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Erinnerung an einen großen Künstler

Beim Kunstfest Weimar ist die Merce Cunningham Dance Company zu Gast. Sie ist auf Abschiedswelttournee, bevor sie sich Ende nächsten Jahres auflöst. Gelegenheit also das Vermächtnis des im vergangenen Jahr verstorbenen legendären Tanztheaterchoreografen im Original zu erleben.

Von Wiebke Hüster | 01.09.2010
    "Ich finde, es stagniert im Theater, dort herrscht Ratlosigkeit. Tanz ist derzeit interessanter als Theater. Der Tanz war für mich immer eine essentielle Kunstform. Eine Kunstform, die wir eigens befürworten müssen, weil sie an den meisten Dreispartenhäusern immer zuerst weggestrichen wird, wie zum Beispiel auch am Weimarer Nationaltheater."

    Explizit bezieht Nike Wagner ihr Interesse am Tanz nicht nur auf junge experimentelle Arbeiten der zeitgenössischen Tanzszene. Die Merce Cunningham Dance Company etwa zeigt sie, weil die Meisterwerke des im vergangenen Jahr verstorbenen amerikanischen Choreografen für sie einen sehr fragilen Teil unseres Weltkulturerbes - wie sie sagt, bilden - ungleich schwerer zu bewahren und zu vermitteln als Literatur oder Oper, aber ebenso bedeutend.

    "Die großen Werke im Tanz kennt man sehr viel weniger, weil sie nicht so leicht wiederholt werden können. Repertoire-Opern wie ‚Der Freischütz’ oder ‚Die Meistersinger’ werden x-mal wiederholt, bis sie jeder irgendwie mal gehört hat. Aber die großen Choreografien sind nicht leicht zu rekonstruieren, und wenn ja, von wem? Deswegen setzt das Kunstfest Weimar neben seinen Schwerpunkt Musik einen Schwerpunkt Tanz – die klassische Moderne wie die neueren Experimente."

    Nicht nur gab die Company in der perfekt geeigneten Neuen Oper Erfurt einem aus ganz Europa angereisten Publikum Gelegenheit, Cunninghams letztes Oeuvre, das knapp anderthalbstündige "Nearly 90²" zu erleben. Dessen die Welt zum Stillstehen bringende freie Klassizität, die skulpturalen Schönheiten in komplexer Verbindung innehaltender Körper ließen noch einmal deutlich erkennen, dass mit Cunningham der letzte Meister der klassischen Moderne gestorben ist. Ist es doch das Zeichen der Klassik, an ihren Werken stets das Neue, Ungewöhnliche, Berauschend-Fremdartige als doch bereits Vollkommenes hervortreten zu lassen.

    Am dritten Abend wurde ein eigens dem Kunstfest gewidmetes sogenanntes "Event" aufgeführt. Der letzte Assistent und jetzige choreografische Direktor Robert Swinston hat es - wie Cunningham dies an vielen besonderen Orten getan hatte - als einmalig aufzuführende Zusammenstellung von Repertoireauszügen eingerichtet. Unter einem über der leeren Hinterbühne schwebenden, von Robert Rauschenberg gemalten Aushang tanzte das brillante Ensemble von dreizehn Tänzern in von Andy Warhols "Shadows" - den berühmten Schattenbildern inspirierten schwarz-grauen Trikots. Ganz unglaublich erschien es da, dass sich diese von Cunningham noch selbst trainierten Tänzer bald in alle Windrichtungen zerstreuen sollen, dass aufgrund der New Yorker Grundstückspreise das Studio, in dem in vierzig Jahren mehr als achtzig Werke entstanden, das Schule und Archiv beherbergte und recht eigentlich Cunninghams Zuhause war, womöglich aufgegeben werden muss. Direktor Robert Swinston aber will kämpfen:

    "Er ist ein großartiger Choreograf. Einfach großartig. Sie merken es daran, was er einem zu betrachten gibt. Hoffentlich werden wir imstande sein, seine Arbeit weiterhin zu präsentieren. Vielleicht wird es nicht so eine große Company sein, mit aufwendigen Bühnenbildern und so aber wir haben eine große Zahl von Choreografien für kleinere Besetzungen und wir sollten sie aufführen. Meine Idee ist, dass die Tänzer weiterhin in seiner Technik unterrichtet werden und seine Stücke aufführen. Sodass sie in der Zukunft die nächste Generation sein können, die es nach mir weiter trägt. Das ist es, was Merce mir aufgetragen hat. Er sagte, finde einen Weg, um weiterzumachen. Natürlich ist das schwierig, weil es eine Menge Geld bedeutet. Aber wie man sagt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg - where there's a will there's a way."