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Erinnerung an Genua

Sechs Jahre liegen die Krawalle rund um den G8-Gipfel in Genua zurück. Ein Demonstrant kam damals ums Leben. Die Vorbereitungen auf den Gipfel im nächsten Monat in Heiligendamm lassen in Italien Erinnerungen wach werden. Karl Hoffmann berichtet.

14.05.2007
    Deborah erinnert sich auch heute noch mit Schrecken an die blutigen Tage von Genua:

    "Ich werde den Moment nie vergessen, in dem ich von Carlo Giulianis Tod erfahren habe. Für mich war das unfassbar. Es war von Anfang an unglaubwürdig, dass die Polizei nicht in der Lage war, die Situation unter Kontrolle zu halten. Sie hat ja wohl die Auseinandersetzung im Gegenteil regelrecht geschürt. Damit sollte von den Inhalten der Proteste abgelenkt und der Vorwand für eine soziale Kontrolle geschaffen werden."

    Die Tage von Genua waren eine Wende für die italienische Gesellschaft, meint die heute 30-jährige Deborah. Nicht nur weil, wie inzwischen nachgewiesen wurde, die besonders gewalttätigen Black Block-Demonstranten ganz offensichtlich als Provokateure von der Polizei eingeschleust worden waren, sondern auch deshalb, weil deutlich wurde, wie sehr die Volksvertreter der massenhafte Protest beunruhigte. Der entscheidenden Frage seien sie letztlich bis heute aus dem Weg gegangen, die da lautet:

    "Wie können wir den Kapitalismus oder die Globalisierung so gestalten, dass gleichzeitig die Bürgerrechte gewahrt bleiben, die Vielfalt geschützt wird und ein menschliches Miteinander möglich ist, das sich nicht auf nur auf Ökonomie und Handel beschränkt? Diese Frage ist heute noch genauso wichtig wie damals."

    Deborah, Psychologin aus Sizilien, glaubt, dass die gewaltsame Repression der Proteste in Genua für den Staat letztlich ein Bumerang gewesen ist. Sie gab der außerparlamentarischen Opposition in Italien erst den rechten Auftrieb. No Global, "Disobbedienti", das sind die "Ungehorsamen", "Girotondisti, "Ringelreihen -Protestler", Attac, und wie sie sonst noch alle heißen, sorgten immer wieder für Aufregung während der fünf Jahre Regierungszeit von Silvio Berlusconi. Einige wurden bei den letzten Wahlen sogar ins Parlament gewählt. Andere kämpfen dagegen auch heute noch lieber vor Ort, gegen Schnellbahntrassen, amerikanische Militärflughäfen, den Irak-Krieg, vor Flüchtlingslagern und jüngst auch gegen den neuen konservativen Kurs des Vatikans. Auch nach Heiligendamm wollen sie fahren. Deborah, die mit jungendlichen Strafgefangenen arbeitet, hat sich noch nicht entscheiden ob sie mitmacht. Aber den Protest findet sie völlig gerechtfertigt. Deswegen sei sie noch lange kein Gegner jedweder Globalisierung.

    "Wir navigieren im Internet, reisen viel, gehen gerne in ausländische Lokale und sind deshalb für eine Vielfalt, aus der wir auch im täglichen Leben gerne schöpfen. Gerade deshalb hat die überzogene Reaktion gegen die Globalisierungskritiker das Vertrauen in die Institution nicht gerade gestärkt."

    Wenn dann auch noch von Terrorismus die Rede ist, nur weil jemand eine abweichende Meinung kundtun will, dann hört sich für Deborah alles auf.

    "Wann hat denn ein Globalisierungskritiker jemals Gewalt angewendet die mit jener des Terrorismus der 70er Jahre vergleichbar wäre. Grade der Pazifismus ist doch eines der zentralen Anliegen der No-Global-Bewegung. Es ist einfach dramatisch, wie inzwischen jede abweichende Meinung als etwas Gewalttätiges herabgesetzt wird. Wirklich tödlich für eine Gesellschaft wäre es doch vielmehr , wenn man an einen Wandel nicht mal mehr denken dürfte."