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Erhard Eppler: Auslaufmodell Staat?

Münteferings Heuschrecken-Metapherwar eine große Klage über die anschwellende Macht von Unternehmen und Kapitaleigentümern. Zwischen den Zeilen heißt dies aber auch: Die Macht des Staates schwindet. Und das liegt auch daran, dass ein starker Staat einer ist, der Geld hat. Schrumpft also die Macht des Staates unwiderruflich? Erhard Eppler hat sich diese Frage gestellt.

Von Renate Faerber-Husemann. Redakteurin am Mikrophon: Sandra Pfister | 13.06.2005
    Das Buch erscheint zum richtigen Zeitpunkt. Denn die modisch gewordene Staatsverachtung geht einher mit einer Privatisierungseuphorie, die vielleicht ebenso schädlich ist wie der überbehütende, jede Risikobereitschaft abwürgende Staat früherer Jahrzehnte. Gerade erst hat die künftige schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen "weniger Staat” versprochen. Die neuen Grundsätze lauten, so Jürgen Rüttgers, "Freiheit vor Gleichheit, Verdienen vor Verteilen, Privat vor Staat.” Erhard Eppler setzt dagegen ein gelassenes Plädoyer für eine staatliche Ordnung, die gerade in Umbruchzeiten ein Mindestmaß an Sicherheit für die von Zukunftsängsten gebeutelten Menschen bietet. Da der Mann sich als früherer Entwicklungsminister auf dem Globus auskennt, weiß er, was passieren kann, wenn der Staat sich zurückzieht, wenn er sein Gewaltmonopol an Private abtritt, wenn er verarmt: Oft werden die Starken stärker, die Schwachen noch schwächer. Der heute 78jährige, der sein Berufsleben als Lehrer begann, hat eine Begabung, schwierige Zusammenhänge in einfachen Sätzen zu erklären, etwa wenn er fragt:

    "Wie lange werden sich die Menschen damit abfinden, dass ein erfolgreicher Unternehmer ist, wer durch Entlassungen den Aktienwert steigert, ein erfolgreicher Kanzler aber, wer die Arbeitslosigkeit beseitigt? Vielleicht so lange, bis sie gemerkt haben, wer da am längeren Hebel sitzt?"

    Die neoliberale Religion vom Markt, der alles richten werde und vom Staat, der dabei nur störe, hat zahllose Anhänger, auch unter den Wohlstandsverlierern, den Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen. Der historisch sattelfeste Autor sucht nach Gründen für dieses Misstrauen gegenüber den demokratisch gewählten politischen Institutionen: Der Nationalstaat habe sich im blutigen 20. Jahrhundert diskreditiert. Für die so genannte 68er Generation, so Eppler, war er eher ein Instrument der Repression, und Staatsverspottung wurde zur gefährlichen Mode – wohl eine Reaktion auf die einstige "Staatsvergottung”. Auch George Orwells Roman "1984” hat die Einstellung der Bürger zum Staat nachhaltig verändert. Den Folgen des Misstrauens widmet Eppler eines der spannendsten Kapitel des Buches. Die vom Staat wie unmündige Kinder behandelten DDR-Bürger zogen sich zurück ins private Nischenleben. Nach der Wiedervereinigung, die neue Freiheiten, aber eben auch Unsicherheiten brachte, wurde aus dem zwar ungeliebten, aber Sicherheit garantierenden "Vater Staat” rasch der "Rabenvater”. Europa – das Nein zur Verfassung in Frankreich und den Niederlanden hat es gerade gezeigt – wird noch nicht als notwendige Ergänzung zum Nationalstaat akzeptiert – einem Nationalstaat, der durch die Globalisierung geschwächt ist:

    "Europäer tun sich schwer mit dem Gedanken, der Staat, der im 20. Jahrhundert an mehr als einer Stelle Allmacht erstrebt und missbraucht hat, könne so abmagern, dass er seine einfachsten Pflichten nicht mehr zu erfüllen vermag. Und sie tun sich noch schwerer mit der Erfahrung, dass Politiker, Regierungen, die über die Machtmittel des Staates verfügen, daran kaum etwas ändern können. "

    Eppler beschreibt einen Teufelskreis, aus dem es für den einzelnen Nationalstaat kaum ein Entkommen gibt. Nur ein großer, sich seiner Macht bewusster Staatenbund wie die Europäische Union könnte ihn durchbrechen. Etwa durch die Einführung von Mindeststeuern für Unternehmen, damit der unselige Steuerwettbewerb unter den Mitgliedern abgebremst wird und wieder Geld in die Kassen kommt. Wegen fehlender Einnahmen verarmt die Kultur, werden Schwimmbäder geschlossen, sind Schulen und Hochschulen in desolatem Zustand. Die Straßen verkommen, der Staat entfällt als Auftrag- und Arbeitgeber. Auch das entfremdet die Bürger ihrem Staat :

    "Was eine ungleich ärmere Gesellschaft sich geleistet hat, kann sich die ungleich reichere nicht mehr leisten. Und diese ungleich reichere Gesellschaft wundert sich über hohe Arbeitslosigkeit."

    Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Dem Staat brechen die Steuern weg. Konzerne lassen sich dort nieder, wo das Steuerklima für sie günstig ist. Um sie zu halten, sind Unternehmenssteuern und Spitzensteuersätze ständig gesunken. Gestiegen ist dagegen die Zahl der Arbeitslosen, die keine Steuern zahlen sondern alimentiert werden müssen. Das alles führt dazu, dass die Gesellschaft trotz der wachsenden Zahl der Armen insgesamt immer reicher wird, der Staat immer ärmer. Der altersweise Erhard Eppler ist gewiss kein Apokalyptiker – und ebenso weit entfernt von jeder nostalgischen Überhöhung des Staates. Doch gerade weil er in geschichtlichen Zusammenhängen denkt, gibt es für ihn keine Alternative zu einem Staat, der stark genug ist, um den die Bürger vor Lebensrisiken und vor Willkür zu schützen. Und die viel zitierten Bürger der Zivilgesellschaft, die bereit sind, stellvertretend Verantwortung für sich und andere zu übernehmen? Gerade sie brauchen, so Eppler, den verlässlichen, demokratischen Rechtsstaat, der auf seinem Gewaltmonopol besteht. Zumindest Europäer erwarten dies, auch wenn sie sich zur Zeit widersprüchlich verhalten. Sie fordern – und wählen – "weniger Staat”. Sie rufen aber sofort nach jenem Staat, wenn sie selbst unter Lohndumping leiden oder selbstverständlich gewordene Leistungen gestrichen werden müssen, weil die Kassen leer sind.

    "Einen Staat, der seine Bürger im Fall der Krise, sei es eine persönliche oder eine der gesamten Wirtschaft, ins Bodenlose fallen ließe, könnten sie nur verachten. Er hätte ihre Loyalität verspielt."

    Der einstige Entwicklungsminister verweist dabei auf Beispiele aus anderen Ländern, erzählt, wie – nicht nur in Afrika – Staaten abmagerten, regelrecht ausgehungert worden seien. Wie die immer schlechter oder gar nicht bezahlten Staatsbediensteten nur mit Hilfe von Korruption überleben könnten. Wie dadurch private Sicherheitsdienste, Söldner und multinationale Konzerne immer mehr Macht an sich rafften – bis hin zum völligen Zerfall von Staaten. Europa sei zwar nicht Afrika, schreibt Eppler, vielleicht aber schon auf dem Wege zur Staatsdemontage, wenn dem Markt alles, dem Staat nichts mehr zugetraut wird. Die Diskussion darüber, was wir vom Staat erwarten und woher die Mittel kommen sollen, damit notwendiges Abspecken nicht in Magersucht umschlägt, hat in Deutschland kaum begonnen. Noch gilt als vorgestrig, wer die Gefahren eines zu schwachen Staates thematisiert. Vielleicht wird Erhard Epplers Buch, das komplizierte Zusammenhänge verständlich und deshalb ökonomische und politische Laien klüger macht, die notwendige Debatte anstoßen .

    "Auslaufmodell Staat?" heißt das neue Buch von Erhard Eppler. Es erscheint am 22. Juni bei Suhrkamp, umfasst 240 Seiten und wird 10 Euro kosten. Renate Faerber-Husemann hat es vorab rezensiert.