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Ernst und lustig gegen die Mafia

In Weiten Teilen Süditaliens herrscht noch immer die Mafia. Nicht nur Geschäftsleute, sondern auch wohlhabende Bürger und Rentner sind den Schutzgelderpressungen ausgeliefert. Die Zeitschrift "Pizzino" geht mit Witz und Aufklärung gegen die Machenschaften der Mafia vor.

Von Thomas Migge | 12.11.2005
    Palermo. Historisches Zentrum. Straßen- und Gassengewirr. Marktstände und Pizzerien, Geschäfte und Boutiquen - und alle zahlen ihren "Pizzo", wie man in Süditalien jenes Schutzgeld nennt, das Geschäftsinhaber an die Mafia zahlen müssen. Davon ist jedenfalls Ida Maccarese überzeugt. Die junge Sizilianerin ist Redakteurin bei einer Zeitschrift, die sich dem Thema des "Pizzo" widmet:

    "Wir gehören einer Bewegung an, die vor zirka zehn Jahren entstanden ist, als die ersten Geschäftsleute und Bürger damit begonnen haben, gegen die organisierte Kriminalität aufzubegehren. Unsere Zeitschrift nennen wir "Pizzino", kleines Schutzgeld. Wir benutzen dieses Wort im ironischen Sinn, denn wer unsere Zeitschrift kauft, muss einen Preis zahlen, einen Schutzpreis, der unser Projekt am Leben erhält. Inzwischen sind wir bekannt. Sogar die RAI hat einen Film über uns gemacht."

    "Pizzino" ist ein echtes Medien-Phänomen - hervorgegangen aus der links-alternativen Szene Siziliens. Ida und ihre Freunde, alles junge Leute aus Palermo, hatten kein Geld, als sie mit ihrem Projekt begannen. Taschengeld und Gaben von ihren Eltern ermöglichten es ihnen, die erste Nummer herauszubringen. Sie wurde noch von Hand verteilt. Inzwischen kann man die Zeitschrift an Kiosken und in Geschäften kaufen - allerdings nur in jenen Geschäften, deren Besitzer gegen den "Pizzo", das mafiose Schutzgeld, aufbegehren, und das sind, weiß "Pizzino"-Reporter Federico Calabrese, immer mehr:

    "In Italien wird so gut wie nirgendwo über diese Schutzgelder gesprochen, die in Süditalien rund 85 Prozent aller Geschäftsinhaber und Unternehmer zahlen müssen. In unseren Reportagen weisen wir nach, dass inzwischen auch wohlhabende Bürger, ja sogar Rentner Schutzgelder zahlen müssen, wenn sie in Ruhe und Frieden leben wollen. Diese Realität dürfen wir nicht akzeptieren."

    Geschrieben am Computer und von einem befreundeten Drucker aufs Papier gebracht hat "Pizzino" inzwischen 10.000 Abonnenten. Darunter auch die Anti-Mafia-Polizei sowie zahlreiche Staatsanwälte, die gegen die Mafia ermitteln. "Pizzino" nennt Namen, enthüllt jene Mitarbeiter, die die Schutzgelder eintreiben. Dabei ist von Vorteil, dass die Mitarbeiter der Zeitschrift in jenen Vierteln leben, wo es viele Geschäfte gibt. In nicht wenigen Fällen ist es ihnen sogar gelungen, Geschäftsleute und Bürger, die seit Jahren Schutzgelder zahlen, dazu zu bringen - anonym natürlich - ganz konkret über ihre Kontakte mit den Bossen zu berichten: wie präsentieren sich diese bei ihnen, um sich ihren "Pizzo" zu besorgen? Welche Mittel benutzen die Clans, um säumige Geschäftsleute zum Zahlen zu bewegen? Interessant ist dabei, dass die auf diese Weise recherchierten Reportagen fast schon anthropologischen Wert haben. Mafia-Soziologen sind davon überzeugt, dass die Anti-Schutzgeld-Zeitschrift wesentlich tiefere Einblicke in das Wesen der alltäglichen Mafia liefert als die Vernehmungen der Polizei.
    Dazu der Reporter Federico Calabresi:

    "Ich verehre jene Leute, die Schutzgelder gezahlt haben, und sich dann dazu entscheiden, nein zu sagen und mit den Behörden zusammenarbeiten. Es sind immer noch wenige, aber es werden immer mehr. Unsere Intention ist es, das Klima zu verändern, den Menschen hier und in ganz Italien zu zeigen, dass in Süditalien die Hoffnung noch nicht verloren ist. "

    Im Unterschied zu anderen seit Jahren schon existierenden Zeitschriften, die sich um die Aufklärung mafiöser Hintergründe in Italien bemühen, zielt "Pizzino" auf ein vor allem junges und volksnahes Publikum. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass diese Zeitschrift nicht nur von Intellektuellen gelesen wird, sondern auch von Markthändlern und von den so genannten einfachen Leuten in den heruntergekommenen Vierteln des historischen Zentrums von Palermo, Catania und Messina.

    Ebenfalls im Unterschied zu anderen antimafiösen Publikationen will "Pizzino" die von der organisierten Kriminalität dominierte Realität auch aufs Korn nehmen - mit jener Ironie, die in Süditalien eine lange Tradition hat und deren prominentester Exponent der sich über die Obrigkeit lustig machende Pulcinella aus Neapel ist. Die neue Nummer von "Pizzino" berichtet über die geplante Riesenbrücke, die Sizilien mit dem italienischen Festland verbinden soll. Mit seriösen Artikeln aber auch mit deftigen Satiren, die jene Politiker und Unternehmer auf den Arm nehmen, die immer wieder die Worte "Legalität" und "antimafiös" in den Mund nehmen, in Wirklichkeit aber mit den Bossen unter einer Decke stecken. Mit solchen Artikeln machen sich die Redakteure und Reporter von "Pizzino" unbeliebt. Erste Drohungen der Mafia gab es bereits. Aber die, so meinen die Macher von "Pizzino", gehören auf Sizilien zum Alltag kritischer Medien.