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Ernst Bloch
"Geist der Utopie"

In der deutschen Geisteswelt herrschten während des Ersten Weltkrieges nationalistische Töne vor. Zu den Ausnahmen zählte ein Buch, das der junge Philosoph Ernst Bloch verfasst hatte. Unter dem Eindruck von Tod und Zerstörung machte sich Ernst Bloch Gedanken über das Utopische.

Von Michael Kuhlmann | 06.08.2018
    Hintergrund: Ernst Bloch am 30. März 1967. Buchcover in Vordergrund.
    Ernst Blochs Buch half, die Utopie als philosophische Kategorie zu etablieren. (picture alliance / dpa und Suhrkamp Verlag)
    Eigentlich hatte der junge Ernst Bloch an ganz anderen Themen gearbeitet: an einem wissenschaftstheoretischen System, mit dem Bloch sogar sein Vorbild Hegel in den Schatten stellen wollte. Dann aber kam der Erste Weltkrieg dazwischen. Gut drei Jahre später schrieb Ernst Bloch:
    "Es ist genug. Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben. Was jetzt war, wird wahrscheinlich bald vergessen sein. Nur eine leere, grausige Erinnerung bleibt in der Luft stehen. Wer wurde verteidigt? Die Faulen, die Elenden, die Wucherer wurden verteidigt. Was jung war, mußte fallen; aber die Erbärmlichen sind gerettet und sitzen in der warmen Stube. Ein stickiger Zwang, von Mittelmäßigen verhängt, von Mittelmäßigen ertragen. Der Triumph der Dummheit, beschützt vom Gendarm, bejubelt von den Intellektuellen, die nicht Gehirn genug auftreiben könnten, um Phrasen zu liefern."
    Mit Utopien eine neue Welt erschaffen
    Mit diesen Worten begann Ernst Bloch seinen "Geist der Utopie". Aus einer Utopie eine neue Welt zu schaffen, hielt Bloch die Menschen immer noch für fähig. Er entwickelte allerdings keine handfeste politische Utopie. "Geist der Utopie" ist ein metaphysisches Buch; es spiegelt die Ideen einer Apokalypse und neuen Welt, wie sie vor dem Krieg von deutschen Philosophen bewegt worden waren. Die Menschen sollten also ihre Fähigkeit zur Utopie nutzen, um eine neue Welt zu schaffen. Wie diese Welt allerdings aussehen sollte, konnte und wollte Bloch nicht sagen - entscheidend war für ihn offenbar, dass die Menschen überhaupt daran zu glauben lernten, dass sie Missstände abstellen, dass sie eine bessere Welt schaffen konnten.
    Bloch baute die neutestamentliche Offenbarung des Johannes in sein Denkmodell ein und meinte auf dieser Grundlage, dem Menschen gottgleiche Eigenschaften zuschreiben zu können. Für die deutsche Wirklichkeit jenes Winters 1917/18 freilich waren diese Ideen weniger relevant als Blochs knappe konkrete Gedanken zu Politik und Gesellschaft.
    "Es will um uns anders werden. Aber noch hat sich nichts geschieden. Es ist nicht sehr leicht, hier zu leben - in dieser übermäßig frostig gewordenen Luft. Noch schlimmer, daß es uns im Ausland wieder schwer gemacht wird, deutsch zu sprechen, sofern man sich damit falsch zu bekennen scheint. Es darf aber so nicht weiter gehen. Der Gendarm ist nicht das deutsche Gesicht; und das preußische Gift, das sinnlos zu Tode organisierende, muß aus dem Reich verschwinden."
    Blochs Haltung zur Revolution
    Konkrete Hoffnungen setzte Bloch auf die russische Oktoberrevolution, die erst wenige Monate zurücklag. Wenn er darüber nachdachte, was daraus werden könne, distanzierte er sich allerdings von Marx und Engels: deren Ideen der klassenlosen Gesellschaft hielt er für zu einseitig auf die Ökonomie ausgerichtet. Offenkundig erwartete er mehr von einer Utopie als nur die Verheißung, morgens zu fischen, nachmittags zu jagen und abends zu philosophieren. Den ersten Schritt, ein sozialistisches Rätesystem, wünschte er sich aber herbei. Indes:
    "Bisher sind erst wenige Männer der Arbeit in Deutschland aufgewacht. Wenn es jedoch anders geriete - und ein unglücklicher Krieg zu einem glücklichen Frieden führte - dann wäre es eine berauschende Perspektive: daß sich die demokratische Sozialisierung in Deutschland herrlicher noch als in Rußland verbreitet. Daß aber auch - wenn anders der germanische Geist überhaupt noch eine Sendung hat - Rußland das Herz und Deutschland das Licht in der Tiefe erneuter Menschheit anzünden wird."
    Bloch war nicht der einzige, der mit einer solchen Umwälzung in Deutschland rechnete. Im November 1918 blieb diese Revolution auf halbem Wege stecken - darauf folgte die Weimarer Republik. Von den Schrecken des Stalinismus konnte Ernst Bloch zur Zeit von "Geist der Utopie" noch nichts ahnen, auch über Lenins Umgang mit politischen Gegnern war er wohl nicht eingehender orientiert. Die Erstauflage von "Geist der Utopie", wie sie nun als Nachdruck wiedererschienen ist, ist eine philosophische Momentaufnahme: rastlos zu Papier gebracht in einer Epoche, in der die Welt aus den Fugen geraten war. Man merkt dem Buch an, wie Bloch um Erkenntnisse rang - mitunter zieht sich ein einziger Absatz über mehr als vier Seiten. Schon in der revidierten Zweitauflage des Buches 1923 sollte Bloch den expressionistischen Furor zurückschrauben; und ihre endgültige Form nahmen seine Utopiemodelle erst Jahrzehnte später an, etwa im "Prinzip Hoffnung".
    Ein furioses Buchdebüt
    Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist "Geist der Utopie" von begrenztem Gehalt. Eine über den Tag hinaus relevante Debatte in der Fachwelt hat der Band nicht angestoßen. Nicht einmal die deutsche Militärzensur hatte 1918 etwas an dem Buch auszusetzen. Immerhin war es ein furioses philosophisches Erstlingswerk, das die Utopie als philosophische Kategorie zu etablieren half. Ein Thema, das Bloch bis zu seinem Tode beschäftigte. Wie hier 1976, in einem Gespräch mit dem Süddeutschen Rundfunk.
    "Wir werden also mit der Möglichkeit umzugehen wissen, sie begreifen, damit's nicht nur eine mehr oder minder vage Hoffnung ist, die mit schlechter Utopie verwechselt werden kann, sondern damit's eine Anmaßung zur Tat wird - damit etwas wie ein intellektueller Generalstab zur Umwälzung unserer Wirklichkeit zu einer rechten, guten, humanen, dem Menschen erträglichen und endlich für Menschen gebauten daraus werden kann. Drum: Nie genug konkrete Utopie!"
    Ernst Bloch: "Geist der Utopie",
    Erste Fassung, Nachdruck: Suhrkamp Verlag, 437 Seiten, 20,- Euro.