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Erbschaftssteuer auf dem Prüfstand
Der Mittelstand bangt um seinen Vorteil

Betriebe können zu 85 Prozent steuerfrei übertragen werden, wenn der Nachfolger die Firma mindestens fünf Jahre fortführt. Der Bundesfinanzhof hält diese Vorschriften im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht für verfassungswidrig. Nun befasst sich das Verfassungsgericht mit dem Thema.

Von Constanze Elter | 08.07.2014
    Mehrere Geldscheine im Wert von 5, 10, 20 und 50 Euro liegen durcheinander.
    Sollte das Bundesverfassungsgericht die derzeitigen Steuervorteile kippen, befürchten vor allem kleine Familienbetriebe mit wenig Liquidität große Nachteile. (dpa / Stephan Persch)
    Eine schmale, enge Einbahnstraße hinter dem Kölner Hauptbahnhof. Die Häuser hier sind älter, teilweise etwas heruntergekommen. Da fällt das viergeschossige Glasbauwerk umso mehr auf, in dem sich die alten Backstein-Häuser der gegenüberliegenden Straßenseite spiegeln.
    Dass in diesem modernen Bürogebäude ein mittelständischer Betrieb für Berufskleidung gelenkt wird, macht sich erst im lichthellen Treppenhaus bemerkbar: Durch Glastüren fällt der Blick auf die Muster-Näherei von BP Bierbaum Proenen. Hier entwerfen Näherinnen die Modelle für die Produktion.
    Schaufenster-Puppen sind mit der neuesten Kollektion für Handwerker und Ärzte ausstaffiert. Alles wirkt sehr modern – sehr trendy, wie es der Geschäftsführer Matthias Goost gern nennt. Der groß gewachsene Mann trägt beigefarbene Jeans und Sakko, dazu eine randlose Brille. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder hat der 49-Jährige vor kurzem das Unternehmen von seinen Eltern übernommen. Das sei ohnehin geplant gewesen, sagt Goost.
    "Meine Eltern hatten schon lange vor, uns das Unternehmen zu übertragen. Aber das ist auch Arbeit, da müssen Verträge geschlossen werden. Das war uns gar nicht so eilig. Aber durch das anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das einfach offen ist, hat uns dann zur Beschleunigung geführt, sodass wir den Übergang jetzt schon durchgeführt haben."
    Derzeit wird das Vererben den Unternehmen – zumindest steuerlich betrachtet – leicht gemacht: Betriebe können zu 85 Prozent steuerfrei übertragen werden, wenn der Nachfolger die Firma mindestens fünf Jahre fortführt. Bei Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern darf zusätzlich eine bestimmte Lohnsumme nicht unterschritten werden. Wer das Unternehmen länger in der Hand hält, kann als Nachfolger unter strengeren Voraussetzungen sogar damit rechnen, gar keine Erbschaftsteuer zu zahlen. Der Bundesfinanzhof hält diese Vorschriften im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht für verfassungswidrig. Heute hat sich das Bundesverfassungsgericht erstmalig mit dem Thema befasst. Eine Entscheidung soll bis zum Herbst fallen. Möglicherweise kippen die Karlsruher Richter dann die großzügigen Steuervorteile für Unternehmen.
    Die Firma BP hat von diesen Vergünstigungen noch profitiert. Das Unternehmen arbeitet vor allem mit Textildienstleistern zusammen. Unternehmen, die Berufskleidung an Einzelhandel und Industrie vermieten, neue Mitarbeiter einkleiden, Kleidungsstücke waschen, reparieren und anpassen. Berufskleidung für Köche oder Apotheker, Arbeitshosen und Overalls für Handwerker, Schutzkleidung für Bauarbeiter oder Schweißer. Schick und trotzdem zweckmäßig, so der eigene Anspruch. Models präsentieren die Kleidung in Hochglanzkatalogen, im Online-Shop können Kunden direkt bestellen. Man geht mit der Zeit, auch als alteingesessener Kölner Familienbetrieb mit über 225-jähriger Tradition:
    "Das Unternehmen hat angefangen mit den sogenannten Blaumännern. Das war überwiegend blaue Berufskleidung für Industriearbeiter. Man hatte ja zu den damaligen Zeiten oft den Sonntagsanzug. Man brauchte einfach Arbeitskleidung."
    Wettbewerbsdruck führt zu Produktionsverlagerung
    Ein Unternehmen mit wechselvoller Geschichte: Arbeiteten in den 1970er-Jahren noch mehr als 1000 Mitarbeiter in Deutschland, zwang der Wettbewerbsdruck das Unternehmen dazu, Stück für Stück die komplette Produktion ins Ausland zu verlagern. Heute sind am Kölner Standort etwas mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigt – neben Bürokaufleuten zahlreiche Näherinnen, die Namensschilder einnähen oder Stoffmuster an großen Maschinen zuschneiden.
    Laboranten testen Stoffe auf ihre Belastbarkeit, auf Hitzebeständigkeit – und auch darauf, wie leicht die Stoffe flusen. Moderne Büroflure wechseln sich ab mit kleineren Produktionshallen. Riesige Stoffrollen in allen Farben sind in Regalen gestapelt, Nähmaschinen stehen hintereinander auf kleinen Tischchen aufgereiht. Sichere Arbeitsplätze – so scheint es; außerdem bildet das Unternehmen mehrere junge Leute aus.
    Ob die Firma genauso investiert und Arbeitsplätze erhalten hätte, wenn es die Befreiungen bei der Erbschaftsteuer nicht geben würde, weiß niemand. Rainer Kambeck leitet beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag den Bereich Finanzen und Steuern. Er ist davon überzeugt, dass die Erbschaftsteuer, die als Schenkungsteuer auch bei Übertragungen zu Lebzeiten gezahlt werden muss, einen erheblichen Eingriff in den Unternehmensalltag darstellt:
    "Das kennzeichnet ja die Familienbetriebe, dass sie eben keine großen liquiden Vermögen außerhalb des Betriebsvermögens haben, sondern dass sie fast alles in ihr Unternehmen stecken. Da ist es so, dass jede größere Steuerzahlung für Probleme sorgt. Wenn die Liquidität nicht da ist, geht es in die Substanz. Wir haben ganz oft die Rückmeldung, dass die Eigentümer-Strukturen sich zum Teil ändern. Da zeigt der Alltag in den Betrieben, dass die Verwerfungen sehr viel größer sind als das von der Politik oder von dem einen oder anderen Finanzwissenschaftler angenommen wird."
    Regelmäßig ist das deutsche Erbschaftsteuerrecht in den vergangenen Jahrzehnten reformiert worden. Und ebenso regelmäßig stellten Gerichte die neuen Gesetze in Frage. Erbschafsteuer mit Verfallsdatum?
    Das Bundesverfassungsgericht weist den Gesetzgeber darauf hin, dass die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nur erfüllt ist, wenn zeitnahe Werte, die den realen Werten nahekommen, der Besteuerung zu Grunde gelegt werden.
    Das Bundesverfassungsgericht erklärt die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für Grundstücke und andere Vermögen für nicht verfassungskonform. Das Gericht fordert eine gleichmäßige Belastung.
    Auch die Neuregelung findet in Karlsruhe keinen Anklang. Das Bundesverfassungsgericht verwirft die Bewertungsregeln des reformierten Erbschaftsteuerrechts. Die Richter machen einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes aus.
    Der Bundesfinanzhof hält die in der Reform festgeschriebenen, weitgehenden Steuervergünstigungen für Betriebe für nicht ausreichend gerechtfertigt - und damit für ein verfassungswidriges Privileg. Erneut wird das Erbschaftsteuergesetz per Vorlagebeschluss nach Karlsruhe geschickt.
    Aus Sorge, das Bundesverfassungsgericht könnte das aktuelle Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz nun wieder einmal kassieren, haben zahlreiche Unternehmen in der jüngsten Vergangenheit von den Steuerfreibeträgen Gebrauch gemacht. Im aktuellen Verfahren baten die Karlsruher Richter das Bundesfinanzministerium um Zahlen, die heute in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht präsentiert wurden. Der Bochumer Steuerrechtler Professor Roman Seer erläutert die Daten:
    "Es ist schon ganz interessant, wie sehr jetzt die Inanspruchnahme vor allem bei Schenkungen von diesem Freibetrag zugenommen hat. Es hat zugenommen von ursprünglich mal in 2009 57 Fällen auf mittlerweile 5645 Fälle. Und die Masse davon sind Schenkungen – also vorweggenommene Erbfolgen - mit 4944 Fällen in dem Jahr 2012 und immerhin einem Wertvolumen von 35 Milliarden. Wenn man diese 35 Milliarden nun nur mit 15 Prozent überhaupt erst ansetzt und darauf die Steuer erhebt, dann ist an sich das Erbschaftsteueraufkommen auf dieses Betriebsvermögen recht gering. Es ist sicherlich dadurch ein Steuerausfall von mehreren Milliarden."
    Steuervergünstigungen gibt es im Erbschaftsteuerrecht aber auch noch andere: etwa die hohen Freibeträge für Ehegatten, eingetragene Lebenspartner und Kinder oder die Steuerfreiheit für selbst genutztes Wohneigentum unter bestimmten Bedingungen.
    Klientelpolitik oder Entscheidung zugunsten des Allgemeinwohls? Interpretationsspielraum bleibt. Der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Carsten Kühl, koordiniert die SPD-geführten Länder im Bundesrat. Er hält die Erbschaftsteuerreform der letzten großen Koalition nach wie vor für praxistauglich:

    Carsten Kühl (SPD), Finanzminister von Rheinland-Pfalz.
    Carsten Kühl (SPD) ( Maurizio Gambarini/dpa)
    "Das sind subjektive Entscheidungen. Es geht um Gleichbehandlung. Gleichbehandlung hat was mit Verteilungs-, mit einer Gerechtigkeitsentscheidung zu tun. Da muss der Gesetzgeber einen relativ großen Gestaltungsspielraum haben. Aber auf der anderen Seite hat auch ein Verfassungsgericht das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob das mit Artikel 3 des Grundgesetzes, nämlich dem Gleichbehandlungsgrundsatz, vereinbar ist."
    Im Koalitionsvertrag halten sich die Regierungsparteien auf Bundesebene bewusst bedeckt. Lediglich an zwei Stellen wird die Erbschaft- und Schenkungsteuer kurz erwähnt.
    "Unternehmensnachfolge soll auch künftig durch die Erbschaftsbesteuerung nicht gefährdet werden. Notwendig ist daher eine verfassungsfeste und mittelstandsfreundlich ausgestaltete Erbschafts- und Schenkungsteuer, die einen steuerlichen Ausnahmetatbestand bei Erhalt von Arbeitsplätzen vorsieht."
    In seiner Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht wurde das Bundesfinanzministerium daher deutlich:
    "Der Gesetzgeber muss befugt sein in Verfolgung hinreichender Gemeinwohlgründe Verschonungsregelungen vorzusehen, auch wenn diese zu einer vollständigen Verschonung bestimmter Vermögensarten führen."
    Unter Finanzwissenschaftlern ist allerdings umstritten, ob ein Wegfall der hohen Freibeträge überhaupt derartig einschneidende Auswirkungen auf den Mittelstand hätte. Professor Ralf Maiterth von der Humboldt-Universität Berlin:
    "Empirische Studien, die wir durchgeführt haben, zeigen eben, dass nur relativ wenige Unternehmen von einer Erbschaftsteuerreform, die keine Begünstigung, keine Steuerfreistellung von Unternehmensvermögen beinhaltet, tatsächlich liquiditätsmäßig stark belastet werden. Der Hintergrund ist, dass in sehr vielen Fällen neben dem Unternehmensvermögen noch weiteres Vermögen übertragen wird. Also dass gar nicht das Unternehmensvermögen selbst herangezogen werden muss zur Steuerzahlung, sondern Bargeld, Bankeinlagen, Immobilien vererbt werden zusammen mit Unternehmensvermögen."
    Steuerrechtler wie Maiterth fordern daher, privates und betriebliches Vermögen gleich zu behandeln – und gegebenenfalls die Steuersätze zu senken.
    "Bei unseren Studien ging es immer darum, das jetzige Aufkommen, das behalten wir bei und was haben wir dann an Steuersatzsenkungspotenzial. Das ist erheblich, wenn wir keine Ausnahmen mehr haben. Und deswegen haben wir auch kaum unternehmensgefährdende Effekte, weil Sie dann eben deutlich niedrigere Steuersätze hätten. Sie könnten die Steuersätze um 50 Prozent senken, also auf die Hälfte des jetzigen Niveaus."
    Aufkommen der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei 4,63 Milliarden Euro
    Für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die derzeitigen Vorschriften kippt, halten viele Experten es für die beste Variante, die Erbschaftsteuersätze allgemein zu senken. Unternehmen würden dann zwar keine Steuervergünstigungen mehr in Anspruch nehmen können, aber von den niedrigeren Steuersätzen profitieren. Die Politik jedoch möchte die Ausnahmen für Betriebe festschreiben. Auch die Einnahmequelle Erbschaftsteuer als solche soll den Ländern erhalten bleiben. Und das, obwohl das Aufkommen der Erbschaft- und Schenkungsteuer derzeit bei lediglich 4,63 Milliarden Euro liegt.
    Die Statistiken verzeichnen zwar einen Anstieg im Vergleich mit den Vorjahren. Jedoch macht die Erbschaftsteuer immer noch nur ein Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Zudem ist das Aufkommen über die Bundesländer recht unterschiedlich verteilt: In Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern bringt die Erbschaftsteuer am meisten ein. In Ostdeutschland spielt sie dagegen – mit Ausnahme von Berlin – kaum eine Rolle.
    Dazu kommt, dass der Aufwand für die Steuer sowohl beim Finanzamt als auch beim Steuerpflichtigen recht hoch ist: Ist es bei Bargeld oder Aktien noch einfach, Vermögen zu bewerten, stellt sich das Ganze bei einem Grundstück oder einem Betrieb schon sehr viel schwieriger dar. Der Bund der Steuerzahler, der das aktuelle Verfahren bis vor den Bundesfinanzhof gebracht hat, ist daher grundsätzlich dafür, die Erbschaftsteuer abzuschaffen. Eine Forderung, die politisch kaum durchsetzbar sein dürfte. Trotzdem mahnt Katharina te Heesen, Justiziarin beim Bund der Steuerzahler NRW, dass die Erbschaftsteuer für die Steuerzahler aufwendig und teuer sei:
    "Ich hab viele Leute, die anrufen, 'Wie mach ich das denn jetzt, ich hab hier ein Häuschen, wie wird das bewertet?' Dann müssen Sie erst mal einen Gutachter beauftragen, einen privaten Gutachter, den müssen Sie selbst bezahlen, um dann den Wert des Hauses feststellen lassen zu können. Und das sind ziemlich hohe Kosten für den Steuerzahler, das ist alles sehr aufwendig."
    Denn auch das Finanzamt muss Erbschaften und Schenkungen bewerten, Gutachten einholen, die Geld kosten. Es gibt zwar keine aktuelle Statistik über den Verwaltungsaufwand der Erbschaftsteuer, sondern lediglich Schätzungen. Dass die Kosten allerdings auch für den Staat nicht unerheblich sein dürften, zeigt ein Experiment der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland. Der SPD-Politiker Carsten Kühl:
    "Wir haben uns als erstes Bundesland mit dem Saarland verabredet, dass wir solche Steuern, die in kleinerem Maße anfallen, die hochgradig aber spezialisiert sind, dass wir die zukünftig gemeinsam erheben. Kurzum: Das Land Rheinland-Pfalz hat sich entschieden, dass die Erbschaftsteuer-Anfälle aus dem Saarland zukünftig in Rheinland-Pfalz veranlagt werden und im Gegenzug wird die Grunderwerbsteuer zukünftig durch das Saarland bearbeitet."
    Mögliche Regionalisierung der Erbschaftsteuer
    In aller Regel scheitern solche pragmatischen Lösungen an den föderalen Landesgrenzen. Das zeigt die Debatte um eine mögliche Regionalisierung der Erbschaftsteuer, die CSU-Parteichef Horst Seehofer vor kurzem wieder ins Spiel brachte. Dass ein Erbschaftsteuerwettbewerb innerhalb Deutschlands eine bessere Lösung sein könnte als das derzeitige Recht, bezweifeln Experten. Rainer Kambeck vom DIHK glaubt, dass die Länder auf andere Weise besser an den Steuereinnahmen teilhaben könnten:
    "Das Naheliegendste ist, dass man an die großen Steuern denkt. Wir haben die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer, die ja das Gros des Steueraufkommens erbringen. Das sind ja Einnahmen, die auf den Bund, die Länder und die Gemeinden verteilt werden. Das hätte eine neue Problematik, weil die Erbschaftsteuer eine Ländersteuer ist, die in die Länderkassen fließt. Da müsste man an einigen Stellen nachjustieren. Aber wir stehen ja sowieso vor größeren Reformen, was den Föderalismus anbetrifft. Die Finanzausgleichsgesetze laufen zum Ende dieses Jahrzehnts aus. Da hätte man sicherlich Möglichkeiten, das in ein Gesamtpaket mit hineinzunehmen."
    Bliebe da noch die Sache mit der Gerechtigkeit. Die Erbschaftsteuer gilt wie alle Steuern auf Vermögen als Möglichkeit, umzuverteilen und für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Die OECD forderte daher in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht für Deutschland, die Sonderbehandlung für Unternehmensvermögen bei der Erbschaftsteuer abzuschaffen.
    Die Umverteilungsdebatte bewegt sich auch unter Experten zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite wird argumentiert, dass Erbschaften Vermögen sind, die der Beschenkte ganz ohne eigene Anstrengungen erhalte – und damit versteuern müsse. Auf der anderen Seite wird angeführt, das Vermögen selbst sei ja schon einmal besteuert worden. Zudem sei das Erbe oft Teil der individuellen Vorsorge. Rechtsanwältin te Heesen nennt einen weiteren Punkt:
    Umverteilung finde nicht statt
    "Es ist ein sehr geringer Betrag, den man damit erhält. Es hat unheimliche Verwaltungskosten. Sie haben eine Doppelbesteuerung eigentlich. Die Umverteilung findet nicht statt bei diesem geringen Betrag. Manchmal kommt es zur Substanzbesteuerung, weil man einfach keine liquiden Mittel vorhalten kann. Von daher gibt es nicht so viele gute Gründe für die Erbschaftsteuer, um die beizubehalten. Also kann es eigentlich fast nur eine politisch gewollte Steuer sein."
    Das geringe Aufkommen und die schwierige Bewertung könnten Gründe dafür sein, warum andere Staaten sich inzwischen gegen die Erbschaftsteuer entschieden haben. Professor Maiterth von der Humboldt-Universität Berlin:
    "Interessanter Weise hat ja auch Schweden die Erbschaftsteuer abgeschafft vor einigen Jahren. Was ja sonst ein Staat ist, der sehr stark auf Umverteilung setzt. Ich glaube aber nicht, dass das politisch durchsetzbar ist. Es geht ja auch viel um das Gefühl Gerechtigkeit. Und wenn man sagt, wir lassen die Erbschaftsteuer ganz sein und die großen Vermögen werden völlig ohne Beitrag zum Steueraufkommen übertragen. Ich glaube nicht, dass eine Partei das fordert."
    Voraussichtlich wird das Bundesverfassungsgericht die bisherigen Steuervergünstigungen für Betriebe zumindest teilweise für verfassungswidrig erklären. Wie die Politik reagieren wird, ist unklar. Steuerrechtler Roman Seer:
    "Aus meiner Sicht verstehe ich nicht so ganz, warum man da nicht sagt, wir nehmen den biblischen Zehnten für jeden Erben. Aber auch für den Erben von Betriebsvermögen und halten dadurch die Steuerlast für jeden in Grenzen. Das Aufkommen wäre deutlich höher."
    Matthias Goost geht durch die kleine Produktionshalle, in der Näherinnen Namensschilder in Arbeitskleidung einnähen. Er grüßt die Mitarbeiterinnen mit Namen, fragt nach dem Stand der Dinge. Auch sein Vater kommt noch jeden Tag in den Betrieb. Unter anderen steuerlichen Vorzeichen wäre der Betrieb womöglich ein anderer: weniger Investitionen in neue Produkte und Logistik, weniger Geld für den neuen Onlineshop, vielleicht auch weniger Arbeitsplätze. Trotzdem hält Goost die Debatte um die Erbschaftsteuer für politisch sinnvoll:
    "Aus Gerechtigkeitserwägungen kann man sagen, die Erbschaftsteuer, das ist nachvollziehbar und entspricht dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen. Wahrscheinlich tut es dem sozialen Frieden gut, dass wir die Erbschaftsteuer haben. Auch wenn es finanziell wenig bringt."