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Ernste Gesänge
Klavierlieder von Hanns Eisler und Pascal Dusapin

Im Folgenden dreht sich alles ums Lied. Die Rede ist allerdings nicht von der Intimform der frühen Romantik, sondern von vokalen Arbeiten für Bariton und Klavier, die in der Gegenwart sowie Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden und formal offener sind.

Von Frank Kämpfer | 03.11.2013
    Hanns Eisler, Ernste Gesänge: daraus: Traurigkeit, Hoffnung, Matthias Goerne (Bariton), Ensemble Resonanz CD harmonia mundi HMC 902134, LC 7045
    Ein Mensch fühlt sich allein, das ist die erste Mitteilung dieser Musik. Komponist, Textdichter und Sänger sind selben Geschlechts - der verzweifelte Mensch ist ein Mann und ein Künstler dazu, und offenkundig kritischen Geists.
    Sein Werk - darin scheint er sich sicher - überdauert, wird auch in späteren Zeiten gelesen. Die expressive Geste des Instrumentalklangs korrespondiert: der Einsame ist ein Bedeutender - oder er ist zumindest die Größe der Geste gewohnt, mit der er sich artikuliert - oder sein Schmerz ist so sehr von Belang, dass er solcher Dimensionierung bedarf.
    Dass Hanns Eisler der Urheber dieser zwei Vokalwerke sei, überrascht. Der Schönberg-Schüler und Massenlied-Komponist als großer Einsamer und mit klassizistischen Tönen? - Was Matthias Görne, vom Hamburger Ensemble Resonanz begleitet, hier wohlgeformt vorträgt, gehört indes musikgeschichtlich ins Spätwerk; die Ernsten Gesänge von 1962 sind Eislers letzte vollendete Arbeit und gezeichnet von politischer Resignation.
    Solche artikuliert der Komponist der berühmten DDR-Staatshymne, allerdings verklausuliert, mit Versen Hölderlins und Leopardis. Mit deren Hilfe projiziert sich der Urheber Eisler am Lebensende in eine Tradition der Gescheiterten. Sei Du, Gesang, mein freundlich Asyl, heißt es bei Hölderlin – letzter Fluchtpunkt ist nunmehr wieder die Kunst.
    Görne, als Schubert-Interpret, Wagner- und Mozartdarsteller auf internationalen Podien derzeit gut etabliert, singt Eisler auf eine Art, die durchaus aufhorchen lässt: nicht als den Ex-Modernen, der seiner Herkunft entsagt, sondern als Klassiker mit neoromantischer Handschrift. Das Gegenstück auf der CD: die frühe Klaviersonate, die Thomas Larcher frech und vital einspielt.
    Es macht die Produktion nun interessant, ja diskutabel, dass Goerne auch andere Titel der Platte im Gestus besagter Ernster Gesänge vorträgt: Brecht‘sche Songs aus den 1930er Jahren, die Goerne und Larcher zu philosophischen Kunstliedern wandeln, dabei durchaus zähmen - sowie eine Auswahl des miniaturistischen Liedguts aus Eislers Hollywooder Exil.
    In Selbigem begegnet erneut die einsame Männerfigur - zuweilen ähnelt sie dem Schubert’schen Wanderer in schöner oder leerer Natur. Hier jedoch reflektiert sich ein politisch und rassisch verfolgter Künstler in einem Exil, in dem er sich fremd fühlt, an dem er sich aber auch kräftigt reibt. - Darbietung und Komposition lassen aufhorchen, wo Tagespolitisches nachlässt, Grundsätzlichem weicht. Etwas Unabgegoltenes tritt dann aus den Miniaturen hervor, was sie für heutige Hörer beredt werden lässt:
    Hanns Eisler, Über den Selbstmord / Und es sind die finstern Zeiten Matthias Goerne (Bariton), Matthias Larcher (Klavier) CD harmonia mundi HMC 902134, LC 7045
    Lieder Hanns Eislers aus mehreren Schaffensstadien des Komponisten – neu eingespielt für das Label harmonia mundi von Matthias Goerne (Bariton), Thomas Larcher (Klavier) und dem Ensemble Resonanz.
    Der Schritt zur zweiten CD, die ich Ihnen anspielen will, scheint nicht sonderlich weit. Die Besetzung ist gleich: Bariton und Klavier. Der Komponist ist inspiriert von einem namhaften Autor; mit dem Sänger verbindet ihn eine lange Zusammenarbeit – und aus alledem erwächst wiederum eine Männergestalt von einiger Abgründigkeit.
    Pascal Dusapin, O Mensch! / Zürnt mir nicht Georg Nigl (Bariton), Vanessa Wagner (Klavier) CD col legno WWE 1CD 20405, LC 07989
    Das gestalterische Spektrum des Singenden überzeugt. Der karge Klaviersatz, zuweilen kaum mehr als Schraffur, wirkt präzis. Beider Zusammenspiel ist potenzielles Theater. Die dargestellte Figur indes ist von eigener Art. Es ist nicht der getretene, nicht der verlorene Mensch, es ist auch nicht der solidarische, hilfreiche - sondern vielmehr ein Eitler, Gekränkter, der sich selbst in das Abseits begibt, das er beklagt.
    Eine Attitüde des Hegemonialen ist stets gegenwärtig, ganz gleich, ob sich der Dargestellte aufbrausend, düster, narrenhaft oder messerscharf artikuliert. Wenngleich die Rezeption dahin tendiert, ein Nietzscheporträt ist das nicht!
    Selbst wenn der französische Komponist Pascal Dusapin im CD-Booklet eingesteht, länger Nietzsche gelesen zu haben. Dieser ist nur-mehr der Autor der 23 verwendeten Gedichte, Notate, Fragmente, die Dusapins Musik vielgestaltig umgibt und die Georg Nigl, der begabte Akteur singend und theatral deklamierend zum Leben erweckt. Der viel beschäftigte Wiener Bariton hatte den Anstoß zur Werkentstehung gegeben;
    Dusapin allerdings komponierte ihm nicht die gewünschten drei Lieder, sondern einen 75-minütigen Abend. Stilistisch sind die Gesänge und ihr Klavierpart sehr frei. Ähnlich wie Liedzyklen Schuberts oder Brecht/Eislers Liederbuch aus dem Exil oder Monologe von Wagner und Schönberg, die allesamt künstlerisch Pate gestanden haben könnten bei diesem Entwurf, so birgt auch Dusapin Potenzial für die Szene.
    Die Uraufführung 2011 erfolgte denn auch als inszeniertes Konzert, eine Bühnenversion tourte durch Frankreich und Belgien. Bariton Nigl gab darin als Darsteller einen innerlich tief Bewegten, Einsamen, der einstehen soll für nichts Geringeres als Höhenflug und Elend der Spezies Mensch.
    Vorausgesetzt, ein Kunstwerk, das heute entsteht, sei stets ein Gegenwartskommentar, so steht die Frage nach einer eigentlichen Botschaft der Komposition: Birgt Dusapins O Mensch! Ein Künstlerdrama, einen Konflikt zwischen bürgerlichem Alltag und dem Bedürfnis nach freiem Tun? Diskutiert das Opus das "radikal Böse in der menschlichen Natur" frei nach Kant oder vielmehr im Sinne von Hannah Ahrendts Totalitarismus-Kritik. Eines steht fest: Dusapins Zyklus fußt nicht wie bei Eisler auf erlebter Erfahrung, auf Verfolgung, Vertreibung und Krieg.
    Sondern auf dem Vermögen, sich auf dem heutigen Markt der Avantgardekultur verkaufen, d. h. durchsetzen zu können. Und zwar mit einem eigenen Thema. Womöglich hat Dusapin auch diesen Aspekt im Visier: den Blick in den eigenen Spiegel mit Versen Nietzsches. Gering zu schätzen ist auch das nicht! Ein Stück wie beispielsweise An Richard Wagner, verziert mit einer Tristan-Figur, wäre ein gewisser Beleg.
    Pascal Dusapin, An Richard Wagner / Georg Nigl (Bariton), Vanessa Wagner (Klavier) CD col legno WWE 1CD 20405, LC 07989
    Pascal Dusapin – O Mensch! Zyklus für Bariton und Klavier auf Texte von Friedrich Nietzsche. Hier auf CD dokumentiert beim Wiener Label col legno mit Georg Nigl (Stimme) und Vanessa Wagner (Klavier). Zuvor habe ich Ihnen Lieder Hanns Eislers angespielt, die Bariton Matthias Goerne und Matthias Larcher (Klavier) für Harmonia Mundi neu eingespielt haben.