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Erinnerungen ohne Süße und Sentimentalität

Klaus Modicks neues Buch zeigt die Bandbreite seines erzählerischen Könnens. Die gesammelten Geschichten reichen von der Glosse bis zur Novelle mit klassischer Rahmenhandlung. Sie erzählen von den 70er- und 80er-Jahren - und rütteln Hunderte Erinnerungen wach.

Von Annemarie Stoltenberg | 19.07.2010
    "Manches ist ja stabil geblieben. Ich kann noch heute ohne jedes Schamgefühl die Beatles hören."

    In einer der Geschichten unternimmt der Held eine Reise in einem alten, nach Hasch riechenden VW-Bus in den Norden, auf der Suche nach ebenso liebeshungrigen wie erfahrenen Schwedinnen. Finanziert wird die Tour durch Musikauftritte:

    "Ich war früher ein ganz passabler Amateurmusiker und habe diese Sachen rauf und runter gespielt. Aber es ist so, als ob mein Schreiben die Musik aufgefressen hätte. Aber in dem Schreiben ist natürlich von der Musik was übrig geblieben. Das ist ja kein Zufall, dass in meinen Texten diese Musik häufig eine Rolle spielt. Sie hat sich vielleicht darin gerettet."

    In einer anderen Geschichte wird das "weiße Album" von den Beatles durch Lagerung auf einem Herzkörper zerstört und die arglosen Täter ahnen nicht mal, was dieser Verlust bedeutet. Er ist nicht einfach durch eine CD zu ersetzen.

    "Das weiße Album war ja ein Geniestreich, weil es einfach nur weiß war. Innen drin waren noch Fotos und Texte. Eigentlich war der Auftritt minimalistisch, eigentlich ein Schocker: Alles nur weiß, kann doch gar nicht sein."

    Wer Lust hat zu einer Zeitreise in die eigene Vergangenheit, kann Klaus Modicks Geschichten besteigen, wie eine transsibirische Eisenbahn in die 70er- und 80er-Jahre. Vieles spielt sich hier zwischen den Zeilen ab, die eigenen Gedanken und Erinnerungen haben da durchaus Platz. Es gibt freilich eine allen Texten zugrunde liegende Idee:

    "Abgesehen von der ersten Geschichte, die eine Ouvertüre ist und von einer Weinflasche handelt, die so durch die Gesellschaft wandert und am Ende zu dem, der sie zuerst geschenkt hat, zurück kommt, ist das so ein bisschen chronologisch geordnet. Es fängt ja mit Kindheitserinnerungen an und geht dann so durch Jugend und frühe Phasen und endet mit Erzählungen aus der Erwachsenenzeit. Wobei die Sachen, die sich mit Kindheit und Jugend beschäftigen, sich aber eigentlich immer oder fast immer aus einer Gegenwartsperspektive damit beschäftigen. Also, das ist nicht nur Reines: Das war einmal und das war schön. Nostalgisches Geplauder interessiert mich eigentlich nicht. Es gibt ja viele Geschichten in dem Band, die eine Rahmenhandlung haben und das hängt genau damit zusammen, die Rahmenhandlung spielt meistens in der Gegenwart und die innere Geschichte, die von dieser Rahmenhandlung eingerahmt wird, erzählt dann eine Geschichte von früher. Was mich daran interessiert hat, war die Frage: Gibt es heute eigentlich noch Situationen, in denen die Leute Geschichten erzählen. Das tut ja eigentlich niemand mehr. Man erzählt sich so Erlebnisse und Weißt-du-noch? Meistens ist das aber im Gespräch so ein Hin und Her, und man entwickelt eine Geschichte gewissermaßen in der Unterhaltung gemeinsam. Aber das Erzählen einer zusammenhängenden Geschichte, was vielleicht vor hundert Jahren oder so noch möglich war, das macht heute niemand mehr und das fand ich reizvoll, so zu tun, als könne man das noch so. Deshalb habe ich manchmal solche Erzählanlässe im Rahmen beschrieben und dann die eigentliche Geschichte als eine erinnerte darin eingepasst."

    Lesend beginnt man, selbst Geschichten zu erzählen. Sie handeln vom Zusammenhang zwischen Erotik und Reisen und ersten Peinlichkeiten oder von Schuld, die einen irgendwann einholt. Einige Texte sind düster und mystisch wie an manchen Tagen das Oldenburger Land, wo Klaus Modick aufgewachsen ist. Schiefe, vom Wind gebeugte Bäume, nasser schwerer Boden. Andere Texte dagegen wie Reisesouvenirs, leicht und besonnt, voller Lebensfreude. So wünscht man sich schließlich, das gegenseitige Geschichtenerzählen würde gepflegt. Weil man so das Leben besser begreifen kann und etwas hat zum festhalten und wärmen, wenn's draußen donnert und pfeift. Klaus Modick führt in "Krumme Touren" vor, wie das ohne Süße und Sentimentalität geht.

    Klaus Modick: "Krumme Touren". Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010. 240 S. Eichborn Verlag 18,95 Euro.