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Erleuchtungsdenken

Wer ein Buch von Patrick Roth aufschlägt, wird unverzüglich in ein eigentümliches Zwischenreich von Erzählen, Anschauen und Denken entführt. Das gilt sogar dann, wenn es um Reflexionen und Betrachtungen über sein eigenes Schreiben geht wie sie in dem Bändchen mit dem Titel "Zur Stadt am Meer" versammelt sind.

Von Eberhard Falcke | 08.03.2006
    In seiner Rede zum Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erzählt der Preisträger, wie er in einem entscheidenden Augenblick einer bestimmten Inszenierung von Thornton Wilders "Unsere kleine Stadt" einer Verbindung zwischen den Welten der Lebendigen und der Toten gewahr wurde. Es bedarf, so will uns der Autor sagen, nur eines kleinen Verstoßes gegen die gültigen Regeln und schon lässt sich eine Brücke schaffen zu den anderen, jenseitigen Räumen.

    Mit welcher Emphase, welcher Leidenschaft Patrick Roth die Überschreitung unserer begrenzten, hinfälligen, flüchtigen Diesseitigkeit anstrebt, das machen aber so richtig erst seine drei Heidelberger Poetikvorlesungen deutlich. Sie erinnern nachgerade an die sowohl raffinierten als auch erlösungshungrigen Anstrengungen von Gottesbeweisen. Auch hier greift Roth, wie in seinen Erzählwerken, vor allem zu Filmszenen, die ihm - man bemerkt es immer wieder mit Staunen - nicht nur als Anschauungsmaterial und Denkstoff dienen, sondern einen Prozess der Erkenntnis und seine Steigerung zur Erleuchtung in Gang setzen. Roth nennt es nicht unbedingt so, aber genau darum handelt es sich.

    Ausgehend vom Traum als dem Tor zum Unbewussten kommt er hier auf die Begriffe und Methoden der Alchemie. Sie erscheinen ihm tauglich zur Bearbeitung der Gegensätze des Daseins. So gelangt er zu einer neuen, transzendentalen Deutung der Suspense, jener besonderen Spannung, die zu Alfred Hitchcocks berühmtesten Stilmitteln gehört. Dabei - man vernimmt es nicht ganz ohne Verblüffung - wirft er dem Filmregisseur vor, dass dieser aus der Suspense leider nicht die Möglichkeiten zur Versöhnung von Widersprüchen herausgeholt habe, auf die es Roth in seinen poetologischen Meditationen abgesehen hat. Der Chaplin von "City Lights" schneidet besser ab und am besten Antonioni mit der Schlussszene aus "L’Eclisse".

    Natürlich lässt sich das alles nicht so einfach referieren, dazu ist es zu kompliziert und auch zu - sagen wir, um im Bild zu bleiben - alchemistisch. Über das, was Roth mit seinen Vorlesungen wagt, kann allerdings kein Zweifel bestehen: Er führt nichts Geringeres vor als etwas, das man nur Erleuchtungsdenken nennen kann. Bei alledem kommt er am Ende zu sehr entschlossenen Einsichten über Gott, über die alchemistische Wandlung unseres Lebensstoffes im Bewusstsein, und über die daraus resultierende Aufgabe des Schriftstellers.

    Allerdings fällt dabei auch die Neigung des Autors zu einer sehr verengten Beweisführung ins Auge. Einerseits ist es begreiflich, dass er die Hermetik und Steigerung als alchemistische Methoden braucht, um der Transzendenz einen Weg zu bahnen. Andererseits wäre es jedoch kein Gewinn, wenn solche überaus eng gefassten transzendentalpoetologischen Grundlegungen den Spielraum der ahnungsvollen Wirkungen von Roths Erzählkunst zu sehr einschränken würden. Zweifellos aber ist aus diesem Selbstporträt des Schriftstellers als Alchemist über Patrick Roths Absichten und seine Art, die Welt anzuschauen, viel und Entscheidendes zu erfahren.