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Erneuerbare Energien
Abstandsregeln bremsen Windkraft aus

Der 20. November 2014 gilt bei Befürwortern erneuerbarer Energien in Bayern als das Ende der Windkraft. An diesem Tag wurde die 10H-Regelung verabschiedet. Sie besagt, dass ein Windrad zehnmal so weit entfernt von Bebauungsflächen sein muss, wie es hoch ist. Und in der Tat sind die Neuanträge seitdem stark zurückgegangen.

Von Susanne Lettenbauer | 08.02.2016
    Ein Windkraftwerk neben einem Strommast inmitten eines Rapsfeldes unter blauem Himmel
    Die 10H-Regelung sorgt für weniger Windräder in Bayern, sagen Kritiker. (picture alliance)
    Wenn der bayerische Grünenpolitiker Martin Stümpfing an den 20. November 2014 denkt, dann fühlt er sich bestätigt. Der Kampf seiner Fraktion im bayerischen Landtag gegen die 10H-Regelung war von der CSU-Mehrheitsregierung abgeschmettert worden. Sie besagt, dass ein Windrad im Freistaat zehnmal so weit entfernt sein muss von Bebauungsflächen, wie es hoch ist. Die Warnungen von Grünen und SPD, diese Abstandsregelung würde die Windkraft zum Erliegen bringen, überzeugte die CSU nicht. Jetzt, gut anderthalb Jahre später, brachte eine Anfrage Stümpfings beim bayerischen Landtag das Ergebnis:
    "Die Zahlen bei der Windkraft sind wirklich massiv eingebrochen. Das, was wir prophezeit haben, dass die 10H-Regelung wirklich das Totenglöckchen für die Windkraft ist in Bayern, hat sich bestätigt. Dieser zehnfache Abstand zum nächsten Wohnhaus ist einfach so, dass keine Flächen in Bayern mehr vorhanden sind."
    Zuvor 300 bis 500 Anträge pro Jahr
    Vor Inkrafttreten der Abstandsregel im November 2014 hatte es zwischen 300 und 500 Anträge auf neue Windräder pro Jahr gegeben. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima vor vier Jahren war die Euphorie der bayerischen Kommunen groß, Atomkraft durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Das sei im vergangenen Jahr einer massiven Ernüchterung gewichen. Laut Auskunft des Wirtschaftsministeriums wurden in den ersten drei Quartalen 2015 gerade einmal 25 Anträge gestellt. Stümpfing kennt ...
    "... über 20 Kommunen in Bayern, die bereits bestehende Flächennutzungspläne wieder zurückgenommen haben, obwohl sie sich früher mal dafür entschieden haben, jawohl, da passt eine Windkraftanlage hin. Und es hat auch gepasst von der Akzeptanz der Bevölkerung. Das ist alles vorbei. Also hier hat die CSU-Staatsregierung wirklich ganz viel Unmut erzeugt und die Grundlage für Windkraft, obwohl es ein hohes Potenzial hat, erneuerbare Energien ganz wichtig sind, Klimaschutz, das wir den voranbringen, dem ist wirklich der Boden entzogen."
    Bayerisches Wirtschaftsministerium sieht Situation anders
    Im bayerischen Wirtschaftsministerium sieht man die Situation anders. Staatssekretär Franz Josef Pschierer erkennt zwar an, dass sich die 10H-Regelung auf Neuanträge auswirkt. Er ist aber überzeugt, dass es weiterhin Zubau geben wird. Dass es im gesamten vergangenen Jahr 2015 nur knapp 30 Neuanträge gab, statt wie in den Vorjahren bis zu 500, erschreckt ihn nicht:
    "Das erschreckt mich nicht. Und zwar aus dem Grund, weil die Windenergie im Freistaat Bayern, auch das ist leider Gottes ein Irrtum, nicht die Bedeutung hat und nie haben wird, die ihr manche zumessen. Der Freistaat Bayern ist nicht Küste und ist auch nicht Offshore, sondern ist ein Binnenland. "
    Deshalb müsse die umstrittene Südlinkstromtrasse gebaut werden, so Pschierer. Den Protest dagegen habe er nie verstehen können. Seehofer habe jetzt erfolgreich in Berlin für eine Erdverkabelung gekämpft.
    Über 40 Prozent der erneuerbaren Energien im Freistaat kämen aus Wasserkraft, betont Pschierer. Die Windkraft mit ihren derzeit 937 Anlagen stünde erst an vierter Stelle hinter Solarkraft und Biogas, so der Staatssekretär.
    Bürgerenergiegenossenschaften üben Kritik
    Das Ausbauziel, das Ministerpräsident Horst Seehofer 2011 vorgegeben hatte, gut 1500 Windräder bayernweit - es ist in weite Ferne gerückt. Vor allem die Bürgerenergiegenossenschaften üben massive Kritik an der Haltung der CSU-Regierung. Markus Käser leitet den Zusammenschluss aller Bürgerenergiegenossenschaften im Freistaat. Rund 130.000 Menschen engagieren sich überwiegend ehrenamtlich mit dem dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energie, so Käser:
    "Fakt ist, die 10H-Regelung hat zu einer Verteuerung um fast das Doppelte der Aufwandskosten und zu einer zeitlichen Planungsverzögerung von rund zwei Jahren geführt. Im Vergleich dazu: Eine Antragsbearbeitung noch vor der 10H-Regelung hat rund drei Monate gedauert. Und dort wo es keine Flächennutzungs- und Bebauungspläne gibt, wird ohnehin nicht mehr eine Bürgerenergiegenossenschaft aktiv werden. Das zeigen heute auch schon die Zahlen."
    Für die Bürgerenergiegenossenschaften sei das Risiko einfach zu groß geworden, sich seit der 10H-Regelung bei der Windkraft zu engagieren, so Käser. Insgesamt brächten die Neuerungen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den Ausbau der Windkraft zum Erliegen. Das Kleinanlegerschutzgesetz sowie der ab 2017 greifende Ausschreibungszwang für Windanlagen täten ihr Übriges.
    Die bayerischen Grünen haben bereits eine Klage gegen die 10H-Regelung eingereicht, sagt ihr energiepolitischer Sprecher Stümpfing. Er ist überzeugt, dass man das Gesetz noch kippen kann.