Freitag, 29. März 2024

Archiv


Erinnerungen eines Originals

Das ganze Leben ist Theater - und Kritik daran. Der dritte Band mit Erinnerungen des Theater-Regisseurs dreht sich um Rezensenten, Lobeshymnen und Verrisse.

Von Shirin Sojitrawalla | 13.08.2010
    Auf einem der letzten Fotos sieht er aus wie ein Vögelchen: das schmale faltige Gesicht umspannt von altersweicher Haut, kurze weiße Haare, die munter vom Kopf abstehen und zwei Augen, die mit erwartungsvoller Milde einer leeren Zukunft entgegenblicken. Im Juli des vergangenen Jahres ist der herausragende Regisseur Peter Zadek im Alter von 83 Jahren gestorben.

    Und das, obwohl er noch so viel vorhatte: Diverse Inszenierungen natürlich, aber eben auch die Fertigstellung seiner Autobiografie, die er mit den Bänden "My Way" und "Die heißen Jahre" begonnen hatte. Die Frau an Zadeks Seite, die Schriftstellerin und Übersetzerin Elisabeth Plessen hat diesen dritten Band mit Zadeks Erinnerungen nun herausgegeben.

    "Die Wanderjahre" umspannen die Zeit von 1980 bis 2009, jene Zeit also, in die auch seine seelenaufreibende Intendanz am Hamburger Schauspielhaus fällt sowie das kuriose Fünferdirektorium am Berliner Ensemble nach dem Fall der Mauer. Wie schon in seinen bisherigen Bänden präsentiert sich Zadek auch im Alter als erstaunlich eitel, selbstbezogen und selbstmitleidig, ist auf der anderen Seite aber ausgesprochen großzügig, begeisterungsfähig und selbstkritisch.

    Dabei zieht sich diesmal ein Thema durch das Buch: die Theaterkritik. Immer mal wieder kommt Zadek darauf zu sprechen, auf einzelne Rezensenten, den Berufsstand im Allgemeinen sowie ungerechte Verrisse und gerechtfertigte Lobeshymnen. Hervorragend im Austeilen, eher mittelmäßig im Einstecken, so präsentiert sich Peter Zadek auch als alter Mann. Seine Spitzen gegen die Kollegen Claus Peymann und Peter Stein sind unglaublich und seine Auseinandersetzungen mit Heiner Müller bereits legendär. Über den Regisseur Einar Schleef, sagt er an einer Stelle: "Mir fällt kein Theatermensch in Deutschland ein, der mir so unsympathisch war wie Schleef." Das Buch enthält naturgemäß manch eine Anekdote, ist aber nicht nur seines hohen Kantinenklatsch-Faktors wegen Pflichtlektüre für alle, die mit dem Theater zu tun haben oder zu tun haben möchten.

    Peter Zadek war das, was man so dümmlich ein Original nennt. Und er gehörte zu jenen Regisseuren, für die das Theater die Welt bedeutet. Das Theater war seine Welt, um nicht zu sagen: sein Leben. Nicht selten gebrauchte er es auch als Therapiezentrum, für sich und andere. Wie er die psychologischen Besonderheiten seiner Schauspieler nutzt und auch ausnutzt, um sie auf der Bühne dahin zu bringen, wo er sie haben möchte, davon zeugten schon seine beiden vorherigen Bücher. Diesmal aber wird umso mehr deutlich, dass manch eine Inszenierung schon allein dadurch ihren therapeutischen Zweck erfüllte, weil sie ein auf die Bühne gebrachter Innenraum des Regisseurs war. Dabei betrachtet Zadek seine Arbeit selbst als Autobiografie und seine aufgeschriebene Autobiografie folglich bloß noch als Kommentar.

    In "Die Wanderjahre" erscheint Zadek auch als Getriebener in eigener Sache. Von seinen mehrmaligen Fluchten aus Berlin ist die Rede, aber auch von seiner Arbeit als Filmregisseur und immer wieder von seiner Theaterfamilie, die er am Ende nicht mehr zusammenhalten konnte. Zwischen den Zeilen liefert Zadek in diesem Band das Porträt seiner großen Liebe, Lebensfreundschaft und Arbeitsgemeinschaft mit Elisabeth Plessen, die das vorliegende Buch nicht nur mit einem Vorwort versehen hat, sondern es auch mit zwei anrührenden Gedichten bereichert.

    Natürlich nutzt Zadek das Buch auch zur Abrechnung, insbesondere mit seiner Intendanz am Hamburger Schauspielhaus von 1985 bis 1988. Von einem "Kritikergemetzel" spricht er und schimpft auf das Hamburger Theaterpublikum wie auf die Hamburger Kulturpolitik. Aber auch die Zeit am Berliner Ensemble von 1992 bis 1995 und seine ewigen Reibereien mit Heiner Müller füllen die Seiten. Kompromisslos erscheint Zadek da und unnachgiebig wie ein Kind. Dabei gibt er wie schon in den Vorgängerbänden einiges preis von sich und damit ist nicht nur gemeint, dass er unumwunden von seinem Hang zu jungen Mädchen spricht, den er, wie er sagt, mit Henrik Ibsen teilt.

    Dass er "Die Zauberflöte" als seine liebste Oper bezeichnet, ist zwar ganz interessant, aber nicht weiter aufregend. Entlarvender ist wohl all das, was er nur indirekt ausplaudert. Seine Stehaufmännchen-Qualitäten etwa, aber auch seine mimosenhafte Divenhaftigkeit, die durchaus neurotische Züge trug. Zusammenfassend könnte man sagen: Peter Zadek gönnte sich einen extravaganten Charakter wie andere sich ein teures Auto leisten, das freilich tat er obendrein. Dabei sah er sich als ewiger Außenseiter und wie mancher, der das ebenfalls tut, fühlte er sich schnell angegriffen und schoss ebenso schnell zurück.

    Etwa 250 Stücke hat Peter Zadek in seinem Leben inszeniert. Dass nicht alle gut waren, weiß er selbst. Hier seine persönlichen Top-Five: "Der Kirschgarten" in Wien, die Hamburger "Lulu" mit Susanne Lothar, der "Hamlet" mit Angela Winkler in der Titelrolle, "Maß für Maß" mit Bruno Ganz in Bremen und mehrere Inszenierungen der "Geisel" von Brandan Behan. Das bleibt, würde man gerne sagen, wüsste man nicht um den flüchtigen Charakter einer jeden Theateraufführung.

    Peter Zadek: Die Wanderjahre
    Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln, 506 Seiten, Euro 24,95. Herausgegeben von Elisabeth Plessen.