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Erneuerbare Energie
Verdunstung als Antrieb

Wo Wasser verdunstet, lauert eine erneuerbare Energiequelle: US-Forscher haben erstmals kleine Kraftmaschinen gebaut, die auf Veränderungen der Luftfeuchtigkeit reagieren. Für den Antrieb sorgen Bakteriensporen, die je nach Feuchtigkeit aufquellen und schrumpfen.

Von Lucian Haas | 17.06.2015
    Leitungswasser läuft am 08.03.2013 in Hannover (Niedersachsen) in ein Glas.
    Verdunstung könnte eine neue regenerative Energiequelle sein (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Klassische Grundlagenforschung kann immer wieder zu überraschenden neuen Konzepten führen. Ozgur Sahin interessierte sich ursprünglich nur für die mechanischen Eigenschaften von Bakteriensporen. Werden die Sporen feucht, quellen sie stark auf; trocknen sie aus, ziehen sie sich zusammen. Diese Beobachtung brachte den Biologen von der Columbia University in New York aber auf eine Idee.
    "Wenn ich eine kleine Schachtel nehme und auf eine Wasseroberfläche setze, wird die Luftfeuchtigkeit als Folge der Verdunstung in der Schachtel ansteigen. Wenn ich dann den Deckel öffne, trocknet sie wieder ab. So könnte ich Bakteriensporen in der Schachtel kreislaufartig größer und kleiner werden lassen. Damit ließe sich nutzbare Energie produzieren."
    Dabei gibt es aber ein Problem: Wie lässt sich die Energie, die beim feuchtebedingten Quellen und Schrumpfen der Bakteriensporen umgesetzt wird, in eine externe Bewegung überführen? Ozgur Sahin nahm sich auch dafür die Natur zum Vorbild:
    "Als Inspiration dienten biologische Strukturen, die bei Pflanzen verbreitet sind. Pflanzen nutzen häufig verschiedene Gewebeschichten, wobei eine Schicht auf Feuchtigkeit reagiert, die andere nicht. Quillt die erste Schicht durch Feuchtigkeit auf, wird sie etwas länger als die andere. Das führt dazu, dass beide zusammen ihre Krümmung ändern."
    Künstliche Muskeln aus Bakteriensporen
    Diesem Prinzip folgend klebte Ozgur Sahin die Bakteriensporen auf dünne Streifen wasserabweisender Plastikfilme - und zwar in kurzen Abständen jeweils abwechselnd auf deren Vorder- und Rückseite. Der Effekt davon ist, dass sich die Folienstreifen durch die anhaftenden Sporen je nach Feuchtigkeit nicht nur in eine Richtung krümmen, sondern wellenartig zusammenziehen und strecken. So entsteht eine Art künstlicher Muskel, dessen Längenänderung bis zu 400 Prozent betragen kann.
    Aus Bündeln dieser sporenbeschichteten Plastikstreifen baute Ozgur Sahin kleine Maschinen. Sie setzen Feuchtigkeitsschwankungen in Bewegung um und können unter anderem einen kleinen Stromgenerator antreiben.
    "Bislang reicht das gerade mal aus, um eine Leuchtdiode aufleuchten zu lassen. Aber man könnte nach diesem Prinzip schon bald kleine autarke Energiequellen für den Betrieb von Umweltsensoren bauen. Sie würden einfach die Energie der Wasserverdunstung nutzen. Evaporation findet ja überall in der Umwelt statt."
    Leistungsfähiger als Windkraft
    Ozgur Sahin traut den Evaporationsmaschinen aber noch viel mehr zu. Er hat die Kräfte, die die Bakteriensporen beim Quellen und Schrumpfen erzeugen können, einfach mal hochgerechnet. Sein Ergebnis: Technisch im großen Stil umgesetzt, ließe sich auf Basis von Evaporation bei gleichem Flächenbedarf theoretisch mehr Energie gewinnen als aus Windkraft:
    "Ich glaube, dass dies langfristig die Grundlage für eine neue Form von erneuerbarer Energie werden könnte - mit vielen Vorteilen. Einer davon ist, dass die Energie kontinuierlich zur Verfügung stünde. Die Sonne scheint nur tagsüber, auch Wind weht nur zeitweise. Evaporation findet aber sowohl am Tag als auch in der Nacht statt."
    Ob es tatsächlich eines Tages große Evaporationskraftwerke geben wird, ist noch überhaupt nicht absehbar. Ozgur Sahin kümmert sich erst einmal weiter um die Grundlagen. Aktuell erprobt er verschiedene Kleber, um die Haftung und damit auch die Kraftübertragung zwischen den Bakteriensporen und den Plastikbändern zu verbessern.