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Erdogan gegen seine Kritiker
"Egal wo Ihr seid, wir orten Euch"

Bislang ging Recep Tayyip Erdogan vor allem in der Türkei gegen seine Gegner vor. Jetzt lässt der türkische Präsident Kritiker auch im Ausland strafrechtlich verfolgen, berichten verschiedene Medien. Doch die Beweggründe sind andere als im Fall Böhmermann.

Von Michael Borgers | 22.01.2017
    Ein Aufkleber mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan neben dem hinteren Kennzeichen auf einem Auto.
    "In Deutschland schöpft Erdogan seine rechtlichen Möglichkeiten aus." (picture alliance / Henning Kaiser / dpa)
    Es war eine kleine Meldung in der "Hamburger Morgenpost" Ende vergangener Woche: Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittle in Amtshilfe für den türkischen Präsidenten gegen einen Mann aus Elmshorn. Dieser habe Erdogan auf Facebook einen "Ziegenbock" und einen "schizophrenen Hetzer" genannt. "Ein Skandal", zitiert die Zeitung Mahmut Erdem, Anwalt des Beschuldigten. Es könne nicht sein, dass die Bundesregierung die türkische Justiz für nicht unabhängig erkläre, dann aber Ankara den eigenen Rechtsapparat zur Verfügung stelle.
    Schon vor dem Zeitungsbericht hatte der Schweizer Journalist Fabian Eberhard via Twitter auf den Fall hingewiesen und seinem Tweet eine Fotografie der gerichtlichen Ladung beigefügt:
    Nach Rückfragen und Zweifeln an der Echtheit ließ Eberhard das Schreiben noch von der Initiative "Mimikama" überprüfen. Und die österreichische NGO stellte fest: kein Fake! Die Pressestelle des Gerichts hatte gegenüber der Organisation in einem Antwortschreiben bestätigt, "von einem türkischen Gericht im Wege der internationalen Rechtshilfe um gerichtliche Vernehmung einer im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts wohnhaften Person ersucht worden" zu sein. Für diese Vernehmung habe man den 13.02.2017 anberaumt.
    Deutsche Justiz handelt bereits, Schweizer wartet noch
    Offenbar war der Elmshorner Fall Teil der Recherche Eberhards für dessen Artikel "Erdogan verlangt Rechtshilfe von der Schweiz - wegen Beleidigung", der heute im Züricher "Tagesanzeiger" erschien. Demnach liegen dem Bundesamt für Justiz in Bern (BJ) mehrere Rechtshilfeersuche vor, mit denen Ankara Hilfe bei der Verfolgung von Kritikern wegen Beleidigung erfrage.
    Die türkische Regierung wolle, dass die Schweiz Personen verhöre und Beweise sammle, wird ein BJ-Sprecher zitiert. Noch habe das Bundesamt allerdings nicht über das Gesuch entschieden.
    Rechtlich möglich, aber auch erfolgreich?
    Erdogan wolle mit seinem Vorgehen vor allem ein Signal an die entsprechenden Personen aussenden, vermutet die deutsch-türkische Juristin und Publizistin Seyran Ates: "Euch möchte ich nicht mehr in meinem Land haben. Und egal wo Ihr seid, wir orten Euch." In der Türkei habe Erdogan ja entsprechende Klagen fallen gelassen. In Deutschland schöpfe er nun seine rechtlichen Möglichkeiten aus, sagte Ates dem Deutschlandfunk mit Blick auf Beleidigungsparagraf 103, auf den sich Erdogan auch bei seiner gescheiterten Klage gegen TV-Satiriker Jan Böhmermann berufen hatte und den der Bundesrat bald abschaffen will. "Ob er damit Erfolg hat, ist eine andere Sache." In Deutschland dürften die meisten Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, vermutet die Anwältin.
    "Man muss aufpassen, in welche Richtung das geht", warnt Mehmed Celik, Vorsitzender des Münchner Vereins "Idizem", der dortigen Gülen-Bewegung, die auch in den vergangenen Monaten Erdogans langen Arm nach Deutschland zu spüren bekommen hat, wie der Deutschlandfunk bereits Ende November 2016 berichtete. Celik erinnert im Gespräch mit dem Deutschlandfunk daran, dass zuletzt viele Menschen aus der Türkei geflohen seien, weil sie dort nicht ihre Meinung hätten sagen dürfen. Dass nun auch in Deutschland "massenhaft Informationen gesammelt", Türken ausspioniert und denunziert würden, sei bedenklich und problematisch.