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Erdanziehung
Atomuhr als Gravitations-Schnüffler

Atomuhren sind der Taktgeber unserer Zeit, als Basis etwa für die Satellitennavigation GPS. Nun haben Physiker einen Nachfolger für die Atomuhr gebaut: die optische Uhr. Mit ihrer Lasertechnik wollen Braunschweiger Forscher das Schwerefeld der Erde vermessen - mit bislang unerreichter Genauigkeit.

Von Frank Grotelüschen | 30.04.2014
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    Andreas Bauch, Leiter der Arbeitsgruppe Zeitübertragung, posiert im Zeitlabor der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig vor einer Atomuhr. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    "Wenn Sie sich vorstellen, die Erde wäre nur ein Ozean, nur Wasser. Genau die Form, die diese Wasseroberfläche annimmt – das wäre das Geoid."
    Für Geoforscher ist das Geoid eine zentrale Bezugsgröße, sagt Tanja Mehlstäubler von der PTB, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Denn das Geoid beschreibt jene hypothetische Fläche, auf der überall auf dem Globus exakt dieselbe Schwerkraft herrscht. Diese Fläche dient der Fachwelt dann als Referenzwert für sämtliche Höhenangaben. So gesehen ist das Geoid ein künstliches Normal-Null-Meeresniveau. Nun sollte man meinen, es habe schlicht die Form einer Kugel. Aber:
    "Wie wir heute wissen, schaut's eher nach einer Kartoffel aus, mit kleinen Ausbeulungen. Das kommt einfach von unterschiedlichen Masseverteilungen, unterschiedlichen Dichteschwankungen. Jedes Erdbeben, jede plattentektonische Bewegung verändert die Massenverteilung der Erde."
    Triebkraft für Erdbeben und Vulkanausbrüche
    Je genauer das Geoid bekannt ist, umso präziser können Geoforscher ermitteln, wie stark sich Landmassen mit der Zeit heben und senken und welche Massen an geschmolzenem Gestein im Erdmantel fließen – die Triebkraft für Erdbeben und Vulkanausbrüche. Das Problem:
    "Das Geoid ist international im Moment leider nur auf 30 bis 50 Zentimeter bekannt."
    Bislang dient zur Vermessung des Geoids vor allem das sogenannte Gravimeter – eine Art Fallturm im Miniformat. Doch die Messungen damit sind mühsam, erfordern zahllose Messreihen und aufwendige Korrekturen. Und da wäre noch ein weiteres Manko:
    "Jedes Land hat seine eigenen Referenz- und Bezugspunkte. Manche Länder beziehen sich auf den Amsterdamer Meeresspiegel, andere auf den Mittelmeerspiegel. Da gibt es Diskrepanzen und Fehler."
    Deshalb setzt Mehlstäubler auf eine völlig andere Technik – die optische Atomuhr. Sie ist eine Fortentwicklung der heutigen Atomuhr, geht aber deutlich genauer.
    "Die besten optische Uhren auf der Welt sind fast zwei Größenordnungen besser als Cäsium-Atomuhren."
    In einer Milliarde Jahren würde eine optische Atomuhr um nur eine Sekunde falsch gehen
    In Zahlen: In einer Milliarde Jahren würde eine optische Atomuhr um nur eine Sekunde falsch gehen. Doch wie lässt sich damit das Geoid vermessen, jener künstliche Schwerefeld-Horizont, der für Geoforscher so zentral ist? Die Antwort darauf gibt – wieder einmal – Albert Einstein mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. In den Worten von Tanja Mehlstäubler lautet sie:
    "Je näher ich mich dem Gravitationszentrum nähere, desto langsamer vergeht die Zeit."
    Eine optische Atomuhr im Flachland sollte also messbar langsamer ticken als eine auf dem Berg. Dort oben nämlich ist die Erdanziehung ein wenig geringer. Und das bedeutet:
    "Wenn wir eine Uhr in Schweden stationieren und die mit der Uhr in Braunschweig vergleichen würden, könnten wir sehen, wie sich die schwedische Landmasse hebt."
    Und zwar aufgrund der Gletscherschmelze, verursacht durch den Klimawandel. Doch soweit sind die Forscher noch nicht. Erst mal müssen sie die Machbarkeit der neuen Technik beweisen. Dazu baut das Team von Mehlstäubler derzeit an einem Aufbau mit einer transportablen Uhr.
    "Der soll dieses Jahr aktionsfähig sein und in einem klimatisierten Container durch Europa gefahren werden."
    Bis auf einen Zentimeter genau sollte sich das Geoid mithilfe von optischen Atomuhren vermessen lassen, rund 50mal präziser als heute, so jedenfalls die Vision. Die Voraussetzung aber dafür ist, dass man ein globales Netz aus optischen Atomuhren über den Globus spannt. Und das, sagt Tanja Mehlstäubler, dürfte noch etliche Jahre in Anspruch nehmen.