Samstag, 20. April 2024

Archiv


Erkenntnisfortschritt bei der Alzheimertherapie

Eiweißklumpen im Gehirn gelten nach wie vor als zentral für die Entstehung der Alzheimer-Krankheit. Aber inzwischen ist klar: problematisch sind weniger die Ablagerungen selbst, als ihre Vorstufen.

Von Volkart Wildermuth | 31.10.2011
    Alles fängt mit einem Eiweiß an, das sich auf allen Nervenzellen findet. Von diesem großen Eiweiß werden regelmäßig kleinere Fragmente abgetrennt. Eines nennt sich A-beta. Wozu es eigentlich gut ist, wissen auch die Forscher nicht so genau, vielleicht hat es etwas mit Lernvorgängen zu tun. Wenn es seine Aufgabe erledigt hat, baut es der Körper jedenfalls ab. So weit, so normal. Im Alter aber funktioniert die Entsorgung nicht mehr richtig. A-beta sammelt sich an und beginnt zusammenzuklumpen. Erst zu kleineren Komplexen und schließlich zu den großen Amyloidablagerungen, die Alois Alzheimer beobachtet hatte. Unter dem Mikroskop wirken diese Brocken fehl am Platz, gefährlich, aber, so Professor Erich Wanker vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin, es sind die Vorstufen, kleine Komplexe aus einigen wenigen bis zu mehreren Hundert A-beta Molekülen, die das Gehirn wirklich schädigen.

    "Es gibt natürlich Hinweise, dass diese kleineren Ablagerungen, Proteinaggregate, an die Zelloberfläche binden, zum Teil sogar in der Lage sind, in die Zellen durch die Membran in neuronale Zellen hineinzukommen. Zelluläre Prozesse dadurch zu stören und dadurch entsteht eine gewisse Dysfunktion der Kommunikation zwischen verschiedenen Nervenzellen im Gehirn."

    Kleine A-beta-Komplexe kommen dicht an die Zellen heran und schädigen sie dabei. Massive Amyloidklumpen wirken dagegen eher wie eine Mülldeponie, in der gefährliche Eiweiße weitgehend sicher entsorgt sind. Dass die kleinen Aggregate wirklich problematischer sind als größere Ablagerungen konnte Erich Wanker gerade demonstrieren. Er hat Nervenzellen in der Petrischale gezüchtet, dann kleinere A-beta-Aggregate hinzugefügt und sie schließlich mit einer speziellen Chemikalie zum Zusammenklumpen gebracht.

    "Wir sehen, und das war eben auch sehr, sehr überraschend, wenn wir diese kleinen Aggregate, diese Zwischenformen in größere Strukturen oder fibrilliere Strukturen überführen, dass die Kommunikation zwischen den Nervenzellen signifikant besser funktioniert."

    Sobald die kleinen Komplexe in den großen Klumpen festsaßen, konnten sie die Nerven nicht mehr schädigen. Bei der Behandlung der Alzheimerkrankheit kommt es also darauf an, die Entstehung gerade der kleinen A-Beta Aggregate zu verhindern. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Derzeit werden Medikamente getestet, die verhindern, dass überhaupt so viel A-beta entsteht. Noch in der Entwicklung befinden sich Substanzen, die sozusagen die Klumpungsneigung von A-beta beeinflussen. In Halle hat Professor Hans-Ulrich Demuth entdeckt, dass A-beta besonders hartnäckige Kleinkomplexe bildet, wenn es von einem Enzym chemisch verändert wird.

    "Die Veränderung, die hat die Wirkung, dass diese Peptide besonders abbauresistent sind, also stabil. Das bedeutet, dass diese Peptide länger Zeit haben, diese toxische Form einzunehmen."

    Damit haben sie auch länger Gelegenheit, die Nerven zu schädigen. Wenn Hans-Ulrich Demuth dagegen das Veränderungsenzym blockiert, bilden sich kaum gefährliche A-Beta Komplexe. Einen anderen Ansatz verfolgt Prof. Dieter Willbold vom Forschungszentrum Jülich. Er hat Hunderttausende kleiner Eiweiße genommen, und untersucht, wie sie die Stabilität von A-Beta beeinflussen.

    "Wir haben eine hochaktive Substanz gefunden, die im Tiermodell wunderbar funktioniert und haben jetzt bei der Überprüfung des Wirkmechanismuses festgestellt, dass diese toxischen Spezies, die werden von dass unsere Substanz offensichtlich gezielt verklumpt zu sehr, sehr großen Aggregaten, die aber völlig untoxisch sind."

    In Jülich versuchen die Forscher also die gefährlichen A-beta Kleinkomplexe schnell aus dem Verkehr zu ziehen, in Halle wird dagegen verhindert, dass sie überhaupt in großen Mengen entstehen. Die beiden gegensätzlichen Ansätze funktionieren im Tierversuche gut, können das Gedächtnis von Alzheimermäusen gesund erhalten. Eine Maus zu heilen ist allerdings einfach. Es ist also noch etwas früh für große Hoffnungen. Dennoch: je besser die Forscher die Krankheitsprozesse bei Alzheimer verstehen, desto mehr Ansatzpunkt für neuartige Medikamente entdecken sie.