre Korrespondententätigkeit aufnahmen?

    Grill: Ja natürlich, sehr gut sogar. Ich kam 1993 nach Südafrika, also ein Jahr vor den ersten demokratischen Wahlen. Die Stimmung war damals gemischt, weil viele Südafrikaner nicht so recht wussten, was auf sie zukam. Bei den Weißen war es eher Skeptizismus, Pessimismus, bei den Schwarzen bahnte sich aber schon diese Euphorie an, die dann im Wahljahr 1994 geradezu überwältigend war und die uns natürlich auch sehr angesteckt hat.

    Engels: Damals war Nelson Mandela ein sehr bekannter und sehr geachteter ehemaliger Gefangener, aber er war noch nicht die Ikone, die er heute ist. Wie haben Sie ihn damals als Mensch und Politiker erlebt?

    Grill: Als Politiker ganz großartig, weil er von Anfang an seine politische Versöhnung, die Grundlinie seiner Politik verkündet und auch durchgehalten hat - die gesamte Amtszeit hindurch. Er war in Südafrika als berühmtester Gefangener der Welt, als Projektions- und Führungsfigur des Widerstands natürlich ohnehin ein Titan und damals schon eine Art Ikone, zu der er dann später auch international wurde.

    Engels: Nelson Mandelas gesamte Lebensleistung vergleichen Sie in der "Zeit" mit der eines Mahatma Ghandi oder eines Martin Luther Kings. Man muss folglich seine Jahrzehnte währende Arbeit würdigen. Aber dennoch fällt Ihnen eine ganz besondere Tat, eine Rede, eine symbolische Geste ein?

    Grill: Zuallererst fällt mir immer ein das Interview, das ich mit ihm geführt habe, das ist ja ein besonderer Höhepunkt im Leben eines Afrika-Korrespondenten, mit Nelson Mandela zu sprechen. Als er mir gegenüberstand und seine kräftige Maurerhand gab und schüttelte und das Interview begann, fiel mir vor Verlegenheit die erste Frage nicht ein. Also ich bin regelrecht erstarrt vor diesem Mythos Mandela. Er hat aber dann meine Verlegenheit geholfen sie zu überwinden, indem er selber die erste Frage stellte und sagte: Wie alt war eigentlich Adenauer, als er Bundeskanzler wurde? Das wusste ich damals natürlich nicht so genau, aber das hat sozusagen die Stimmung entspannt, und es war dann ein ganz wunderbares Interview.

    Engels: In der "Zeit" schreiben Sie auch über das Phänomen Nelson Mandela, seine besondere Magie bestehe darin, eine Projektionsfläche zu sein für die ganze Welt, für die Welterwartung. Haben Sie das auch in diesem Interview gespürt, hatte er diese besondere Ausstrahlung, hat er sie noch?

    Grill: Ja, er hatte diese Ausstrahlung damals, er hat sie heute noch. In diesem Interview ging es eher um Detailfragen. Es ging zum Beispiel darum, wie gefährdet war die ganze Wende zum Beispiel durch weiße Vertreter der Apartheid oder auch weiße Rechtsradikale, die mit allen Mitteln verhindern wollten, dass diese Wende, diese Demokratisierung stattfindet. Und Mandela hat damals betont, dass es Spitz auf Knopf stand und dass durchaus auch die Situation eines Staatsstreichs eintreten hätte können, dass es zu einem Bürgerkrieg hätte kommen können. Umso größer sein historisches Verdienst, dass er durch seine ausgleichende Kraft und durch seine Versöhnungspolitik die Gemüter beruhigt hat und das Land ganz wunderbar in die Demokratie geführt hat.

    Engels: Hat denn Nelson Mandela irgendwelche Schwächen, oder ist unter dem Mythos der Mensch Nelson Mandela längst verloren gegangen?

    Grill: Nein, er hat sicher auch seine Schwächen, er ist ja nicht nur ein Mythos und eine Ikone, sondern auch ein Mensch. Man sagt ihm einen gewissen Starrsinn nach, vielleicht auch Altersstarrsinn. Er hat am Anfang das Problem HIV/Aids nicht in seiner ganzen Dimension und in seiner Wucht und in seinen katastrophischen Auswirkungen erkannt, hatte aber die Größe im Gegensatz zum jetzigen Präsidenten Thabo Mbeki, einen Irrtum einzugestehen und zu korrigieren, und ist heute einer der großen Mahner und Kämpfer gegen die Seuche HIV/Aids.

    Engels: Man fragt sich ja, wie es sich als Ikone lebt. Was erhält ihn aufrecht, was lässt ihn andererseits aber auch nie überheblich erscheinen?

    Grill: Ich glaube, jetzt erhält ihn aufrecht das kleine Glück, das kleine Glück des Großvater-Daseins, das Sitzen im Garten, das Spielen mit den Enkeln, das, was er sich immer gewünscht hat, das, was ihm über Jahrzehnte entzogen wurde. Er wurde von seiner Familie isoliert, er konnte seine Kinder eben nicht erleben, wie sie aufwuchsen. Ich glaube, dass er das sehr genießt, dass er auch eigentlich in Ruhe gelassen werden will und dass ihm das alles auch zu viel wird, die ganze globale Party, die jetzt läuft.

    Engels: Herr Grill, schauen wir noch einmal in die Gegenwart. Vor einigen Monaten erlebten wir die Gewaltausbrüche in Südafrika gegen Zuwanderer, da warnte mancher davor, das Lebenswerk Mandelas könne noch vor dessen Augen zerfallen. Warnen Sie auch?

    Grill: Also ich bin nicht mehr ganz so optimistisch, wie ich schon mal war. Andererseits finde ich die Berichte, die uns jetzt erreichen aus Südafrika, maßlos übertrieben. Ein Phänomen von Rudeljournalismus. Eine Berliner Zeitung hat neulich die Schlagzeile verbreitet, "Musterland ist abgebrannt". Das sind so apokalyptische Untertöne, die mit der Realität nichts zu tun haben. Die Realität ist komplizierter. Südafrika steckt in einer ernsten Krise, es hat vor allen Dingen eine Führungskrise. Der Präsident Thabo Mbeki ist schwach, die Nachfolgefrage ist offen. Der Grundfehler ist, dass man Probleme leugnet, ignoriert, nicht anpackt. Das gilt für HIV/Aids, das gilt für das Simbabwe-Problem, das gilt für Energiefragen, das gilt für die Herausforderung im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft 2010. Und da würde man sich manchmal wünschen, dass ein Mann wie Nelson Mandela noch Präsident wäre.

    Engels: Wie sehr kann denn Nelson Mandela auf die jetzigen Führer des ANC noch Einfluss nehmen und wie sehr will er es noch?

    Grill: Er hat ja neulich sich eindeutig zu den Verhältnissen in Simbabwe im Nachbarland geäußert, aber ich glaube, er will sich doch aus der aktiven Politik zurückziehen. Es ist nun an der Nachfolgegeneration, die Geschicke des Landes zu lenken. Und ich finde, man sollte ihn auch jetzt unbehelligt lassen.

    Engels: Was wünschen Sie ihm zum 90. Geburtstag?

    Grill: Ich wünsche ihm, dass er in zwei Jahren den Anstoß bei der Fußballweltmeisterschaft macht.

    Engels: Herzlichen Dank, Bartholomäus Grill, langjähriger Korrespondent der Wochenzeitung "Die Zeit" in Südafrika. Vielen Dank für das Gespräch!

    Grill: Danke Ihnen!