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Erfolgreiche Inklusion

Inklusion kann funktionieren – das beweist eine kleine Grundschule im thüringischen Mühlhausen. Integrationshelfer stehen hier den eingeschränkten Schülern persönlich zur Seite. Die Pädagogen der Schule sagen: Ohne Eins-zu-eins-Betreuung klappt es nicht.

Von Blanka Weber | 21.05.2013
    Inga Keysner ist Klassenlehrerin an der Freien integrativen Grundschule in Höngeda nahe Mühlhausen in Thüringen.

    In U-Form sitzen gerade einmal acht Kinder vor ihr und buchstabieren. Zwei Kinder sitzen in einer kleinen Leseecke und üben einen Dialog. Der Raum ist hell, lichtdurchflutet, besitzt helle Möbel und große, mit Blumen und Sonnen bemalte Fenster. Genau dort sitzen Pascal und Susanna.

    Susanna fährt mit dem Finger über die vielen einzelnen Punkte auf ihrem weißen Blatt und lernt, wie die anderen auch, lesen und schreiben. Nur eben alles in Blindenschrift. Und damit das gut klappt, bekommt sie rund um die Uhr Hilfe von Kathrin Menda – der Integrationshelferin. Denn Susanna ist auch autistisch.

    Die beiden verbringen fast den gesamten Unterrichtstag nebeneinander, während im selben Raum parallel unterrichtet wird. Ohne Eins-zu-eins-Betreuung geht Inklusion nicht, sagt die spezialisierte Pädagogin:

    "Ich finde es sehr, sehr gut, dass jetzt von Inklusion gesprochen wird, bin aber der festen Überzeugung, dass es da keine Schwarz-Weiß-Trennung gibt, sondern, dass es immer eine Einzelfallentscheidung ist."

    Das Umfeld muss stimmen, meint sie. Vor ihr und Susanna steht eine kleine hellgrüne Kinderschreibmaschine für Blinde. Der Tisch, an dem sie sitzen, ist aufklappbar mit einer extra eingebauten Lichtquelle, damit Susanna mehr als nur Umrisse erkennen kann, wenn sie Text darunter legt. An ihrem Computer befindet sich eine kleine Kamera zum Scannen von Buchstaben und Bildern – es sind ihre Hilfsmittel für den Schulalltag:

    "Und sie ist dann in der Lage, Bilder zu erkennen, Strukturen zu erkennen, hat einen höllischen Spaß damit."

    Neben Susanna sitzt Pascal. Auch er hat eine separate Integrationshelferin an seiner Seite und stempelt gerade Buchstaben.

    Auch Pascal ist mehrfach behindert und Autist. Er galt als unbeschulbar. Hier in den Mühlhäuser Werkstätten, der Freien integrativen Grundschule, hat man ihn schließlich genommen. Es funktioniert, auch mit den anderen Kindern in der Klasse.

    Martin Degner, promovierter Pädagoge, spezialisiert auf autistische Kinder, wünscht sich generell mehr Offenheit und Präsenz behinderter Menschen in der Öffentlichkeit. Die kleine blinde Zweitklässlerin sei ein gutes Beispiel fürs Umdenken:

    "Die Susanna, die auf uns erst mal blind und autistisch wirkt, ist unheimlich begabt in ihrer Merkfähigkeit, ist in Mathematik und Englisch sehr begabt, hat den anderen viel voraus, macht Stoff, der teilweise schon in der 3. Klasse ist. Sie sehen, das ist ein ganz ganz begabtes Mädchen."

    Was in der Schule funktioniert, klappt dann auch im Berufsleben, sagt Martin Degner:

    "Und so hoffen wir, können sie dann auch mal als Arbeitgeber agieren und sagen, diese Frau hat vielleicht ihre Schwierigkeiten im Laufen, Hören, Sehen, aber sie hat in dem Bereich viel größere Stärken, z. B. Computerkenntnisse, sie ist ausdauernd, kann sich durchkämpfen und werden diese Sachen viel mehr schätzen und nicht beim Blick auf eine offensichtliche Behinderung das erst mal eine Bewerbung nach hinten schieben, sondern den ganzen Menschen sehen."

    Erfahrungen hat er unter anderem in Schweden gesammelt, man könne von dort lernen, dass Schule, Beruf und Öffentlichkeit mit Behinderten etwas ganz Normales sein kann, formuliert er und baut gerade mit seinen Kollegen der Mühlhäuser Werkstätten eine zweite Schule auf, eine weiterführende Gesamtschule.