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Berlin
Gegen Diskriminierung an Schulen

Rund ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler sind in der Schule mit Diskriminierung konfrontiert - auch viele Lehrer sind betroffen. Deshalb gibt es in Berlin jetzt eine Anti-Diskriminierungsstelle der Lehrergewerkschaft GEW.

Von Philip Banse | 22.06.2016
    Symbolbild aus vielen grünen Spielfiguren, die um eine einzelne rote Spielfigur stehen.
    Diskriminierung ist auch an Schulen ein großes Problem (Imago / McPhoto)
    "Es fing alles mit rassistischen Bemerkungen an, wie zum Beispiel: Ihr esst ja kein Schweinefleisch, weil ihr vom Schwein abstammt. Oder: Ihr riecht alle nach Gammelfleisch und ich könnte kotzen, wenn ich euch sehe!"
    Das musste sich Nihal Perincek aus Berlin in ihrer Berufsschule anhören. Sie ist gläubige Muslima und trägt ein Kopftuch.
    "Dann ging es mir immer schlechter, weil ich nichts sagen konnte, und habe das immer zu Hause ausgelassen und da dann auch geweint, weil es mich sehr belastet hat."
    Nihal Perincek ist zu Lehrerinnen gegangen. Die haben ihr nicht geglaubt oder das Problem ohne ihr Wissen vor der ganzen Klasse angesprochen, was die Beschimpfungen nur noch befeuerte. Der Schulleiter warf Nihal Perincek vor, das Ansehen der Schule zu beschädigen, und weigerte sich, sie unterrichten zu lassen.
    25 Prozent aller Schüler erleben Formen der Diskriminierung in der Schule, hat die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes durch Umfragen herausgefunden. Die Zahl der betroffenen Lehrer ist unbekannt. Bislang konnten Diskriminierungsopfer in Schulen nur vier Wege gehen: Beschwerde beim Direktor, Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde, eine Klage oder eine Strafanzeige:
    "Das sind aber alles Instrumente, die alle davon gekennzeichnet sind, dass es zu keiner guten Lösung des Problems kommt", sagt Klaudia Kachelrieß von der Lehrer-Gewerkschaft GEW. Die Berufsschülerin Nihal Perincek konnte nach Monaten die Schule wechseln und einen Abschluss mit 1 machen. Sie hätte ihre Qualen gern schneller beendet:
    "Ich hätte mir irgendeine neue Anlaufstelle gewünscht, um Rat zu suchen und das erst mal loszuwerden außerhalb der Familie. Jemand, der mir dann irgendwas aufgezeigt hätte. Man ist nicht in der Lage, klar zu denken, und weiß überhaupt nicht, was man machen kann."
    So eine unabhängige Beratungsstelle für Diskriminierungsopfer gibt es seit Anfang Juni in Berlin.
    "Wir haben eine gute Struktur von Anti-Diskriminierungsstellen in Berlin, allerdings ist die nicht spezifisch auf das System Schule ausgerichtet", sagt Aliyeh Yegane, Projektleiterin der Anlaufstelle Antidiskriminierung und Diversity an Schulen, kurz ADAS. Zwei Beraterinnen sind für Schüler, Schülerinnen, Lehrer und Schulmitarbeiter ansprechbar für Telefon, Twitter oder Facebook. Das Projekt ist durch Lottogelder bezahlt und auf zwei Jahre befristet. Das Projekt soll Erfahrungen, Daten und Fälle sammeln, um eine ständige Anlaufstelle für Anti-Diskriminierung an Schulen einrichten zu können.
    Zwei Jahre Erfahrungen sammeln für eine ständige Anlaufstelle
    Wie eine solche externe, dauerhafte Anlaufstelle aussehen könnte, das hat die Berliner Lehrer-Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft untersuchen lassen. Ergebnis: Eine solche Anti-Diskriminierungsstelle für Schulen muss staatlich sein, aber außerhalb der Schulverwaltung liegen, sagt der Studien-Autor, der Berliner Anwalt Carsten Ilius:
    "Es müsste die Möglichkeit geschaffen werden, dass Akten gesichtet werden; dass die Schule selbst betreten werden kann, dass mit den Beteiligten gesprochen werden kann, das heißt, dass Zeugenvernehmungen auch durchgeführt werden können. Das ist zunächst mal die entscheidende Grundlage."
    Darüber hinaus müsse gesetzlich geregelt werden, wie genau ein Beschwerdeverfahren abläuft und welche Sanktionen wie verhängt werden dürfen. Das bestehende Anti-Diskriminierungsgesetz gelte nämlich nicht für öffentliche Schulen, kein Bundesland habe ein Anti-Diskriminierungsgesetz für Schulen beschlossen, somit auch keine staatliche Beschwerdestelle für Schulen, sagt Anwalt Ilius:
    "Bisher gibt es so eine Stelle noch nicht. Für den Bereich der Schule betreten wir absolutes Neuland."
    Wichtig scheint genau zu definieren, was unter Diskriminierung verstanden wird. Das wird klar, als die Berliner Vorsitzende der GEW, Doreen Siebernik, die Frage beantwortet, wie denn Lehrer von Diskriminierung betroffen sind:
    "Ja, es gibt Diskriminierungsvorfälle beispielsweise in Bezug auf Benotung, ja, dass Eltern massiv gegen Lehrkräfte vorgehen, weil sie mit einer Abiturnote, einer Klausurnote, einer Zeugnisnote nicht einverstanden sind. Eltern sind zum Teil übergriffig, wenn es darum geht, Ordnungsmaßnahmen umzusetzen, die durch die schulischen Gremien erlassen wurden. Eltern sind in Konflikten untereinander teilweise auch schwierig, wenn dann vermittelnd eingegriffen wird. Eltern haben da schon zum Teil große Anteile."
    So könnte eine noch einzurichtende Anti-Diskriminierungsstelle jedoch zu einer allgemeinen Schlichtungsstelle für Schulprobleme mutieren - und in Arbeit ertrinken.