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Erbgut in den Zellen
Vom An- und Abschalten der Gene

1962 erhielten James Watson und Francis Crick den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung der DNA-Molekularstruktur. Demnach verschlüsseln vier organische Basen den genetischen Code. Doch die Realität ist komplexer: Forscher aus München haben mehr Basen in den Zellkernen ausgemacht - und untersuchen deren Funktionen im Körper.

Von Arndt Reuning | 11.12.2017
    Dreidimensionales Modell einer DNA
    Dreidimensionales Modell einer DNA (imago/Westend61)
    A, T, G, C: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Das sind die vier Buchstaben des Lebens. Die Basen, aus denen sich die Desoxyribonukleinsäure, die DNA, zusammensetzt. Zu finden in jedem Zellkern des Körpers, denn schließlich birgt das Kettenmolekül den Bauplan des Organismus. So steht es in jedem Lehrbuch der Genetik.
    "Ja, und das stimmt eben nicht ganz. Es sind vier Basen, die bilden die Sequenzinformation, das ist völlig richtig. Aber wenn Sie sich einen komplexen Organismus anschauen, der hat ja ganz unterschiedliche Zellen. Also wir Menschen zum Beispiel, wir haben Nervenzellen, wir haben Hautzellen. Und die sind ja alle unterschiedlich."
    Und deshalb, so schlussfolgert Thomas Carell von der Ludwig-Maximilians-Universität München, muss auch das Erbgutmolekül in Nervenzellen anders aussehen als in Hautzellen. Je nach Art des Gewebes sind unterschiedliche Abschnitte auf der DNA aktiv oder eben blockiert. Das geschieht dadurch, dass manche der Basen im Lauf der Zellentwicklung chemisch verändert werden.
    "Wir sprechen von dem, was das Genom programmiert, was quasi einer Nervenzelle sagt: Die und die und die Gene sind für dich wichtig, die musst du schön ablesen. Und dieses An- und Abschalten der Gene, das führt eben dazu, dass es unterschiedliche Zelltypen gibt."
    Genaue Funktion des Methylcytosins noch nicht erforscht
    Im Körper von Menschen ist es nahezu ausschließlich die Base Cytosin, die umgewandelt wird. Enzyme heften ihr den wohl einfachsten organischen Molekülzweig an, die Methylgruppe. Und so entsteht aus Cytosin das Methylcytosin. Es gilt als die fünfte DNA-Base und wurde bereits vor über einhundert Jahren in Bakterien entdeckt. Die genaue Funktion des Methylcytosins im menschlichen Körper ist noch Gegenstand aktueller Forschung, aber eines dürfte klar sein:
    "Die Methylgruppe, die schaltet das Gen ab. Das heißt, wenn das Cytosin methyliert ist in bestimmten Bereichen im Genom, dann wird das Gen nicht mehr abgelesen. Es ist dann still gelegt. Und diese Methylgruppe ist der Natur offenbar immer das Maß der Dinge, wenn es darum geht, da etwas zu regulieren."
    Ganz so einfach ist die Sache jedoch nicht: Denn im Jahr 2009 entdeckten zwei Forschergruppen in den USA eine sechste Base, das Hydroxymethylcytosin, eine oxidierte Form des Methylcytosins. Die Base ist offenbar mehr als ein einfacher Schalter für Gene, der nur von AN auf AUS wechselt.
    "Man hat ja noch nicht so sehr lange dran gearbeitet, aber wir glauben, dass das Hydroxymethylcytosin das Gen in einen sehr aktiven Zustand zurückschaltet. Also Cytosin wäre dann 'an', Methylcytosin wäre 'aus', und Hydroxymethylcytosin wäre dann vielleicht etwas wie 'super-an', also ein sehr starker Anschaltprozess."
    Eine zentrale Rolle beim Schalten der Gene scheint Sauerstoff zu spielen. Er kann die Methylgruppe wieder komplett entfernen und somit die Gene reaktivieren. Gestützt wird diese These durch eine Beobachtung an Krebszellen: In ihnen sind bestimmte Anti-Tumor-Gene durch Methylgruppe am Cytosin stumm geschaltet. Könnte der Körper diese Erbanlagen wieder aktivieren, dürfte so das Wachstum des Tumors gestoppt werden. Doch in diesem kranken Gewebe mangelt es an Sauerstoff. Und so bleiben die Anti-Tumor-Gene stumm. Seine Grundlagenforschung, so Thomas Carell, liefere zumindest einen Ansatz für eine Therapie gegen Krebs.
    "Das wird immer wieder diskutiert, dass man sagt: Wir geben Substanzen, die Sauerstoff freisetzen. Das ist in der Tat etwas, was angedacht wird. Grundsätzlich unterscheidet sich ein Tumor ja von einer normalen Zelle hauptsächlich durch einen anderen Metabolismus. Und da einzugreifen, ist im Moment wieder sehr aktuell."
    Die siebte Base jenseits des DNA-Modells von Watson und Crick
    Eine wahrscheinlich funktionslose Zwischenstufe für die komplette Entfernung der Methylgruppe hat Thomas Carell auch bereits entdeckt, das Formylcytosin. Und das ist damit die siebte Base jenseits des DNA-Modells von Watson und Crick. Dass es gerade das Cytosin ist, das die chemischen Veränderungen beim Menschen trägt, dürfte evolutionäre Gründe haben. Denn in der Domäne der Bakterien sieht es ganz anders aus: Hier wird die DNA-Base Adenin mit Methylgruppen versehen. Manche Experten berichten, dass sie diese Variante sogar bei höheren Lebewesen gefunden habe, etwa bei Algen, Fadenwürmern und Fliegen.
    Thomas Carell hat in den Zellen von Mäusen nach Spuren von Methyladenin gefahndet und ist nicht fündig geworden. Er möchte daher nicht ausschließen, dass seine Kollegen bloß eine Verunreinigung mit Bakterien-DNA nachgewiesen haben.