Donnerstag, 25. April 2024

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Erdogan in Deutschland
Vielfältiger Protest gegen den Staatsbesuch

Präsident Erdogan wird vorgeworfen, ethnische und religiöse Minderheiten in der Türkei zu unterdrücken und Kurden auch in Syrien und im Irak zu bekämpfen. Die Gründe, warum Erdogans Staatsbesuch in Deutschland Protest auslöst, sind vielfältig.

Von Kemal Hür | 29.09.2018
    28.09.2018, Berlin: Demonstranten protestieren in der Innenstadt gegen den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan. Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa
    Demonstration gegen den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan in Berlin (picture alliance/Arne Immanuel Bänsch/dpa)
    "Erdogan ist nicht willkommen hier in Berlin." Tobias Pflüger, stellvertretender Vorsitzender der Linken, spricht auf einer Demonstration, zu der PKK-nahe kurdische Organisationen aufgerufen haben. Unterstützt wird die Veranstaltung von einem breiten Bündnis kleinerer Vereine und Gruppen aus dem türkischen, kurdischen und deutschen linken Spektrum. Auch die Antifa ist mit einem großen Block dabei.
    "Wer heute durch Berlin gelaufen ist, wurde an der einen und anderen Stelle behindert durch Polizei, die alles Mögliche abgesperrt hat. (…) Es war der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der darauf bestanden hat, es findet ein Staatsbesuch statt. Wir verurteilen es in aller Schärfe. Wir wollen nicht, dass Herr Erdogan hier einen Staatsbesuch bekommt", sagt Pflüger.
    Demonstranten, die sich als Opfer der Politik Erdogans sehen
    Der Linken-Politiker fasst damit die zentrale Aussage der Proteste gegen den Staatsbesuch zusammen. Es geht den Kritikern nicht um den Dialog an sich, sondern um die Form. So lautet auch das Motto der Demonstration: "Erdogan nicht willkommen".
    Erdogan unterdrücke alle ethnischen und religiösen Minderheiten in der Türkei und bekämpfe Kurden auch in Syrien und im Irak. Er habe alle staatliche Macht an sich gezogen und regiere das Land allein. Wenn Deutschland ihn mit allen protokollarischen Ehren empfange, akzeptiere es seine Unterdrückungspolitik und Alleinherrschaft, sagt einer der Initiatoren der Demonstration, Yüksel Koc, Ko-Vorsitzende des kurdischen Dachverbands "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa".
    Koc: "Alles das, was Erdogan nicht will, möchten wir haben: Demokratie, Freiheit, Frieden und Gleichberechtigung für alle Menschen, für alle ethnischen und religiösen Gruppen. Natürlich kritisieren wir, dass die Bundesrepublik Deutschland und Frau Merkel die schmutzige Politik von Erdogan unterstützen."
    An der Demonstration nehmen auch Menschen teil, die sich als Opfer der Politik Erdogans sehen. Der Bürgermeister einer Stadt im Osten der Türkei von der prokurdischen HDP wurde von Erdogan abgesetzt. Sein Amt übernahm ein Parteifreund Erdogans als Zwangsverwalter, wie das wie in vielen kurdischen Städten erfolgte. Burhan Kocaman lebt jetzt in Hamburg im Exil. Ein Staatsbankett für Erdogan – das sei Hohn für alle abgesetzten oder inhaftierten Oppositionellen in der Türkei, sagt er.
    Kocaman: "Erdogans Politik ist faschistisch. Es ist falsch, dass Deutschland, das wir als die Wiege der Demokratie bezeichnen können, solch einen Politiker in dieser Art und Weise empfängt. Ich denke, die Mehrheit des deutschen Volkes, die Demokraten und die Medien befürworten diesen Staatsbesuch auch nicht. Aber die Merkel-Regierung scheint eigene Interessen zu haben, die sie verfolgt."
    Hayko Bagdat ist ein armenischer Journalist aus Istanbul. Gegen ihn laufen in der Türkei mehrere Verfahren wegen angeblicher Terrorunterstützung und Beleidigung des Präsidenten. Bagdat lebt seit einigen Jahren mit seiner Familie in Berlin und hat lange mit dem Journalisten Can Dündar zusammengearbeitet. Er möchte der Bundesregierung eine Denkaufgabe stellen, sagt er.
    "Auf welcher Wertebasis spricht Deutschland mit Erdogan?"
    "Wenn all die Menschen, die Erdogan als Terroristen bezeichnet, tatsächlich Terroristen sind, warum dürfen wir dann hier gerade in Freiheit demonstrieren? Wenn wir aber keine Terroristen sind und Erdogan lügt, indem er Menschen, die für Demokratie und Menschenrechte arbeiten, anschwärzt, dann stellt sich die Frage: Auf welcher Wertebasis spricht Deutschland mit Erdogan?", sagt Bagdat.
    Die Demonstration dient solchen Fragen und trägt sie in die Öffentlichkeit. An einer Stelle zünden aber vermummte Teilnehmer Feuerwerkskörper an und zeigen eine große PKK-Fahne, sodass die Polizei die Demonstration kurzzeitig stoppt. Acht Personen werden festgenommen. Am Ende meldet ein Polizeisprecher, dass die Veranstaltung mit schätzungsweise 6.000 Personen weitestgehend störungsfrei verläuft.
    Weitestgehend störungsfrei war am Mittag auch die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin mit dem türkischen Gast im Kanzleramt verlaufen – mit einem kleinen Zwischenfall. Der türkische Redakteur eines deutsch-türkischen Nachrichtenportals aus Hamburg, Adil Yigit, zeigte ein T-Shirt mit der Aufschrift "Freiheit für Journalisten" und wurde von Sicherheitsbeamten aus dem Saal abgeführt. Was er draußen erlebte, machte ihn fassungslos, erzählte er später auf der Demonstration.
    Deutsche Sicherheitsleute wollten ihn vor dem türkischen Sicherheitspersonal beschützen, vermutete er. "Sie haben gesagt, wenn ich mein T-Shirt ausziehe und wieder hinsetze… Ich habe gesagt, okay. Aber die anderen Herren, die von der türkischen Seite Angst gekriegt und etwas befürchtet haben, haben gesagt, nein. Der Mensch vom BKA und Chef der Security hat mir gesagt, wir wissen nicht, wie die türkische Seite reagieren wird. Dann hat er gesagt, das geht nicht."
    Die Sicherheitskontrollen warfen auch an anderer Stelle Fragen auf, wer welche Zuständigkeiten hat. Beim Sicherheitscheck zur Pressekonferenz von Merkel und Erdogan wurde ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP im Gebäude des Bundespresse- und Informationsamtes von einem türkischen Sicherheitsmann gefragt, welche Fragen er Erdogan stellen und ob er die Situation der Journalisten in der Türkei ansprechen wolle.
    Wenn der türkische Präsident heute in Köln die prominenteste Moschee Deutschlands eröffnet, wird man genau hinschauen müssen, wer der Herr im Hause sein wird.