Mittwoch, 24. April 2024

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Erdbeben im Labor

Wenn ozeanische Kruste mit kontinentaler kollidiert, sinkt die dünne, dichte Meeresplatte wie eine Zunge ins Erdinnere. So etwas passiert beispielsweise vor der Küste Oregons oder vor Chile, vor Kolumbien oder Japan. Eine Begleiterscheinung dieser "Subduktion" sind Erdbeben, die in Tiefen bis hinunter zu 650 Kilometern entstehen. Beben dieses Typs können ungeheuer stark sein – so etwa das Chile-Beben von 1960, das eine Magnitude von 9,5 erreichte und damit das bislang stärkste aufgezeichnete Beben überhaupt ist. Da unterhalb von 50 Kilometern Druck und Temperatur so hoch sind, dass Gesteine plastisch reagieren, dürfte es weiter unten aber keine Beben mehr geben. Sprich: Wie solche Subduktionsbeben eigentlich entstehen, ist offen. Deshalb haben David Dobson vom University College in London und seine Kollegen von der Universität Bayreuth im Labor Erdbeben unter den Druck- und Temperaturbedingungen in diesen Tiefen simuliert. David Dobson:

18.11.2002
    Wir haben in Bayreuth mehrere sehr große Pressen, die größte erreicht 5000 Tonnen. Wenn wir eine sehr kleine Probe nehmen und die ganze Kraft dieser Pressen auf sie geben, entsteht dadurch ein sehr großer Druck, der dem im Erdmantel gleicht. Zusätzlich haben wir eine spezielle Abhöreinrichtung an unsere Presse angeschlossen, mit der wir hören, wenn in unseren Proben ein "Erdbeben" auftritt.

    Die Experimente zielten auf mittlere Bebenherde in Tiefen von 200, 300 Kilometern. Der Verdacht: Sie entstehen, weil bei den dort unten herrschenden Drücken und den Temperaturen zwischen 500 und 700 Grad Celsius aus bestimmten Mineralen wie Serpentin das Kristallwasser freigesetzt wird. Das bis dahin fest in den Kristallen gebundene Wasser "tröpfelt" dabei sozusagen in die Porenräume der Gesteine.

    Wenn wir einen Stein entwässern, steigt der Porendruck. Je länger diese Reaktion läuft, desto höher steigt dieser Porendruck, bis die Gesteine schließlich spröde reagieren und brechen. Diesen spröden Bruch hören wir mit unseren "Abhöranlagen". Danach sehen wir in den Proben sogar sehr schöne Bruchstrukturen.

    Mit ihren "Abhöranlagen" fangen die Forscher beim Bruch Scherwellen auf, die in diesem Moment die Probe durchlaufen. Die Auswertung zeigt: Es ist dieses Wasser, das die Steine zerbricht. Ist der Porendruck hoch genug, wird das weiche, plastische Gestein für einen sehr kurzen Moment spröde – es bricht – und dieses Beben löst die Scherwellen aus. Das Modell mit der Entwässerung funktioniert also – sofern es genügend wasserhaltigen Minerale in dem Gestein gibt, das da zurück ins Erdinnere gezogen wird. Anscheinend stimmen Laborergebnis und Realität auch im Detail ganz gut überein.

    In unseren derzeit laufenden Experimenten sehen wir vor dem eigentlichen Bruch kleinere Vorläufer, ähnlich wie an der Subduktionszone von Japan, wo wir ähnliche Vorläuferereignisse vor dem großen Beben sehen.

    Nur, dass es die Schwerwellen in der Erde nicht auf die in der Probe gemessenen Frequenzen im Gigahertz-Bereich bringen, sondern nur auf ein Hertz. Für die Forscher sind diese Beben in 300 Kilometern Tiefe allerdings nicht der "heilige Gral" der sehr tiefen Erdbeben, die zwischen 400 und 650 Kilometern entstehen. Sie sind ein erster Schritt um zu erfassen, was ganz tief unten passieren könnte. Dazu aber werden neue Experimenten unternommen.

    von Dagmar Röhrlich