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Erinnerungskultur in Indonesien
"Wer möchte sich schon als Täter darstellen lassen ..."

Die antikommunistischen Massaker in Indonesien von 1965 und 1966 bleiben ein schwieriges Thema für das Land. In der Literatur seien die Ereignisse in den letzten Jahren ein großes Thema gewesen, sagte der Malaiologe Berthold Damshäuser im DLF. Problematisch werde es für viele, wenn sie als Täter dargestellt werden.

Berthold Damshäuser im Gespräch mit Beatrix Novy | 27.10.2015
    Der Malaiologie Berthold Damshäuser
    Der Malaiologie Berthold Damshäuser (privat)
    Beatrix Novy: Auf der Frankfurter Buchmesse sprach dieses Jahr als Vertreter des Gastlandes auch der indonesische Bildungsminister, und in seiner Rede beschwieg er etwas nicht, das als historische Tatsache auch bekannt war, an das aber lange keiner so gern rührte: nämlich die Massaker von 1965 und '66 an Kommunisten oder solchen, die dazu erklärt wurden, unter Präsident Suharto mit vielleicht einer Million Opfern und vielen kleinen Tätern aus der Bevölkerung. In zwei Filmen hat der Amerikaner Joshua Oppenheimer diese Morde weltweit zum Thema gemacht.
    Nun ist die Buchmesse zwei Wochen her, da kommt eine Nachricht vom Ubud Writers and Readers, also von dem Autoren- und Leser-Festival auf Bali in Indonesien. Dort haben die örtlichen Behörden nicht verboten, aber durch einen gewissen Druck verhindert, dass Oppenheimers Film gezeigt wird und auch alle anderen, die Massaker betreffenden Programmpunkte gestrichen werden. Offenbar handelte es sich um eine nicht vom fernen Jakarta aus gesteuerte Aktion, trotzdem muss ja wohl jemand dahinterstehen. Dazu habe ich den Malaiologen Berthold Damshäuser gefragt, nämlich: Wer sind die Leute, die das nicht wollen?
    Berthold Damshäuser: Es gibt in Indonesien weite Kreise, die einer Aufarbeitung nicht unbedingt aufgeschlossen gegenüberstehen. Diese Kreise finden wir in den islamischen Milieus, aber auch in Teilen des Militärs und auch in großen Teilen der ganz normalen Bevölkerung. Man sieht die Ereignisse von '65, '66 doch immer noch als eine Reaktion auf Aktionen der Kommunisten selbst. Man ist fest davon überzeugt, dass man damals gewissermaßen in Notwehr gehandelt habe, nämlich eine kommunistische Diktatur zu verhindern. Das ist sicherlich auch Ergebnis einer antikommunistischen Propaganda während der Herrschaftszeit des autoritären Staatspräsidenten Suharto.
    "Es wird über das Thema weithin gesprochen"
    Novy: Aber, Herr Damshäuser, selbst wenn es so gewesen wäre, würde das ja einer Aufarbeitung schrecklicher Geschehnisse überhaupt nicht im Wege stehen. Man müsste eben auch darüber reden.
    Damshäuser: Reden tut man schon darüber. In der Literatur ist das gerade in den letzten Jahren ein großes Thema gewesen, die Ereignisse von '65, '66 auch aus der Perspektive der Opfer zu schildern. Ich bin ja selbst Redakteur eines Lyrik-Magazins in Indonesien und wir hatten vor einigen Jahren einen Wettbewerb veranstaltet zu politischen, balladenähnlichen Gedichten, und die Hälfte der eingereichten Gedichte beschäftigte sich mit dem Thema '65, '66. Vieles wurde auch veröffentlicht und da gab es auch keine Probleme. Es wird über das Thema weithin gesprochen.
    Die Sache fängt für viele an, problematisch zu werden, wenn sie als Täter dargestellt werden. Die Konfrontation zwischen Opfern und Tätern, das ist für große Teile der indonesischen Gesellschaft ein Problem, denn wer möchte sich schon als Täter darstellen lassen ...
    Novy: Aber es gibt ja in allen Teilen der Welt inzwischen solche Methoden der Versöhnung, eine Versöhnungskultur, könnte man sagen. Das ist ja auch ein universales Bedürfnis. Erinnerungskultur ist vielleicht ein westliches Konzept, wir jedenfalls kennen kein anderes. Wie würden Sie sagen, wie fördert man das denn in Indonesien, einem Land, das ja sehr von Dezenz und Zurückhaltung geprägt ist?
    Damshäuser: Vielleicht kann ich als Beispiel einen indonesischen Intellektuellen und Schriftsteller nennen: Taufiq Ismail. Der gehört dem islamischen Milieu an, war auch auf der Frankfurter Buchmesse und hat dort eine Art Vorschlag gemacht, wie mit dem Thema umzugehen sei, und das lief eigentlich darauf hinaus, einander zu verzeihen und die Vergangenheit so zu belassen, wie sie nun einmal ist. Das war der konkrete Vorschlag von Taufiq Ismail. Das zeigt, dass eine Aufarbeitungskultur in unserem Sinne in Indonesien noch nicht so gang und gäbe ist.
    Wie konnte es zu einem solchen Ausbruch von Gewalt kommen?
    Novy: Wozu ja dann auch die Bestrafung etlicher Täter gehören würde.
    Damshäuser: Wozu auch die Bestrafung gehört. - Ich selbst bin übrigens der Meinung, dass die Indonesier diese Thematik vielleicht auch jenseits der ideologischen Lager diskutieren sollten und auch vielleicht über die Täter-Opfer-Dichotomie hinwegkommen sollten und sich die Frage stellen sollten, wie es überhaupt zu einem solchen Ausbruch von Gewalt kommen konnte.
    Novy: Sind solche Initiativen wie dieses Festival Ausnahmen, getragen von einer westlich geprägten Künstler- und Intellektuellenszene? Welchen Einfluss haben die?
    Damshäuser: Man kann schon sagen, dass sich ein liberales, westlich orientiertes Lager dieses Themas ganz besonders annimmt. Das wird übrigens von dem Lager der nicht Aufarbeitungsbereiten zynisch betrachtet, dass man hier ewas anbietet, dem westlichen Publikum, was bei uns auf Interesse trifft. Aber ich würde doch sagen, dass diese liberalen Kreise schon einen nicht unerheblichen Faktor in der indonesischen Zivilgesellschaft darstellen, weshalb ich eigentlich auch optimistisch bin, dass es nicht eine Rückkehr zu den autoritären Verhältnissen der neuen Ordnung unter Suharto kommen wird, wie es manche jetzt befürchten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.