Mittwoch, 24. April 2024

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Zustand der Demokratie
Politikwissenschaftler: Populisten beuten Repräsentationskrise aus

Die repräsentative Demokratie stecke in einer Krise der Mechanismen, sagte der Politologe Philip Manow im Dlf. Diese hätten einst dafür gesorgt, dass Politiker im Interesse von Repräsentierten handelten und sanktionierbar waren. Das habe sich geändert. Populisten nutzten diese Krise nun für sich aus.

Philip Manow im Gespräch mit Michael Köhler | 10.05.2020
Der Politikwissenschaftler Philip Manow
Der Politikwissenschafter Philip Manow sieht die repräsentative Demokratie in der Krise (Markus Zielke)
Der derzeit gängige Diskurs sei, dass der Rückfall in den Nationalismus eine große Gefahr sei. Man könne aber dagegenhalten, dass die Demokratie auch immer an den Nationalstaat gebunden gewesen sei, sagt der Politikwissenschaftler Philip Manow. "Wir kennen keine suprastaatliche Demokratie."
Man könne sich länger über Europa unterhalten, aber Europa sei im engeren Sinne keine Demokratie - so sei beispielsweise das Gleichheitsprinzip der Stimmen nicht gewährt. "Sechs Millionen Dänen haben keine Lust, sich von 83 Millionen Deutschen nach dem Mehrheitsprinzip mitregieren zu lassen." Auch könne man ja die EU-Kommission nicht abwählen wie beispielsweise eine Regierung. "Die grundlegenden demokratischen Sanktionsmechanismen gibt es nicht", so der Autor des Buches "(Ent-)Demokratisierung der Demokratie".
Krise der Repräsentation
Bei aller Diagnostik über die Krise der Demokratie, die derzeit herrsche und sich in zahlreichen Buchtiteln zeige, bekomme man Zweifel, wie triftig diese Diagnosen seien. Was derzeit zu beobachten sei, sei das, was der Intellektuelle Francis Fukuyama schon 1990 diagnostiziert hatte: "Die Demokratie ist alternativlos geworden." Putin, Erdogan und das Teheraner Regime müssten dem quasi Tribut zollen, indem sie Wahlen abhielten, auch wenn diese "Travestien von demokratischen Wahlen" seien.
Derzeit zeige sich vor allem eine Krise der Repräsentation - sie funktioniere nicht mehr so, wie die repräsentative Demokratie sich in den ersten vier, fünf Nachkriegsjahrzehnten dargestellt habe. Es sei eine Krise der Mechanismen, die eigentlich dafür sorgten, dass Repräsentanten tatsächlich im Interesse von Repräsentierten handelten, "dass sie kontrollierbar sind, dass sie beobachtbar sind, im Zweifel sanktionierbar sind, also abgewählt werden können", so Manow.
Vollkommener Verlust von Diskurshegemonie
Es sei ein Bündel von Faktoren verantwortlich, aber dazu gehöre der vollkommene Verlust von Diskurshegemonie - das völlig hilflose Hinterherhecheln von Parteien hinter Diskursen, die mittlerweile ganz anderen Dynamiken hätten.
Als Beispiel nannte Manow das Rezo-Video mit über zehn Millionen Klicks. Auch die Thüringer Wahl sei wahrscheinlich auch ein völliges Kommunikationsdesaster gewesen. Die Parteien hätten "ihre Aggregierungs-, ihre Kanalisierungs-, ihre Moderierungsfunktion verloren" - alles sei ins Web diffundiert. Das sei auch ein Demokratisierungsprozess: "Jeder kann mitreden. Den Eliten wird das aus der Hand genommen." Es sei die Krise der repräsentativen Demokratie, die sich gerade sehr umfassend demokratisiere.
Ursache und Wirkung nicht verwechseln
Die tiefe Krise der Repräsentation werde aber auch ausgebeutet - unter anderem durch Populisten. Diese benötigten für ihre Politik Feinde. Das seien dann Brüssel oder der EuGH. Trump brauche Feinde, das wären dann vielleicht mexikanische Einwanderer. Die Frage sei, "ob man die Feindeslogik, die das populistische Projekt als Flugbenzin dauernd braucht, ob man da einsteigt - unter anderem damit, dass man sie auch selbst zu Feinden erklärt."
Insgesamt sei derzeit aber vor allem erst mal eine Krise der demokratischen Repräsentation zu beobachten, die sich vielleicht dann in eine Krise der Demokratie auswächst. "Da sollte man Ursache und Wirkung nicht verwechseln."