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Er wollte ein ewiges Rätsel bleiben

Am 13. Juni 1886 barg man den Leichnam von König Ludwig II. von Bayern. War es Selbstmord? Ist der "Märchenkönig" im Starnberger See ertrunken oder wurde er gar auf der Flucht erschossen? Noch immer sind Historiker, Kriminologen und Amateure damit beschäftigt, die damaligen Todesumstände zu rekonstruieren.

Von Jürgen Bräunlein | 13.06.2011
    Kronprinz Ludwig der Zweite war erst 18 Jahre alt, als er aus den Hörsälen der Universität München gerissen wurde, um die Stelle des plötzlich verstorbenen Vaters, König Maximilian der Zweite von Bayern, einzunehmen. Von Beginn an machte Ludwig als Herrscher eine unglückliche Figur. Als in seinem dritten Regierungsjahr der so genannte Deutsche Krieg ausbrach, in dem Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland stritten, dachte der Jungmonarch zum ersten Mal daran, abzudanken. Gegen Ludwigs Willen hatte der Bayerische Ministerrat einstimmig beschlossen, Österreich beizustehen und bayerische Truppen aufs Schlachtfeld zu schicken. Bayern unterlag. Als König Wilhelm der Erste von Preußen 1871 in Versailles zum Kaiser des Deutschen Reiches ausgerufen wurde und Bayern damit seine Souveränität vollständig verloren hatte, war Ludwigs Interesse an der Politik endgültig erloschen.

    Viel lieber als seinen Repräsentationspflichten nachzukommen, hörte der König Richard Wagners Opern, frönte dem Schönheitskult und baute märchenhafte Schlösser, die immer mehr Geld verschlangen. Im Frühjahr 1886 beantragte er beim Landtag eine Staatsanleihe. Zu spät: Professor Bernhard von Gudden, ein namhaften Psychiater seiner Zeit, hatte bereits ein Gutachten erstellt, dass den spleenigen Herrscher für geisteskrank erklärte. Am 9. Juni 1886 wurde Ludwig offiziell entmündigt. Auf Schloss Neuschwanstein, wo sich der König gerade aufhielt, sollte er in Gewahrsam genommen werden. Doch er verbarrikadierte sich, die Kommission musste umkehren. Beim zweiten Versuch am 11. Juni 1886 erschien Professor von Gudden mit fünf "Irrenwärtern" und ließ den König im Auftrag der Bayerischen Regierung festnehmen. Ludwig protestierte.

    "Wie können Sie mich für geisteskrank erklären, Sie haben mich ja gar nicht vorher angesehen und untersucht?"

    In einer eigens für ihn präparierten Kutsche - im Inneren fehlten die Türgriffe, am Boden waren Fußfesseln angebracht - wurde der König nach Schloss Berg, seiner Sommerresidenz am Ostufer des Starnberger Sees, geschafft. Dort nahm Ludwig am Nachmittag des 13. Juni ein mehrgängiges Menü ein, bei dem auch reichlich Alkohol floss. Um 18 Uhr brach er mit dem Psychiater zu einem Abendspaziergang auf. Vier Stunden später fand man beide Männer 16 Meter vom Ufer entfernt im Starnberger See - tot.

    "Dass man mir die Krone nimmt, könnte ich verschmerzen, aber dass man mich für irrsinnig erklärt hat, überlebe ich nicht."

    Trotz dieser Äußerung kurz vor seinem Tod ist es unwahrscheinlich, dass Ludwig freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Hätte sich der Monarch wirklich umbringen wollen, hätte er in den Tagen vor der Verhaftung weitaus bessere Gelegenheiten dazu gefunden, wusste er doch, dass man ihn im Visier hatte. Zudem war er ein guter Schwimmer. Plausibler erscheint eine andere Version: Ludwig lieferte sich einen mörderischen Zweikampf mit dem Psychiater. Tatsächlich wies dessen Leichnam Kampfspuren auf. Doch woran starb dann der König? Der Sektionsbefund gab weder Hinweise auf Tod durch Ertrinken noch auf einen Herzinfarkt. Jedoch: Ludwig hatte schon lange gefürchtet, man wolle ihn töten.

    "Ja, es ist doch sehr leicht, einem Menschen ein Mittel in die Suppe zu schütten, dass er nimmer erwacht."

    Die Mordtheorie gilt heute als sehr wahrscheinlich. Demnach wäre der König, der mit einem Fischerboot entwischen wollte, beim Fluchtversuch erschossen worden. Tatsächlich patrouillierten zur vermeintlichen Tatzeit bewaffnete Gendarmen im Park des Schlosses. Zudem gibt es die eidesstattliche Erklärung einer Zeugin, die Ludwigs Königsmantel mit zwei Einschusslöchern gesehen haben will. Dummerweise ist das Beweisstück verschwunden.

    "Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen..."

    hatte Ludwig der Zweite in Anspielung auf Schillers "Braut von Messina" an die Schauspielerin Marie Dahn-Hausmann geschrieben. Zumindest in einem sind sich die Historiker heute einig: Die Entmündigung des Königs, seine Sicherheitsverwahrung und die Einsetzung seines Onkels Prinz Luitpold als Nachfolger waren gesetzeswidrig.