Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Erbschaftssteuer
Kein Neuanfang in der Steuerpolitik

Am 8. Juli kommt das neue Gesetz zur Erbschaftsteuer in den Bundesrat - ob die Reform dort abgesegnet wird, ist allerdings mehr als zweifelhaft. In den Bundesländern regt sich Protest. Die Grünen, die an zehn Landesregierungen beteiligt sind, könnten das Gesetz verhindern. Sie sehen Firmenerben darin zu stark privilegiert.

Von Annette Wilmes | 30.06.2016
    Demonstranten halten am 30.06.2016 vor dem Bundesrat in Berlin Herzen mit der Aufschrift «Schwarz-Rot hat ein Herz für Superreiche». Die Organisation Attac hatte zu einer Protestaktion gegen das geplante Erbschaftssteuer-Gesetz aufgerufen. Anlass war ein Treffen der Finanzminister, bei dem sie die Abstimmung über das Erbschaftssteuergesetz am 8. Juli im Bundesrat vorbereiten wollten.
    Protestaktion gegen das geplante Erbschaftssteuer-Gesetz in Berlin. (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Bundestagspräsident Norbert Lammert am 24.6.2016:
    "Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt neun auf: Zweite und Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfs zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts."
    Das war knapp. Bundestagspräsident Norbert Lammert am 24.Juni 2016. Die Regierungskoalition hat es gerade noch vor der Sommerpause geschafft, die Erbschaftsteuerreform in den Bundestag zu bringen. Der Gesetzgeber sollte die Neuregelung bis zum 30. Juni treffen. Der Termin wird nun leicht überzogen. Denn Sigmar Gabriel, Wolfgang Schäuble und Horst Seehofer haben sich nach mehreren vergeblichen Versuchen erst am 20. Juni auf den Gesetzentwurf geeinigt, der die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts erfüllen soll.
    Die Karlsruher Richter hatten vor allem bemängelt, dass die Begünstigungen bei der Übertragung von Unternehmen zu großzügig und somit verfassungswidrig seien. Selbst sehr große Firmen mit millionenschweren Betriebsvermögen durften an die nächste Generation übergeben werden, ohne dass die Erben einen Cent Steuer zahlen mussten. Einzige Voraussetzung für die enorme Begünstigung: das Unternehmen musste über mehrere Jahre fortgeführt und die Arbeitsplätze mussten erhalten werden.
    Vorteile für reiche Unternehmer
    "Und das Gericht hat am Ende gesagt, wir überprivilegieren die reichen Unternehmer. Und das erschreckt natürlich einen Politiker, wenn er einzelne überprivilegiert und dann noch die besonders Reichen."
    Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag:
    "Wir haben damals diese Privilegierung, also die Bevorzugung, gerechtfertigt damit, dass wir sagen, wenn jemand einen Arbeitsplatz schafft, hat das für uns einen so hohen Wert, dass wir ihm dann auch starke Steuernachlässe geben wollen, mit dem Ziel, die Arbeitsplätze zu erhalten."
    Wenn jemand seinen Betrieb sieben Jahre fortführt mit etwa gleicher Lohnsumme, das heißt, mit der gleichen Anzahl Arbeitnehmer, muss er keine Erbschaftsteuer zahlen. Wenn er den Betrieb nur fünf Jahre fortführt, dann werden ihm noch 85 Prozent erlassen.
    "Das Gericht hat in der Tendenz gesagt, der Arbeitsplatz ist ein rechtfertigender Grund zur Verschonung von Steuern. Allerdings haben wir es damit etwas übertrieben."
    Die Demonstranten stehen an einem Zaun vor dem Bundesratsgebäude und halten Transparente und Schilder in die Höhe. Auf einem Schild steht: "Ungerechte Erbschaftssteuerreform stoppen!"
    Eine Protestaktion der Nichtregierungsorganisation Attac am 30.6.2016 vor dem Bundesrat in Berlin gegen die Erbschaftssteuerreform. (Deutschlandradio / Volker Finthammer)
    Zunächst war die Reform, die nur für Unternehmen gilt, einigermaßen zügig vorangeschritten. Bereits im Juli 2015 wurde der Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Kabinett verabschiedet. Der Bundesrat legte im September die Antwort vor. Die Erste Lesung fand noch im gleichen Monat und die Anhörung von Sachverständigen Mitte Oktober 2015 statt. Auf dieser Grundlage hatten sich die zuständigen Fraktionsvizevorsitzenden Ralph Brinkhaus von der CDU und Carsten Schneider von der SPD zusammen mit CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt um eine Einigung bemüht und diese auch gefunden.
    Seehofer verweigerte Reform der Erbschaftsteuer
    Dann kam plötzlich und unerwartet Widerspruch aus München. Horst Seehofer hatte sich dort mit Unternehmern getroffen, denen die Pläne offenbar nicht gefielen. Seitdem knirschte es gewaltig, immer wieder verweigerte Seehofer die Zustimmung. Da war der Vorwurf der Klientelpolitik nicht mehr weit.
    "Ich kann auch gar nicht verstehen, dass die CSU hier unfairen Modellen das Wort redet, weil auch die CSU ist eine demokratische Partei, die eine große Verantwortung hier hat, gerade weil sie auch im Spannungsverhältnis der CDU zum Kompromiss gezwungen ist, dass sie jetzt ihre Lage in einer solchen Weise ausnutzt."
    Der Kompromiss sieht nun vor, dass nur noch Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten ohne jede bürokratische Prüfung von der Erbschaftsteuer verschont sind. Vorher waren es Firmen mit bis zu 20 Beschäftigten. Wenn besonders große Vermögen übertragen werden, von 26 Millionen Euro und mehr, muss eine so genannte Bedürfnisprüfung stattfinden, ob Steuervergünstigungen gewährt werden können. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn nicht genug Privatvermögen da ist, um die Steuern zu begleichen. Voraussetzung für jede Steuerbegünstigung bleibt, dass der Betrieb mit derselben Anzahl von Beschäftigten weitergeführt wird. Außerdem gibt es Stundungsmöglichkeiten für Steuerzahlungen und die Begünstigung von geplanten Investitionen, die innerhalb von zwei Jahren aus dem Erbe finanziert werden.
    Kritik aus der Opposition
    Die Einigung kam also in letzter Minute zustande, vier Tage vor der Bundestagsdebatte, in der es noch einmal scharfe Kritik aus den Reihen der Opposition gab:
    Lisa Paus (Grüne): "Wenn wir als Gesetzgeber noch ernst genommen werden wollen, Herr Kauder, und nicht nur als Erfüllungsgehilfe von Lobbyisten, dann darf dieses Gesetz den Deutschen Bundestag heute nicht passieren."
    Sahra Wagenknecht (Linke) "Diese zartfühlende Rücksichtnahme, mit der in der Erbschaftsteuerdebatte immer wieder vor Überbelastungen gewarnt wird – wohlgemerkt, wir reden hier von Multimillionären –,hätte ich mir einmal gewünscht, wenn es um die Belastung normaler Arbeitnehmer geht."
    Mit den Stimmen der Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Opposition - Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke - wurde das Gesetz am 24. Juni im Bundestag verabschiedet und soll am 1. Juli in Kraft treten. Das wäre dann rückwirkend, weil es auch noch im Bundesrat bestehen muss, der am 8. Juli tagt. Denn die Erträge aus der Erbschaftsteuer fließen den Ländern zu. Ob das Gesetz im Bundesrat eine Mehrheit findet, ist nicht sicher, weil dort die Mehrheitsverhältnisse anders als im Bundestag sind. Die Grünen, an immerhin zehn Landesregierungen beteiligt, könnten das Gesetz verhindern. Die Finanzministerin von Schleswig-Holstein kündigte bereits in der Bundestagsdebatte an, dass sie nicht zustimmen wird. Monika Heinold:
    "Einbezogene Privilegien, Verschonung: ein Ritt auf der Rasierklinge der Verfassungswidrigkeit. Die Messlatte von Steuergerechtigkeit wird gerissen. Die Länder können knobeln, wie viel ihnen an Einnahmen für Bildung, Teilhabe, für all das, was wir finanzieren müssen, bleibt. Ich sage Ihnen: Als grüne Finanzministerin kann ich dem nicht zustimmen. Ich freue mich, dass ich damit nicht alleine bin."
    Brun-Hagen Hennerkes, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Familienunternehmen, begrüßt am 10.06.2016 in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Tag des deutschen Familienunternehmens.
    Angela Merkel beim Tag des deutschen Familienunternehmens. (dpa/picture alliance/ Kay Nietfeld)
    Die Politiker der Großen Koalition wollen auf keinen Fall, dass das Gesetzesvorhaben noch an der letzten Hürde scheitert. Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU:
    "Manche haben die Hoffnung, dass damit die Erbschaftsteuer ersatzlos wegfällt. Ich befürchte eher, dass die Richter uns dann ins Buch schreiben, dass alle Vergünstigungen verfassungswidrig sind. Das ist für Unternehmen die schlechteste Variante."
    Besonderheiten für Familienunternehmen
    Antje Tillmann legte im Gesetzgebungsverfahren Wert darauf, dass die Besonderheiten der Familienunternehmen berücksichtigt werden.
    "Besonderheiten insofern, dass Familienunternehmen, die seit Generationen im Familienbesitz sind, deswegen so gut aufgestellt sind, weil sie Verfügungsbeschränkungen in ihren Gesellschafterverträgen haben. Also man darf nur innerhalb der Familie veräußern, man darf Gewinne nicht entnehmen, es gibt weitere Beschränkungen, dass investiert werden muss aus Gewinnen, diese Beschränkungen führen natürlich dazu, dass der Unternehmenswert geringer wird, und das war bisher überhaupt nicht berücksichtigt auf der Verhandlungsstrecke. Jetzt haben wir aber die Kriterien so gefasst, dass die Familienunternehmen uns sagen, ja, diese Kriterien, wonach diese Verfügungsbeschränkungen berücksichtigt werden, ziehen. Und es führt dazu, dass die Unternehmensanteile ordentlich bewertet werden."
    Antje Tillmann meint, dass mit den neuen Regelungen die besondere Unternehmenskultur in Form von mittelständischen Unternehmen, besonders von Familienunternehmen, gesichert sei. Dass Betriebsvermögen steuerlich begünstigt werden muss, während andere Vermögen im Erbfall hohen Steuern unterliegen, erklärt sie so:
    "Betriebsvermögen ist einfach nicht frei verfügbar. In der Regel sind es Betriebsgrundstücke, Maschinen, die man nicht ohne weiteres veräußern kann und die auch zwingend dazu gebraucht werden, Arbeitsplätze zu schaffen und zu halten. Und uns ist wichtig, dass diese Arbeitsplätze nicht in Gefahr geraten dadurch, dass plötzlich hohe Erbschaftsteuerzahlungen entstehen."
    Auch Sozialdemokrat Lothar Binding will die Unternehmensstruktur in Deutschland nicht gefährden. Dennoch sind seine Schwerpunkte bei der Kompromisssuche andere gewesen. Für ihn stand die Steuergerechtigkeit im Vordergrund. In diesem Zusammenhang beklagt er, dass die Familienunternehmen und ihre Verbände die Politik zu sehr unter Druck gesetzt hätten.
    "Wir sprechen ja von den wahrscheinlich reichsten 2000 Menschen in Deutschland. Und da bin ich auch enttäuscht, dass sie in der Weise gegen die Politik, gegen faire Versteuerung, vorgehen. Zumal auch den Firmeneignern klar sein muss, dass wir alles versuchen und alles tun, dass die Arbeitsplätze erhalten werden. Bis über die Grenze der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten hinaus, wie uns das Gericht bestätigt hat. Und dass sie dann immer noch den Restzweifel aufrechterhalten, wir würden nicht genug für sie tun, das irritiert doch stark, und offensichtlich scheint hier die Gesamtgesellschaft doch aus dem Blick geraten zu sein."
    Problem der hohen Vermögenskonzentration
    Ein besonderes Problem stellt in Deutschland die hohe Vermögenskonzentration dar. Diese Konzentration abzumildern, dabei könnte und sollte die Erbschaftsteuer helfen. Sie diene nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, heißt es in einem Extra-Votum zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sondern sie sei "zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst".
    CSU-Chef Horst Seehofer (l-r), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU,M) und Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag unterhalten sich in Berlin nach dem Spitzentreffen der Koalition zur Reform der Erbschaftsteuer im Kanzleramt. 
    Koalitionstreffen im Kanzleramt unter anderem zur Erbschaftssteuer. Ministerpräsident Seehofer hatte Reformdiskussionen immer wieder gebremst und boykottiert. (dpa-Bildfunk / Maurizio Gambarini)
    Auch in der bayerischen Verfassung steht, dass die Erbschaftsteuer dem Zweck diene, "die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern". Das ist besonders pikant, wenn man bedenkt, dass in Bayern die Erbschaftsteuer systematisch abgebaut wurde. Und auch in der aktuellen Reformdiskussion war es ja hauptsächlich der bayerische Ministerpräsident Seehofer, der immer wieder gebremst und boykottiert hat.
    "Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist sehr stark, die reichsten ein Prozent der Bevölkerung haben ein Drittel des gesamten Vermögens."
    Stefan Bach, Privatdozent an der Universität Potsdam, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
    "Und die reichsten 0,1 Prozent, das sind 40.000 Haushalte, auch immerhin noch einen Anteil von 18 Prozent am gesamten Vermögen. Vermögenskonzentration bedeutet natürlich auch, dass die Vermögenseinkommen stark konzentriert sind, teilweise auch im Ausland investiert werden, dadurch geht Nachfrage im Inland verloren, dadurch ist auch der Massenkonsum in Deutschland relativ schwach schon seit Jahren. Und natürlich bedeutet hohe Vermögenskonzentration, dass wenige Leute über ihr Vermögen, das ja auch häufig aus Unternehmensvermögen besteht, einen großen Einfluss auf die Politik, auf die Gesellschaft ausüben können."
    Die Erbschaftsteuer ist die letzte verbliebene Steuer auf hohe Vermögen und nach Ansicht des Volkswirts unverzichtbar.
    "Dabei ist ja gerade die Erbschaftsteuer eigentlich die beste Reichensteuer, die beste Vermögensteuer, weil sie den laufenden Vermögensaufbau und die Bewirtschaftung des Vermögens nicht stört. Aber dann zumindest im Generationenübergang, wenn es an die nächste Generation geht, die ja unmittelbar nichts zu dem Vermögen beigetragen hat, dass man da dann zumindest besteuert, um hier ein kleines Stück diese starke Vermögenskonzentration gerade im Topbereich zu reduzieren."
    Politik agiert bei Familienunternehmen zurückhaltend
    Aber bei den Familienunternehmen ist die Politik ausgesprochen zurückhaltend, daran hat auch das neue Gesetz nichts geändert. Das liege unter anderem an der besonderen Rolle dieser Betriebe, meint Stefan Bach.
    "Der deutsche Mittelstand und die Familienunternehmer haben natürlich schon ein sehr gutes Image in der Politik und auch in der Gesellschaft. Das ist ein Pfund, mit dem die auch ausgiebig wuchern können. Sie werden von den Politikern da sehr stark gehört. Sie haben wirklich großen Einfluss auch auf diese politischen Diskussionen, nicht ganz zu Unrecht, denn sie sind ja erfolgreich. Sie halten Beschäftigung und Wertschöpfung in den Regionen, sie behandeln ihre Leute auch in der Regel ordentlich. Aber sie sollten es auch nicht übertreiben, denn sie zählen natürlich schon zu den Privilegierten in der Gesellschaft. Mit Privilegien muss man verantwortlich umgehen."
    Das sieht Johanna Hey, Professorin für Steuerrecht an der Universität Köln, ganz ähnlich. Außerdem meint sie, sei nicht jeder Betrieb gleich aufgestellt.
    "Da kann man lange drüber diskutieren, was ist ein Familienunternehmen, ist das noch eine erhaltenswürdige Familienstruktur, wenn ich ein Unternehmen habe, das in der vierten, fünften Generation mit 300 Familiengesellschaftern, die das Unternehmen kaum kennen, die da also irgendwelche Erträge draus bekommen, aber nicht wirklich unternehmerisch tätig sind: Ist das eine Struktur, die man zwingend erhalten muss, das weiß ich nicht genau. Also man muss, wenn man über Familienunternehmen spricht, auch sehr genau hinschauen, was sind das für Unternehmen."
    Die Politik, kritisiert Johanna Hey, habe sich an eine wirkliche Reform nicht herangewagt.
    "Die Politik hat von Anfang an gesagt, man wolle minimalinvasiv vorgehen, das heißt also, man wolle im Grunde genommen das Grundkonzept. Und das Grundkonzept sieht so aus: Wir haben relativ hohe allgemeine Erbschaftsteuersätze, diese hohe Erbschaftsteuer-Belastung wäre für Unternehmensvermögen in der Tat schwer aushaltbar, und deshalb werden Unternehmensvermögen stark begünstigt. Und dieses Grundkonzept wollte man beibehalten und wollte jetzt sozusagen ganz kleinteilig die Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts beheben. Und das ist eigentlich fast nicht möglich. Also man möchte im Grunde genommen dem Bundesverfassungsgericht Rechnung tragen, aber sich den Pelz nicht nass machen."
    Familienunternehmen pochen weiterhin auf Sonderstellung
    Die Politik hätte das Problem grundlegend angehen können und sollen, meint Johanna Hey.
    "Wie wäre es denn, wenn wir gar keine Vergünstigung hätten und dafür ganz niedrige Steuersätze. Das wäre die Alternative."
    Davon ist man jedoch weit entfernt. Außerdem würden sich die Familienunternehmen dagegen massiv zur Wehr setzen. Sie pochen weiterhin auf ihre Sonderstellung. Peer-Robin Paulus leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft im Verband der Familienunternehmer:
    "Wir haben in der Tat eine erhebliche Akkumulation von privatem Kapital, von Privatvermögen in den Betrieben und in Familien, die Betriebe haben."
    Und das werde völlig zu Unrecht in der Öffentlichkeit angegriffen, moniert der promovierte Jurist.
    "Als wäre das etwas Schlechtes. Aber nur dadurch, dass wir viel Betriebsvermögen in Familienhänden haben statt in Aktiengesellschaften, haben wir auch Familien, die die Betriebe, das Betriebsvermögen halten können und dafür sorgen können, dass über Generationen dieses betriebliche Kapital weiter akkumuliert wird und dadurch Investitionsmasse dafür da ist, dass eben auch kleine und mittelgroße Unternehmen eine Größe haben und eine Investitionskraft, um sich an den Weltmärkten zu halten."
    Dem Sozialstaatsprinzip, von dem im Extra-Votum der Verfassungsrichter auch die Rede ist, fühle er sich selbstverständlich verpflichtet, sagt der Unternehmer-Vertreter:
    "Natürlich, das steht in der Verfassung. Das Sozialstaatsprinzip muss immer wieder neu ausgelegt werden. Die Richter haben darauf hingewiesen, dass das Sozialstaatsprinzip hier auch mit eine Rolle spielt und mit berücksichtigt werden muss. Ich denke, das Beste für den Sozialstaat ist, dass er gut finanziert werden kann und dafür brauchen wir starke Unternehmen. Das Gros des Steueraufkommens, der Arbeitsplätze, der sozialen Versicherungsbeiträge und der Ausbildungsverhältnisse wird von den Familienunternehmen und vom gehobenen Mittelstand geleistet. Das Beste, was wir für den Sozialstaat tun können, ist, dass wir unsere Motoren verschonen."
    Kein Neuanfang in der Steuerpolitik
    Dass die Unternehmen sich gegen Alternativen zum Verschonungsmodell aussprechen, ist nachvollziehbar. Aber warum zieht die Politik hier am selben Strang? Warum hat sie keinen Neuanfang in der Steuerpolitik gemacht, wie von Wirtschafts- und Steuerexperten empfohlen - zum Beispiel die Vergünstigungen radikal abzubauen und stattdessen die Steuersätze zu senken, so dass sie jeder zahlen kann? Warum wurde stattdessen wieder nur an einzelnen Stellschrauben gedreht? Die Steuerrechtsprofessorin Johanna Hey erklärt das so:
    "Ich nenne das gerne die politökonomische Falle. Es ist eine vorher-nachher-Betrachtung. Und in einer vorher-nachher-Betrachtung würde sich jeder Erbe, der sagt, ich muss heute keine Erbschaftsteuer zahlen, weil ich die hohen persönlichen Freibeträge ausnutzen kann, in Zukunft dann auch, wenn er noch nicht Erbschaftsteuer zahlen muss, der würde sich erst mal aufregen. Und das auszuhalten, ist die Politik nicht bereit. Das ist aushaltbar. Wir haben immer, wenn wir Steuerreformen haben, haben wir Verteilungsverschiebungen, anders braucht man keine Steuerreform zu machen. Aber die Politik muss das eben aushalten wollen, und dazu scheint keine Bereitschaft zu bestehen."
    Außerdem sei das Thema Erbschaftsteuer sehr emotional besetzt, sagt Johanna Hey.
    "Und selbst im Augenblick gibt es also genügend Privatpersonen, die nur Privatvermögen haben, die überhaupt nicht berührt werden von der derzeitigen Reform, die einen ängstlich fragen, muss ich jetzt was tun. Also Erbschaftsteuer löst Ängste aus in erheblichem Maße, vielleicht auch, weil man im Hinterkopf hat, das ist doch schon besteuert worden, und da sind so ganz archaische Überlegungen von dynastischem Weitergeben von Vermögen, ohne dass der Staat darauf zugreift. Das erklärt das so ein bisschen."
    Ängste, die übrigens in den meisten Fällen völlig unbegründet sind. Denn wer privat erbt, hat relativ hohe Freibeträge, für Kinder sind bis zu 400.000 Euro steuerfrei und für Ehegatten sogar 500.000. Das vererbte Durchschnittsvermögen beträgt 83.000 Euro. Darüber könnte und sollte man aufklären, meint Johanna Hey:
    "Wir haben im Augenblick zehn Prozent aller Erbfälle, die überhaupt nur der Erbschaftsteuer unterliegen. Und also eine radikale Verbreitung der Bemessungsgrundlage würde möglicherweise 20 oder 30 Prozent der Fälle zu sehr niedrigen Belastungen da rein bringen. Das, meine ich, sei vermittelbar. Aber man muss eben durchaus gegen diese Ängste an argumentieren."
    Das jedoch ist bestenfalls Zukunftsmusik. Aktuell geht es um die Frage, ob der mühsam gefundene Kompromiss zum Thema Erbschaftsteuer Bestand haben wird. Das wird sich am 8. Juli herausstellen, wenn über das Gesetz im Bundesrat abgestimmt wird.