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Erhellendes über Geheimdienste

"Mein Leben als CIA" von Harry Mathews ist ein Schlüsselroman über die Methoden und die strukturellen Schwachstellen von Geheimdiensten. Die Lektüre des als Autobiografie angelegten Buches ist unterhaltsam, abwechslungsreich und erhellend.

Von Thomas Böhm | 11.09.2006
    Woher nimmt jemand die Berechtigung, die Verfehlungen seines Lebens der Öffentlichkeit aufzudrängen statt sie mit einem Freund, einem Therapeuten oder seinem Gewissen auszumachen? Und was bedeutet es, für diese Offenbarung eine literarische Form zu wählen? Es waren Fragen wie diese, die den 1930 geborenen amerikanischen Autor Harry Mathews zu seinem - so der Untertitel "autobiographischen Roman" - "Mein Leben als CIA" inspirierten.

    "In den 1990er Jahren kamen in Amerika plötzlich Autobiografien in Mode. Ich fand es irritierend von traumatischen Erlebnissen auf Basketballfeldern im Alter von 16 Jahren zu hören. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Aber nach ein paar dieser Offenbarungen empfand ich sie als falsch in der Form. Ich meine damit, dass es sich um eine literarische Form handelte, die ihre Berechtigung einzig und allein daraus bezieht, dass sie - in Anführungszeichen - 'ehrlich' ist.

    Ich erinnere mich an ein Zitat von Henry James, der sagte: 'Der venezianische Maler Tintoretto hat nie einen unmoralischen Pinselstrich getan.' Mir ging auf, was Henry James damit meinte: dass die Verantwortung des Künstlers nur darin besteht, das Bild lebendig zu machen. Und meine literarische Antwort darauf ist, dass das Geschehen auf der Buchseite lebendig sein muss. Die Frage nach der Wahrheit - hinter der sich eine Frage nach den Fakten verbirgt - ist zweitrangig gegenüber der Anforderung, einer Buchseite Leben zu geben."

    Die Seiten seines Romans werden vor allem dadurch lebendig, dass Mathews - den ein Kritiker aufgrund der Eleganz seines Stils den "Fred Astaire der amerikanischen Literatur" nannte - die Atmosphäre des Paris' Anfang der 70er Jahre einfängt, die geprägt war von der Präsenz großer Intellektueller und Künstler und den Nachwirkungen der Studentenrevolte von 1968. In diesem Umfeld geriet Mathews, weil er gutaussehend war, in den interessantesten Kreisen verkehrte und keiner geregelten Tätigkeit nachging, in den Verdacht, für die CIA zu arbeiten. Zunächst ist Mathews diese Reputation höchst unangenehm, doch als der Dollarkurs sinkt und Mathews die Mittel für sein Leben in Paris auszugehen drohen, beginnt er seinen Ruf als Agent auszunutzen. Er gründet eine Scheinfirma und landet bald seinen ersten Coup: Er verkauft Schrott aus der Werkstatt des Künstlers Jean Tinguely als Wrackteile eines russischen Überschallflugzeugs.

    Diese wie viele andere Passagen im ersten Teil von "Mein Leben als CIA" sind höchst amüsant, lassen sich auch als eine Feier der Fantasie lesen, die es mit jedem Geheimdienst der Welt aufnehmen kann. Er sei selbst von dem Effekt seiner vermeintlichen Spionageaktivitäten überrascht gewesen, so Mathews, der seine Erfahrung zwiespältig beurteilt:

    "Ich glaube, es war eine Mischung aus unglaublicher Ineffizienz und genialer Brillanz auf Seiten der CIA. Ich glaube, dass die Leute oft vergessen, dass es die Hauptaufgabe der CIA ist, Informationen zu sammeln. Was mich wirklich überrascht hat: Wie gefährdet die Organisation ist, wie anfällig für persönliche Zweifel und Fehleinschätzungen auf allen Ebenen der Hierarchie - meist berechtigte Zweifel. Der CIA bekommt Aufträge, die er ausführen muss. Die Folgen lassen sich kaum abschätzen. So wurden aus den Afghanen, die die CIA ausbildete, um die russische Armee zu besiegen, die Taliban."

    Die Aufrüstung der Taliban, aus deren Umfeld El Kaida entstand, und die politische Destabilisierung des Iran, die schließlich zum Mullah-Regime und der zurzeit aufziehenden atomaren Bedrohung führte, sind aus heutiger Sicht die größten Fehler, die die CIA in seiner Geschichte begannen hat. In Bezug auf solche verheerenden strategischen und taktischen Fehler liest sich Mathews "Mein Leben als CIA" wie ein Schlüsselroman über die Methoden und die strukturellen Schwachstellen von Geheimdiensten, wobei Mathews die aufklärende Funktion seines Buches wie der Literatur generell nicht überbewerten will.

    "Was wirkliche Kunst, Literatur und Musik bewirken können ist, gegen die Arten des Denkens zu arbeiten, die politischen Missbrauch möglich machen. Das lässt sich schwer im Detail beschreiben. Jacques Roubaud, mein Kollege bei Oulipo, hat einen kurzen Text über den Regenwurm geschrieben. Der Regenwurm bohrt seinen Weg unsichtbar durch die Erde und führt ihr dabei Luft zu. Er verändert ihre Zusammensetzung und ermöglicht so neues Wachstum. Genau das macht ein Dichter mit der Sprache. Das haben meine Freunde und ich immer versucht."

    Durchlüftung der Sprache, Schlüsselroman über Geheimdienste, Auseinandersetzung mit der literarischen Form der Autobiographie, detailreiche und atmosphärisch dichte Schilderung des Paris' der 70er Jahre - am Ende der abwechslungsreichen und erhellenden Lektüre von "Mein Leben als CIA" wird man einen Verdacht nicht los, den bereits die amerikanischen Rezensenten des Buches äußerten: dass die Lebendigkeit des Romans der Tatsache geschuldet ist, dass Mathews tatsächlich bei der CIA war und das Buch somit eine perfide Tarnung ist, um sein Agententum zu verschleiern. Als das Tonband abgeschaltet ist, frage ich ihn danach. Er lächelnd vielsagend: "Natürlich war ich CIA-Agent. Und bin es immer noch."