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Erbkrankheiten
Krankheitsgene machen nicht immer krank

Bei Erbkrankeheiten wie Mukoviszidose oder der Bluterkrankheit ist ein einzelner Gendefekt für die Krankheiten verantwortlich. Bei Nachweis dieses Defekts tritt die Krankheit auch auf. Das gilt aber nicht immer. Forscher haben Personen gefunden, die den typischen Gendefekt in ihrem Genom aufwiesen, ohne krank zu sein.

Von Michael Lange | 12.04.2016
    Ein Wissenschaftler bei Sereno untersucht unter UV-Licht einen Gentest. Auf einer Gelelektrophoreseplatte sind einzelne Streifen zu erkennen.
    Ein Wissenschaftler untersucht eine Gelelektrophoreseplatte unter UV-Licht (picture-alliance/ dpa / Keystone Laurent Gillieron)
    Immer mehr Gesunde wollen einen Blick in ihre Erbinformation erhalten. Allein die Firma "23 and me" besitzt exakte Genom-Informationen hunderttausender Kunden. Diese riesige Datenmenge haben Forscher aus den USA nun genauer untersucht. Die Genomdaten stammen von mehr als einer halben Million Menschen. Die Analysen wurden ursprünglich zu anderen Zwecken durchgeführt, aber von den Untersuchten der Wissenschaft zur Verfügung gestellt, allerdings in anonymisierter Form.
    Die US-Forscher haben in dem gewaltigen Datenhaufen nun nach Gendefekten für monogenetische Krankheiten gesucht – und zwar solchen, bei denen ein einzelnes defektes Gen normalerweise zu einer Totgeburt führt, zu einer Behinderung oder zu einer schweren Krankheit wie Mukoviszidose . Und sie sind fündig geworden. Sie haben in den Genom-Daten gesunder Menschen Gen-Defekte entdeckt, die eigentlich dort nicht auftreten dürften.
    "Wir haben bei den 500.000 Personen 13 Träger dieser Gendefekte gefunden, die keine Krankheit entwickelt hatten, obwohl sie eigentlich krank sein müssten", erklärt Stephen Friend, Direktor von SAGE-Bionetworks in Seattle, der Leiter der Studie.
    Gibt es einen Schutzfaktor?
    Ein Gentest hätte bei diesen gesunden Personen fälschlicherweise eine Krankheit prognostiziert. Markus Nöthen vom Institut für Humangenetik sieht darin jedoch kein Problem für die Gentest-Praxis. Er war nicht an der Studie beteiligt.
    "Diese Untersuchung stellt dieses Konzept gar nicht in Frage, weil die Vorhersage, dass eine Krankheit auftritt, ob sie jetzt 99 Prozent oder hundert Prozent ist, das macht in der Praxis überhaupt keinen Unterschied. Denn hier möchte man nur diese ganz seltenen Situationen identifizieren, wo eine Mutation überraschender Weise nicht zur Krankheit führt."
    Die Wissenschaftler wüssten nur zu gerne: Gibt es einen Schutzfaktor oder einen Gegenspieler, der irgendwie verhindert, dass krankmachende Gene ihre Wirkung entfalten, so Stephen Friend.
    "Einige Schutzfaktoren sind im Erbgut dieser Personen versteckt, andere könnten von der Umwelt oder vom Verhalten der Betroffenen abhängen. Indem wir die gesunden Träger der Gendefekte genauer untersuchen, können wir Schutzfaktoren ermitteln und neue Therapien entwickeln."
    Genträger sind unbekannt
    Aber die Sache hat einen Haken. Die Spender der Geninformation haben die Untersuchungen eigentlich zu anderen Zwecken durchführen lassen. Sie haben zwar formell der Verwendung ihrer Daten zu Forschungszwecken zugestimmt, aber unter der Voraussetzung, dass die Daten anonymisiert wurden. Eine Rückverfolgung ist also nicht möglich, und auch nicht erlaubt. Die Forscher wissen also nicht, wer die 13 Personen sind, die ein krankmachendes Gen in sich tragen, ohne krank zu sein.
    Der Bonner Humangenetiker Markus Nöthen sieht darin eine entscheidende Beschränkung:
    "Das ist auch eine Limitation dieser Studie, dass man wegen des Studien-Designs, der ursprünglichen Planung der Studie, die ja zu ganz anderen Zwecken gemacht wurde, nicht zu den Probanden zurückgehen konnte – damit auch nicht beweisen konnte, dass der einzelne Proband wirklich keine Krankheit hat."
    Da die einzelnen Genträger unbekannt sind und bleiben werden, lässt sich das Ergebnis nicht überprüfen. Die Betroffenen können nicht näher untersucht werden. Die besonderen Schutzfaktoren – so sie denn existieren – bleiben unbekannt.