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Eröffnung des neuen Dresdner Staatsoperettenhauses
Orpheus im Kraftwerk

Einst lieferte es Strom für die Straßenbahn; nun ist das historische "Kraftwerk Mitte" die neue Spielstätte der Dresdner Staatsoperette. Die erste Premiere in diesem Haus galt Jacques Offenbach und seinem "Orpheus in der Unterwelt".

Von Dieter David Scholz | 19.12.2016
    Blick auf die historische Front des Kraftwerks Mitte, die neue Spielstätte der Staatsoperette und des Theaters Junge Generation in Dresden (Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa)
    Neues Domizil der Staatsoperette Dresden: das Kraftwerk Mitte (dpa-Zentralbild)
    Musik: Offenbach, Orpheus
    Es war ein Drama in fünf Akten, bis die neue Spielstätte der Staatsoperette Dresden mit Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" eröffnet werden konnte. Jahrzehntelang spielte man im abgelegen Stadtteil Leuben in einem Provisorium. Im Jahre 2001 wurde der Neubau der Staatsoperette politisches Thema, aber schon im nächsten Jahr verkündete der damalige Oberbürgermeister die Schließung der Staatsoperette. Nach Protesten und Resolutionen mit mehr als einhunderttausend Unterschriften wurde die drohende Schließung abgewendet. Die Stadt erwog zunächst einen Neubau mittels eines Investorenmodells. Doch kein Investor fand sich für eine Operetten-GmbH. Dann überlegte man, ob man das alte Haus sanieren oder gar die Staatsoperette mit dem Staatsschauspiel fusionieren solle. 2011 schließlich verabschiedete der Stadtrat die Ausschreibung für den Ausbau des ehemaligen Kraftwerks Mitte als multifunktionalen Kulturstandort, an dem die Staatsoperette ihre neue Heimat finden könne, aber auch das Theater junge Generation mit seinen drei Sparten Schauspiel, Puppentheater und Theaterakademie, sowie das Heinrich Schütz-Konservatorium. Staatsoperettenintendant Wolfgang Schaller:
    "Schon in 50er und 60er Jahren wurde darüber gesprochen, dass die Staatsoperette zurück in die Stadt ziehen müsste, es gab ja außer Oper und Schauspiel in Dresden drei Theater, in denen regelmäßig unterhaltendes Musiktheater gespielt wurde, nämlich das Residenztheater, das Zentraltheater und das Alberttheater. Und dass jetzt diese Idee unserer Vorfahren und unserer jetzigen Theaterleute endlich in die Tat umgesetzt werden kann, ist natürlich wunderbar."
    Musik: Offenbach, Orpheus
    Vom Kraftwerk zur Operettenbühne
    Der Energiestandort wurde also zum neuen "Kulturstandort". Es ist ein gigantischer Industriebau, der im Jahre 1900 als Maschinenhalle für Dampfdynamomaschinen zur Gleichstromerzeugung für den Straßenbahnbetrieb in Betrieb genommen wurde. Er wurde umgebaut zu einem aufregend alten und doch ganz neuen Komplex. Weiße moderne Wandelemente treffen auf denkmalgeschützte Fundamente aus Backsteinziegeln, über die sich Stahlstützen und Treppenhäuser erheben. Darin das neue Operettentheater mit 700 Plätzen. Der Zuschauerraum ist in Rot und Schwarz gehalten. Es gibt großzügige Foyers. Die Bühne ist mit neuester anspruchsvollster Technik ausgestattet. Und die Finanzierung des Operettenhauses ist zumindest mittelfristig gesichert. Wolfgang Schaller:
    "Auch im jüngsten Haushaltsbeschluß für die Jahre 2017 und 2018 ist das abzulesen, und es ist auch der Erhalt des Ensembles in der Personalstärke, wie wir jetzt sind, mit unseren 56 Musikern, 27 Chorsängern, 18 Tänzern und 25 Solistenstellen gesichert durch den Haustarifvertrag. Der beinhaltet ja, dass wir für den Neubau auf erhebliche Verdienstanteile verzichten, aber andererseits, der Träger, die Landeshauptstadt Dresden auch auf eine Kürzung des Ensembles, im Vertragsdeutsch betriebsbedingte Kündigungen verzichtet."
    Gehaltsverzicht für Neubau
    Seit 2009 verzichten die Ensemblemitglieder auf 8 Prozent ihres Gehaltes und stellten so 13 Mio. Euro bereit für den Neubau, der insgesamt 100 Millionen kostete. Das Kraftwerk Mitte liegt im Herzen der Stadt, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hochschule für Musik am Wettiner Platz. Chefdramaturg Heiko Cullmann:
    "Ich hoffe, dass durch den Umzug in die Mitte von Dresden doch mehr Besucher kommen, die früher den Weg nicht nach Leuben gefunden haben. Der Weg mit der Straßenbahn 45 Minuten vom Zentrum war doch schon sehr weit. Ich denke eben, dass jetzt mehr Touristen kommen, mehr Leute, die hier in den Bezirken selbst wohnen, und vielleicht auch Studenten."
    Musik: Offenbach, Orpheus
    Ob die Studenten von der Eröffnungspremiere "Orpheus in der Unterwelt" angetan sein werden, darf bezweifelt werden, eher vielleicht von der schon in dieser Woche anstehenden Ausgrabung des vergessenen Leonard Bernstein-Musicals "Wonderful Town". Offenbachs grandiose Operette wurde von Regisseur Arne Böge und den Videokünstlern von fettFilm als harmlos bilderbogenhafte Operette ohne Biss und doppelten Boden inszeniert, so dass die freche Mythentravestie mit ihrem Potential für aktuelle Anspielungen und Gesellschaftskritik ins Leere lief. Auch musikalisch war diese erste Premiere im neuen Dresdner Operettenhaus keine wirkliche Offenbarung. Es fehlte an Drive und Esprit. Immerhin brachte man eine wiedergefundenen Nummer, die seit dem Tod Offenbachs zum ersten Mal wieder zu hören war. Heiko Cullmann:
    "Wir spielen erstmals wieder ein Stück, das in der Uraufführung nachweislich gespielt wurde 1858, dann herausgenommen wurde, weil ein Darsteller ausfiel, es ist die sogenannte Barque à Caron, die Barke Charons, ein Quartett im Hades-Akt zwischen Eurydike, Hans Styx, dem Fährmann der Unterwelt, Charon und dem Höllenhund Zerberus, eine Nummer, die in der Uraufführung sogar mehrfach wiederholt wurde, wie aus den Kritiken hervorging. Und das Quartett hat einen Refrain, der wirklich das Zeug zum Hit hat."
    Musik: Offenbach, Orpheus, Barque à Caron