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Erbschaftssteuer-Reform
"Das ist ein Konjunkturprogramm für Steuerberater"

Die Grünen-Finanzpolitikerin Kerstin Andreae hat die Länder aufgerufen, den Kompromiss der großen Koalition zur Erbschaftssteuer im Bundesrat zu stoppen. Die Reform sei hoch kompliziert und ungerecht, sagte Andreae im DLF. Hohe Vermögen müssten mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.

Kerstin Andreae im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.06.2016
    Die Grünen-Politikerin Kerstin Andreae.
    Die Grünen-Politikerin Kerstin Andreae sieht in der geplanten Erbschaftssteuer-Reform ein "Konjunktur-Programm für Steuerberater". (imago stock&people)
    Andreae sagte im Deutschlandfunk, die Bundesländer prüften, was nun auf dem Tisch liege. "Wir bekommen klare Signale zum Beispiel von der Finanzministerin aus Schleswig-Holstein", so die Grünen-Politikerin. Diese habe erhebliche Zweifel anmeldet und die Bundesregierung aufgefordert, die Verfassungsfestigkeit nachzuweisen. "Für die Grünen ist klar, dass hohe Vermögen mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen müssen", betonte Andreae. "Wir wollen eine einfachere und gerechtere Erbschaftssteuer". Diese Chance habe die Koalition verpasst.
    Die Übereinkunft der großen Koalition sieht vor, dass Firmenerben auch künftig weitgehend von der Erbschaftssteuer befreit werden können, wenn sie das Unternehmen fortführen und Arbeitsplätze erhalten. Allerdings gelten dafür schärfere Vorgaben. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherigen Privilegien für Erben von Unternehmen und Betrieben als zu weitgehend gekippt und eine Frist für Änderungen bis Ende dieses Monats verlangt. Die Einnahmen von derzeit rund 5,5 Milliarden Euro im Jahr stehen allein den Bundesländern zu.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Bisher war es so: Wer Geld erbt, zahlt darauf kräftig Erbschaftssteuer. Wer einen Betrieb erbt, kommt in der Regel ohne Steuerzahlung davon. Das Verfassungsgericht hatte Ende 2014 entschieden: Eine Begünstigung von Firmenerben ist zwar grundsätzlich okay, wenn der Betrieb weitergeführt und die Arbeitsplätze erhalten bleiben, aber die Regeln, die müssten strenger gefasst werden. Gestern wurde der Kompromiss bekannt gegeben. Der sieht unter anderem vor, dass Firmenerben nur noch dann verschont werden, wenn sie nachweisen können, dass sie die Steuern nicht verkraften würden. - Am Telefon ist jetzt dazu Kerstin Andreae von Bündnis 90/Die Grünen, dort stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Frau Andreae.
    Kerstin Andreae: Guten Morgen!
    Heckmann:!! Die Koalition, die sagt, die Vorgaben des Verfassungsgerichts seien jetzt umgesetzt, das Steueraufkommen gesichert, ebenso wie die Arbeitsplätze. Was daran ist schlecht?
    Andreae: Unseres Erachtens ist das, was die Koalition uns jetzt vorlegt, im Prinzip die Fortführung der bisherigen Regeln durch die Hintertür. Weil wenn Sie sich anschauen, wie die Verschonungsregeln konzipiert sind, ist es mitnichten so, dass der Vorgabe des Verfassungsgerichts, bei den großen Betriebsvermögen nicht solche Verschonungen zuzulassen, nicht stattgegeben worden, sondern im Gegenteil, die Verschonungsregeln sind ausgeweitet worden.
    "Die Großen werden eine Chance haben, weil sie sich teure Berater leisten können"
    Heckmann: Aber, Frau Andreae, man kommt nicht umhin, auch festzustellen, dass es doch Verschärfungen im Gesetz gibt. Die Dokumentationspflicht für Unternehmen beispielsweise, also zu dokumentieren, ob wirklich die Arbeitsplätze erhalten bleiben oder nicht, die wird auf sechs Mitarbeiter abgesenkt. Die Wirtschaftsverbände DIHK und BDI sagen, diese stärkere Erhöhung für Großunternehmen, das könnte sogar zu Abwanderungen führen.
    Andreae: Ja sicher werden die Wirtschaftsverbände bei dem Thema Erbschaftssteuer immer über eine Argumentation, was heißt das für die Arbeitsplätze und was heißt das für die Investitionsfähigkeit der Unternehmen, argumentieren. Ich finde das auch nachvollziehbar. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Und wenn Sie sich anschauen, wie die Verschonungsregeln jetzt konzipiert sind, dann ist der ursprüngliche Gedanke, den der Finanzminister Schäuble hatte, dass er sagt, ab 20 Millionen Euro soll der Erbe nachweisen, dass er die Steuer aus seinem Privatvermögen zahlen kann. Der war ja im Ursprung richtig. Was ist jetzt da rausgekommen? Es ist rausgekommen, dass erst mal ab 26 Millionen Euro - und das ist wirklich eine stattliche Summe - dann ein Wahlrecht konzipiert ist. Dann kann entweder der Erbe ein Wahlrecht in Anspruch nehmen, dass er sagt, ich zahle aus meinem Privatvermögen. Wenn er jetzt seine Privatverhältnisse nicht offenlegen will, dann setzt eine langsamere Besteuerung bis 90 Millionen Euro ein. Ich sage Ihnen, das ist ein Konjunkturprogramm für Steuerberater. Das ist hoch gestaltungsanfällig. Die Großen werden eine Chance haben, weil sie sich teure Berater leisten können, und es wird im Prinzip am Ende die Qualität des Steuerberaters davon abhängen, wie hoch die Steuerlast ist, die ich tatsächlich zu tragen habe. Ich bezweifle völlig, dass das vor dem Verfassungsgericht Bestand hat.
    Heckmann: Sie sagen, es ändert sich im Prinzip nichts, aber Sie geben selbst zu, eine Besteuerung der Unternehmen ab diesen 26 Millionen Euro ist in Zukunft immerhin möglich.
    Andreae: Natürlich ist es in Zukunft möglich. Es ist ja auch heute der Fall, dass Sie, wenn Sie hohe Erben haben oder hohe Erbschaften haben, dass Sie dann Steuern zahlen müssen. Aber schauen Sie sich doch mal an, wie es tatsächlich sich auswirkt. Derzeit haben wir bei einer effektiven Erbschaftssteuerlast, das was wirklich gezahlt werden muss, bei Erbschaften von 100 bis 200.000 Euro zahlen Sie 17,3 Prozent. Wenn es um Erben oder Erbe geht im Wert von mehr als 20 Millionen Euro, sind es nur noch 7,8 Prozent. Das heißt, je höher das Erbe ist, desto weniger Erbschaftssteuer muss ich zahlen. Das ist die Regel heute und das hat sich durch die neue Konzeption der Koalition überhaupt nicht geändert. Das heißt, wir bleiben regressiv, wir gehen von dem Grundsatz ab, dass in Deutschland eigentlich gesagt wird, Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, wer mehr hat soll mehr zahlen. Auch jetzt ist wieder das Gegenteil der Fall.
    Heckmann: Aber macht das nicht irgendwo auch Sinn, Frau Andreae, weil die mittelständischen Unternehmen, die Familienunternehmen, die generieren ja jede Menge Jobs in Deutschland und die müssten doch auch gesichert werden.
    Andreae: Auf jeden Fall müssen die Jobs gesichert werden. Ich kenne keinen Fall, wo aufgrund von der Erbschaftssteuer ein Unternehmen nicht weitergeführt werden konnte. Insofern auch hier Kirche im Dorf lassen.
    "Wir plädieren für eine einfache und gerechte Erbschaftssteuer"
    Heckmann: Könnte aber in Zukunft der Fall sein.
    Andreae: Nein, das kann in Zukunft auch nicht der Fall sein. Wir plädieren wie im Übrigen auch alle aus der Wissenschaft, die Ökonomen plädieren dafür zu sagen, lasst uns eine einfache gerechte Erbschaftssteuer machen, einen niedrigen Steuersatz, Freibeträge und dann aber der Steuersatz auf alles zu vererbende Vermögen. Wenn es nicht gezahlt werden kann, was passieren kann, dann gibt es die Möglichkeit einer zinslosen Stundung über mehrere Jahre. Das ist das Konzept, was von den Wirtschaftsinstituten und auch von uns präferiert wird. Weil was wir jetzt bekommen ist eine hoch komplizierte, eine ungerechte und eine nicht verfassungsfeste Erbschaftssteuer, die wieder vor dem Verfassungsgericht landen wird. Dann sind wir mit einer Steuer, die mit sechs Milliarden Euro zwar ein erträgliches Aufkommen, aber die jetzt auch nicht den ganz großen Anteil am Steueraufkommen trägt, mit dieser Steuer zum dritten Mal vor dem Bundesverfassungsgericht, weil den Vorgaben nicht genügt wurde. Wir plädieren für eine einfache und gerechte Erbschaftssteuer.
    Heckmann: Jetzt hat sich die Große Koalition anders entschieden, Frau Andreae. Sie sitzen ja im Bundestag. Die Große Koalition braucht Sie dort im Bundestag nicht. Aber im Bundesrat braucht man die Grünen, denn da haben Union und SPD keine eigene Mehrheit. Wie werden sich die Grünen im Bundesrat verhalten? Gibt es da schon entsprechende Absprachen?
    Andreae: Wir sind in intensiven Diskussionen. Es wird sich zeigen, ob sich rächt, dass die Grünen überhaupt nicht eingebunden wurden bei der Konzeption und bei den Gesprächen innerhalb der Koalition, weil die Koalition wissen muss, dass sie die Grünen im Bundesrat braucht. Wir diskutieren, wir prüfen jetzt die Ergebnisse noch mal. Die Bundesländer sagen natürlich zurecht, jetzt schauen wir uns das an, was auf dem Tisch liegt. Aber wir bekommen klare Signale von zum Beispiel der Finanzministerin aus Schleswig-Holstein, die erhebliche Zweifel anmeldet und die Bundesregierung auch auffordert, jetzt die Verfassungsfestigkeit nachzuweisen. Das stellen wir sehr infrage und ich kann nicht sehen, dass Grüne eine Konzeption mittragen, die vor dem Verfassungsgericht jetzt schon erkennbar keinen Bestand haben wird.
    Im Bundesrat müsste die Reißleine gezogen werden
    Heckmann: Wie sicher sind Sie denn, dass die Grünen in den Ländern sich nicht doch ein Hintertürchen offen lassen, wie das auch bei der Liste der sicheren Drittstaaten und Herkunftsstaaten gewesen ist?
    Andreae: Wir werden das diskutieren. Aber für Grüne ist klar, dass hohe Vermögen mehr beitragen müssen zur Finanzierung des Gemeinwesens, und da wollen wir eine und eine gerechte Erbschaftssteuer. Diese Chance hat die Koalition jetzt verpasst. Unserer Ansicht nach müsste im Bundesrat die Reißleine gezogen werden und noch mal ein Neustart bei der Erbschaftssteuer auf den Tisch gelegt werden. Die Vorschläge sind ja da. Das Bundesverfassungsgericht hat auch deutlich gemacht, wenn jetzt der 30. 6. Nicht erreicht wird, aber die Diskussion weitergeht, dann heißt das mitnichten, dass dann die ganze Erbschaftssteuer jetzt gekippt wird, dass dann quasi gar keine Erbschaftssteuer mehr anfällt, sondern dass man dann noch mal eine Runde dreht. Insofern würde ich sehr dafür plädieren und werbe auch dafür, dass im Bundesrat die Reißleine gezogen wird.
    Heckmann: Mit Kerstin Andreae, der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, haben wir gesprochen über die Reform der Erbschaftssteuer und welche Chancen das Projekt im Bundesrat hat. Frau Andreae, danke Ihnen für dieses Gespräch und schönen Tag.
    Andreae: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.