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Erfolge und Scheinerfolge im Kampf gegen Krebs

Medizin. - Heilsversprechen waren seine Sache nie: Robert Weinberg ist durch seine Krebsforschung berühmt geworden, hat das renommierte Whitehead Institut in Cambridge bei Boston mit aufgebaut und arbeitet dort bis heute. Doch obwohl er wie kaum ein anderer dazu beigetragen hat, die molekularen Ursachen des Krebs aufzuklären, zieht er den Erfolg von Krebstherapien gern in Zweifel oder relativiert ihn zumindest.

Von Grit Kienzlen | 04.01.2006
    Über seine Forschung spricht der lebhafte, rundliche Mann mit dem üppigen schwarzen Schnauzer lieber auf englisch. Wenn irgend möglich füllt er seine Sätze aber mit deutschen Begriffen auf, die der 1942 in Pittsburgh geborene Robert Weinberg größten Teils von seinen aus Deutschland emigrierten Eltern gelernt hat:

    " My Wortschatz has grown since Kinderstube, but anyhow, the Grundlage came from there. "

    Was macht eine Zelle zur Krebszelle? Das ist die Frage, die Weinberg jahrzehntelang umgetrieben hat; die ihn das erste Krebsgen, im Fachjargon "Onkogen", hat finden lassen und das erste Tumor-Unterdrückungsgen. Viele Labors eiferten ihm nach, so dass die Wissenschaft heute ein recht umfassendes Bild davon hat, wie es eine Zelle durch mehrere Mutationen schafft, sich unkontrolliert zu teilen und im Körper zu streuen. Besser behandelbar wurde der Krebs deshalb aber zunächst nicht, meint Weinberg:

    " Erst jetzt, in den letzten drei, vier, fünf Jahren beginnt man das Wissen über die Ursachen des Krebs zu nutzen, um neue Behandlungskonzepte zu verfolgen. Es gab ein paar Fortschritte dadurch, aber sie sind noch sporadisch, keine großen Würfe, abgesehen von einer kleinen Anzahl von Krebsarten."

    Ein Beispiel für den Erfolg durch das neue Grundlagenwissen ist für ihn das seit 2001 zugelassene Medikament Gleevec, das gegen einen Blutkrebs, die chronische Myeloische Leukämie, entwickelt wurde. Es blockiert gezielt das Produkt des Krebsgens bcr-abl. Mehr solcher gezielter Therapien müssten nun entwickelt werden, glaubt er, denn die Krebsrate werde weiter steigen, zumindest die absoluten Zahlen:

    " Krebs wird in den westlichen Gesellschaften noch zu einem großen Problem werden, weil er eine Krankheit alter Leute ist. Die Darmkrebsrate bei 70jährigen Männern liegt 1000 mal höher als bei zehn Jahre alten Jungs. Im Westen wird die Bevölkerung immer älter. Deshalb steigt die absolute Zahl von Krebsfällen steil an, nicht etwa, weil wir in einer gefährlicheren oder giftigeren Umwelt leben, sondern einfach, weil wir nun lang genug leben, um eine Alterskrankheit zu bekommen. "

    Allen Unkenrufen, der Krebs werde immer häufiger, weil wir mit krebserregenden Stoffen bombardiert werden, erteilt er damit eine Absage. Stattdessen spielt aus Sicht des Krebsforschers noch ein anderer Effekt eine wichtige Rolle für die scheinbare Zunahme an Krebsfällen: Je mehr man sucht, desto mehr findet man.

    " In diesem Land haben 80 Prozent der 80jährigen Männer Prostatakrebs, den Autopsien zufolge. Wie viele sterben an Prostatakrebs? Etwa drei Prozent. In Amerika wird Prostatakrebs sechs Mal häufiger diagnostiziert als in Dänemark. Wie sieht es nun mit der Sterblichkeit in Amerika und Dänemark aus? Sie liegt genau gleich hoch. Mit anderen Worten: Wer suchet, der findet. Dabei sind das meiste, was wir finden, Krebserkrankungen, die ohnehin nicht tödlich verlaufen wären."

    Dennoch lassen sich in den USA 95 Prozent der Männer mit der Diagnose Prostatakrebs behandeln. Denn noch kann kein Arzt unterscheiden, welcher Tumor am besten ignoriert werden sollte, welcher zumindest weiter beobachtet werden muss und welcher aggressive Behandlung braucht. Genau diese Unterscheidung werde die Krebsforschung in den kommenden Jahren aber ermöglichen. Doch auch heute schon künden viele medizinischen Studien von deutlich längeren Überlebenszeiten für Krebspatienten, die rechtzeitig behandelt werden. Für Robert Weinberg möglicherweise auch nur ein statistisches Artefakt:

    " It could all be Quatsch, Quatsch mit Soße, why?

    Warum? Weil wir diese Krankheiten heute möglicherweise nur früher in ihrem natürlichen Verlauf entdecken. Wenn Lungenkrebs einen natürlichen Verlauf von fünf Jahren hat und Sie finden ihn im vierten Jahr, dann lebt der Patient noch ein Jahr, egal, wie Sie ihn behandeln. Wenn Sie den Krebs nun schon im dritten Jahr entdecken, lebt er noch zwei Jahre. Eine statistische Verzerrung."

    Was dagegen wirklich hilft, gegen Krebs, verrät er den Zuhörern auch. Nicht rauchen, vernünftiges Essen und Bewegung reduziere die Sterblichkeit an Krebs weit mehr als irgendetwas, das er als Forscher ausrichten könne.