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Eritrea
Flucht vor Armut und Repression

Eritrea ist das Land der Flucht. Es sind vor allem junge Menschen, die ihre Heimat verlassen. Über 40.000 waren es allein im letzten Jahr. Sie fliehen, um dem Militärdienst mit unbestimmter Dauer zu entgehen, und auch vor der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Neue Reformen sollen nun die Migration stoppen.

Von Linda Staude | 01.10.2016
    Beschreibung:Meron aus Eritrea blickt am 19.08.2015 im Zug von Rom nach Bozen (Italien) aus dem Fenster. Auf der Flucht vor Hunger Krieg und Verfolgung suchen viele Flüchtlinge das Glück in Europa
    Viele junge Leute verlassen Eritrea: Trotz guter Ausbildung ist es schwierig für sie, sich eine Zukunft in ihrer Heimat aufzubauen. (picture alliance/ dpa/ Nicolas Armer)
    Der Medebar-Markt in Asmara. Auf dem riesigen Gelände hämmern Handwerker Metall zurecht. Große Öfen und Vorratstanks stehen gestapelt zum Verkauf bereit. Stefanos schweißt in seinem kleinen, dunklen Laden Metallgestelle für Stühle und Betten zusammen. Er ist misstrauisch und vorsichtig.Über Politik will er kein Wort sagen. Aber über sein Geschäft redet der 23-Jährige dann doch. Die Situation in unserem Land ist sehr hart. Die Wirtschaftskrise macht es sehr schwer, beispielsweise eine eigene Familie zu gründen. Aber ich hoffe, dass bessere Zeiten kommen werden. Ob das heißt, dass er das Land verlassen will, wie so viele seiner Altersgenossen, sagt er nicht. Eritrea laufen seine Menschen davon. Über 40.000 allein im vergangenen Jahr. Christian Manahl, der Botschafter der Europäischen Union in Eritreas Hauptstadt Asmara:
    "Der Hauptgrund, würde ich sagen, ist die unklare Dauer des nationalen Dienstes. Und das macht es praktisch unmöglich oder sehr schwierig für junge Leute, ihre Zukunft zu planen."
    "Wir konnten keine guten Gehälter zahlen"
    Hinzu kommen wirtschaftliche Gründe, der Mangel an Arbeitsplätzen, die miese Bezahlung. Yemane Gebreab, der Berater des Präsidenten, verteidigt das als unbedingt notwendig in einem Land, das immer noch vom übermächtigen Nachbarn Äthiopien bedroht wird und das zu den ärmsten der Welt gehört.
    "In den vergangenen zehn Jahren kamen unsere Lehrer, unser Personal im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft, in der Verwaltung, jeder im öffentlichen Dienst aus dem nationalen Dienst. Wir konnten ihnen keine angemessenen Gehälter zahlen, weil wir das Geld dafür nicht hatten."
    Reformen haben begonnen, fügt er hinzu. So wird der verhasste Dienst neuerdings besser bezahlt - weil die wirtschaftliche Lage sich verbessert hat. Eritrea ist stolz darauf, was es beim Aufbau der jungen Nation erreicht hat. Durch einen schmalen Kanal strömt Wasser auf ein sorgfältig bepflanztes Beet. Tomaten wachsen hier neben Reihen mit Blumenkohl, Spinat, Karotten und Gewürzen. Ein kleiner Generator brummt vor sich hin. Er betreibt eine Pumpe, die das Wasser aus einem Damm ein paar Hundert Meter den Berghang hinauf auf die Felder leitet.
    "Wir haben sehr viel Wasser in diesem Dorf. Wir sind nicht reich, aber auch nicht arm. Und wir wandern nie aus. Das Dorf hat diese Gärtnerei, und wir pflanzen 22 Sorten Gemüse"
    Sagt Woldeab Wolde Yohannes stolz. Der 84-Jährige war fast sein ganzes Leben lang der Administrator des Dorfes Lanza. Eine Modellgemeinde, erklärt Asrat Haile vom Landwirtschaftsministerium:
    "Jeder Farmer bewirtschaftet hier ein gleich großes Stück Land. Und alle pflanzen Gartenbauprodukte. Sie sind teurer als Getreide, und der Lebensstandard hier ist im Vergleich zu den anderen Dörfern der beste."
    Geld durch neue Bergbauprojekte und Tourismus
    Der Mikrodamm, der das möglich gemacht hat, wurde von der EU finanziert. Er ist einer von mehr als 120 allein in der Zentralprovinz. Eritrea hat es geschafft, die Versorgung seiner Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sicherzustellen, berichtet Yemane Gebreab. Als nächstes sollen nun so viele Nahrungsmittel produziert werden, dass etwas davon exportiert werden kann. Das soll harte Devisen bringen. Genau wie die bereits angelaufenen Bergbauprojekte - und vielleicht auch der Tourismus. Aber, wettert Solomon Abraha, der Chef des eritreischen Tourismusverbandes:
    "Viele sagen, Eritrea ist wie Nordkorea. Sie haben uns ein mieses Image gegeben. Wie kann man sich so vorstellen, dass ein Tourist aus Europa ausgerechnet nach Eritrea kommt."
    Politische Verfolgung und Unterdrückung, geheime Gefängnisse, Folter und spurloses Verschwinden von Oppositionellen sind Alltag in Eritrea. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der UN-Menschenrechtskommission aus dem vergangenen Jahr. Kritiker bezeichnen die Kommissare allerdings als voreingenommen, weil sie lediglich asylsuchende Flüchtlinge befragt und positive Berichte von Landeskennern komplett ignoriert haben.
    "Wir sind der Ansicht, dass es kleine Fortschritte gibt"
    "Gibt es Menschenrechtsprobleme in Eritea? Die gibt es in jedem Land der Welt. Hat Eritrea eine der schlechtesten Menschenrechtssituationen? Ganz sicher nicht. Aber es ist immer Eritrea. Das ist ein frontaler Angriff auf diese Nation"
    Sagt der Präsidentenberater Yemane Gebreab verbittert. Die jüngste Forderung der Untersuchungskommission, Eritrea vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, könnte das Land in seine jahrelange Isolation zurücktreiben, aus der es gerade erst herauskommt. Christian Manahl:
    "Wir sind der Ansicht, dass es kleine Fortschritte gibt. Wir würden uns natürlich mehr Fortschritte wünschen, vor allem im Bereich Menschenrechte, demokratische Rechte. Aber wir glauben, dass sich in den vergangenen ein, zwei Jahren gezeigt hat, dass es möglich ist, in Eritrea zu arbeiten, auch in diesen Bereichen zu arbeiten".
    Eritrea versucht, mit einer Währungsreform und einem Programm zur Förderung von jungen Leuten die Migration zu stoppen. Yemane Gebreab:
    "Wir investieren so viel Mühe und Geld, um unsere Leute auszubilden. Schule ist kostenlos in Eritrea, Gesundheitsversorgung beinahe. Glauben Sie wirklich, wir würden all das Geld ausgeben und dann wollen, dass sie das Land verlassen? Ganz sicher nicht."