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Erfolgreiche Zusammenarbeit
Martha Argerich und Itzhak Perlman im Duo

Sie müssen sich absichtlich aus dem Weg gegangen sein. Denn anders lässt sich nicht erklären, dass die Pianistin Martha Argerich und der Geiger Itzhak Perlman erst mit über 70 ihre erste gemeinsame Platte präsentieren. Ihre Interpretationen von Brahms, Bach und Schumann zeigen, dass die beiden wunderbar zusammenpassen.

Von Raoul Mörchen | 09.10.2016
    Die argentinische Pianistin Martha Argerich während einer Probe in der Philharmonie Berlin (2013).
    Die argentinische Pianistin Martha Argerich während einer Probe in der Philharmonie Berlin (2013). (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Schumann, Sonate Nr.1 op. 105
    I. Mit leidenschaftlichem Ausdruck
    Fast zwei Jahrzehnte hat diese Aufnahme mit Schumanns erster Violinsonate in der Schublade gesteckt. Was für eine Schande! 1998 war es, da trafen sich Martha Argerich und Itzhak Perlman in der Kurstadt Saratoga nördlich von New York zu einem Recital. Zusammen aufgetreten waren sie so gut wie nie und hatten auch noch nie eine gemeinsame Platte veröffentlicht. Gidon Kremer war und blieb die erste Wahl für Martha Argerich, wenn sie einen Geiger suchte, der Lieblingspianist von Itzhak Perlman hieß Vladimir Ashkenazy. Beide, Argerich wie Perlman, hatten damit richtig entschieden, beide haben mit ihren jeweiligen Partnern grandiose Konzerte gegeben und Schallplatten produziert, die zur Referenz wurden.
    Wie auch immer dann die Zusammenkunft von Argerich und Perlman anno 1998 zustande kam, sie wurde aufgezeichnet und der Livemitschnitt wenig später veröffentlicht. Will sagen: in Teilen veröffentlicht. Sonaten von Beethoven und Franck machten damals das Rennen, Schumanns Sonate opus 105 blieb liegen. Wer die Schumann-Aufnahme jetzt hört, kann das nicht verstehen: Sie ist explosiv, in jedem Moment aufregend, sie ist hoch-romantisch und einfach himmlisch. So eine Aufnahme darf man nicht verstecken.
    Schumann, Sonate Nr.1 op. 105
    III. Lebhaft
    Der Erfolg der Zusammenarbeit war nicht abzusehen. Denn so unbestritten der Rang der beiden Musiker Argerich und Perlman ist, so unterschiedlich ist ihr Temperament. Argerich ist wie ein Unwetter. Man wird von der Gewalt ihres Spieles förmlich weggefegt; nicht einmal Kollegen wie Emil Giles oder Swjatoslaw Richter haben am Flügel so zugelangt wie sie. Perlman dagegen ist ein Schwelger und Verführer, sein warmer, weicher Ton reine Nostalgie. Doch wundersamerweise passt gerade das hier nahtlos zusammen und ergänzt sich aufs Schönste. Keiner der beiden muss dabei sich selbst verleugnen.
    Martha Argerich klingt unverwechselbar nach Argerich. Schumanns dichte Kontrapunktik spielt sie, als habe sie dafür nicht ein Klavier, sondern gleich zwei zur Verfügung, so viele Stimmen springen gleichzeitig heraus, so vielen Linien will man folgen - Akzente und Phrasen konkurrieren allenthalben um unsere Aufmerksamkeit. Beinahe wird es zu viel, doch da ist eben auch noch Itzhak Perlman, der Argerich seine Hand auf die Schulter legt: der mit einer ganz natürlichen, selbstbewussten Linienführung der Musik, wenn sie auseinander zu bersten droht, Halt gibt und der ihren Härten mit Liebenswürdigkeit begegnet.
    Schumann, Sonate Nr.1 op. 105
    I. Mit leidenschaftlichem Ausdruck
    Nun ist er also wieder da, der lange so sträflich verleugnete Schumann. Doch was tun mit einer Aufnahme, die gerade eine Viertelstunde dauert? Martha Argerich und Itzhak Perlman haben sich nach beinahe zwanzig Jahren noch einmal getroffen und - zum ersten Mal überhaupt im Studio - noch ein paar weitere Werke aufgenommen, um die Sache komplett zu machen: Schumanns Fantasiestücke op.73, das c-Moll-Scherzo von Brahms und eine stilistisch ziemlich aus dem Rahmen fallende Sonate von Bach.
    Der Geiger Itzhak Perlman
    Der Geiger Itzhak Perlman (picture-alliance / dpa / Oliver Weiken)
    Bach will man heute eigentlich lieber von anderen Musikern hören, nicht von zweien, an denen die Revolution der historischen Aufführungspraxis völlig unbemerkt vorbei gerauscht ist. Und die auf ihre alten Tage auch nichts mehr umstellen wollen: Argerich nicht ihren Anschlag, Perlman nicht seinen Ton, der auch bei Bach keinen Moment ohne Vibrato sein kann und beim Lagenwechsel immer noch so schön schluchzt, als sei's eine Zugabe von Fritz Kreisler. Doch selbst den Bach hört man gerne. Und ist überrascht, wie bescheiden sich die beiden Stars hinter die Musik stellen. Furor und Ektase weichen jugendlicher Frische und Heiterkeit.
    Bach: Sonate BWV 1017
    II. Allegro
    Wie aber, und das die doch wohl spannendste Frage an dieses neue Album, wie aber werden Schumann klingen und Brahms: Brodelt die Romantik heute, im Studio, noch so wie damals, live, vor 18 Jahren? Die Frage ist vor allem mit Blick auf das c-Moll-Scherzo von Brahms schnell beantwortet: ja! Das Studio hat nur ein paar raue Ecken abgeschliffen, aber der Motor Argerich-Perlman läuft immer noch auf vollen Touren. Perlman, als Geiger mit 70 längst im kritischen Alter, klingt sogar noch besser, noch etwas freier und im Ton fester als mit Anfang 50. Und Argerich spielt Brahms, als täte sie nichts lieber: Dabei, sagt sie, mag sie den Komponisten gar nicht. So grandios und triumphal jedenfalls wie hier hat man diesen Satz vielleicht noch nie gehört.
    Brahms: FAE-Scherzo c-Moll
    Das wäre ein fantastisches Finale. Doch es geht, hört man die neue Platte von Argerich und Perlman in einem Rutsch, weiter mit Bach. Im Grunde ist das natürlich ein Unding, so wie man überhaupt hinter die Dramaturgie dieser Veröffentlichung ein Fragezeichen setzen möchte. Natürlich, Bach war der Leitstern von Schumann und Brahms, Schumann wiederum der Mentor von Brahms: Es gibt da schon ein paar Klammern. Gleichwohl wirkt das Programm wie ein Potpourri, wie ein "The Best of". Wie viel sinnvoller wäre es gewesen, der ersten Schumann-Sonate auch die anderen beiden zur Seiten zu stellen - um dann später noch einmal die drei Sonaten von Brahms gesondert aufzunehmen und, wenn's denn sein muss, irgendwann auch noch ein Bach-Album?
    Es spricht vieles dafür, dass Argerich und Perlman geahnt haben, dass es dazu eh nie kommen wird. Und dass die erste, halbe Studio-Session dieser beiden großen Künstler auch ihre letzte bleiben wird. Man kann nicht anders, als diese trübe Aussicht zutiefst bedauern. Um sich am Ende umso mehr zu freuen, dass es - Programmdramaturgie hin und her - zumindest diese Platte gibt: als Zeugnis eines Treffens zweier Musiker, die sich in ihren unterschiedlichen Temperamenten so ideal ergänzen wie kaum zwei andere.
    Schumann, Fantasiestück op.73, 1
    1998 blieb bei ihrer bis dahin einzigen CD-Produktion die erste Sonate von Robert Schumann unberücksichtigt. Jetzt haben die Pianistin Martha Argerich und der Geiger Itzhak Perlman den alten Livemitschnitt mit neuen Studio-Aufnahmen ergänzt: mit der Sonate BWV 1017 von Bach, dem c-Moll-Scherzo von Brahms und Schumanns Drei Fantasiestücken op.73. Zum Schluss hörten wir das erste der Fantasiestücke, aufgenommen vor einem halben Jahr im Salle Colonne in Paris. Die neue Platte ist jetzt erschienen bei Warner Classics.