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Konkurrenz für Hofreiter und Göring-Eckardt
Ex-Grünen-Chef Özdemir strebt an die Fraktionsspitze

Mit seiner Bewerbung für den Fraktionsvorsitz drängt der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir zurück auf die politische Bühne. Für sein Comeback hat er sich die Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther an die Seite geholt. Das Duo rechnet sich gute Chancen aus.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 09.09.2019
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir
Cem Özdemir will es wissen: Er will den Fraktionsvorsitz bei den Grünen (Imago)
Der Zeitpunkt ist günstig - direkt nach den Wahlen in Ostdeutschland wagt Cem Özdemir gemeinsam mit Kirsten Kappert-Gonther den Sprung ins kalte Wasser. Mangelndes Selbstvertrauen war übrigens noch nie Özdemirs Problem. In bester Oppositionsmanier watschte er im Januar 2018 den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel ab. Der hatte seinen türkischen Amtskollegen zu Hause in Goslar zu Besuch. Und Gabriel schenkte Mevlüt Cavusoglu eine Tasse Tee ein: "Wenn ich Deutschland repräsentiert hätte, hätte ich sicherlich nicht mit einem türkischen Teeservice einem amtierenden türkischen Außenminister Tee serviert."
Denn in der Türkei, sagte Özdemir damals vor zwei Jahren, käme die Botschaft so an: "… dass quasi Deutschland die Türkei und den türkischen Außenminister bedient."
"Wettbewerb tut der Fraktion gut"
Liebend gerne wäre Özdemir damals kurz zuvor selbst Außenminister geworden. Immer wieder kritisiert er auch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Doch mit dem Aus der Jamaika Sondierungen kurz nach der letzten Bundestagswahl 2017 waren seine Karrierepläne fürs erste geplatzt.
"Sonntag war nicht aller Tage. Auf die Grünen in Deutschland kann man zählen, keine Frage. Herzlichen Dank!"
Özdemir gab freiwillig nach zehn Jahren auch den Parteivorsitz ab und begnügte sich mit dem Chefsessel des Verkehrsausschusses im Bundestag. Die Bühne aber überließ er seinen Nachfolgern, den neuen Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck. Die reagieren bislang knapp und nur schriftlich auf die neuen Bewerber für den Fraktionsvorsitz und betonen, wie gut Partei und Fraktion bisher zusammengearbeitet hätten. Dass es nun bei der turnusmäßigen Neuwahl zu einer Kampfkandidatur um die Fraktionsspitze kommt, ist ausdrücklich gewollt: "Wir sind überzeugt, dass ein fairer Wettbewerb der Fraktion guttut", heißt es im Bewerbungsschreiben von Özdemir und Kappert-Gonther an die grünen Abgeordneten-Kolleginnen und Kollegen.
Parteilinke Kappert-Gonther weitgehend unbekannt
"Also ich bin Ärztin und zwar Psychiaterin und Psychotherapeutin" - und seit 2017 auch Bundestagsabgeordnete. Die gebürtige Bremerin Kirsten Kappert-Gonther wurde politisiert durch die Friedens- und Anti-Atomkraft-Politik. Sie ist in der breiten Öffentlichkeit aber weitgehend unbekannt. Mit ihrem Fachgebiet, der Gesundheits- und Drogenpolitik, will sie nun eigene Schwerpunkte als Fraktionschefin einbringen:
"Jeder soll konsumieren dürfen, was er oder sie möchte."
So spricht sich Kappert-Gonther, die dem parteilinken Flügel angehört, in einem Video des Deutschen Hanfverbandes für eine liberale Drogenpolitik aus. Das tut auch Özdemir, er gilt aber neben Winfried Kretschmann, seinem politischen Ziehvater aus Baden-Württemberg, als Ober-Realo. Ob er als sein Nachfolger bei den Landtagswahlen 2021 antritt, daraus machen beide, Kretschmann und Özdemir, bisher ein Geheimnis.
Realistische Chancen gegen Hofreiter und Göring-Eckardt
Doch für die Wahl zum Fraktionschef im Bundestag rechnet sich das Duo Kappert-Gonther und Özdemir durchaus Chancen aus. Denn die aktuellen Amtsinhaber Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter gelten als zu blass und zu passiv, die Stärken und Kompetenzen innerhalb der Fraktion würden kaum bemerkt, heißt es von Kritikern. Özdemir allerdings hat sich in den vergangenen zwei Jahren als einer der wenigen im Bundestag profiliert, die der AfD offen Paroli bieten:
"Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat, so verachtet wie Sie es tun, drüber bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht Deutscher ist."
Welche Chancen der 53-Jährige und seine 52-jährige Teampartnerin Kirsten Kappert-Gonther bei der Wahl des Grünen-Fraktionsvorstandes am 24. September nun haben, ist noch offen. Sie wären aber nicht angetreten, wenn sie sich chancenlos sähen, heißt es aus ihrem Umfeld.