Samstag, 20. April 2024

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Hitze-Entschädigungen für Landwirte
"Ich halte nichts davon, das Geld mit der Gießkanne zu verteilen"

Man müsse sich genau ansehen, welche Bauernhöfe besonders stark von der Dürre betroffen seien, sagte Martin Schulz von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft im Dlf. Doch egal wie viel Förderung es geben werde, es werde nicht dazu führen, dass die Betriebe ihre höheren Kosten decken könnten.

Martin Schulz im Gespräch mit Christine Heuer | 01.08.2018
    21.07.2018, Brandenburg, Worin: Ein Mähdrescher erntet Winterroggen auf einem Feld des Präsidenten des Landesbauernverbandes Brandenburg, Wendorff (Luftaufnahme mit einer Drohne). Brandenburgs Landwirte haben sich nach der wochenlangen Hitze und der andauernden Trockenheit erste Überblicke über Ernteschäden verschafft. «Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt», sagte Wendorff. Stellenweise liege der Ertrag bei nur noch 50 Prozent eines normalen Jahres. Die Verluste auf den Äckern in der «märkischen Streusandbüchse» mit humusarmen sandigen Böden seien nach ersten Befragungen immens.
    Auch in Brandenburg haben Bauern große Ernteverluste (dpa / Patrick Pleul)
    Christine Heuer: Im Deutschlandfunk hören Sie jetzt ein Interview mit Martin Schulz – nicht dem Martin Schulz, sondern Martin Schulz im niedersächsischen Wendland. Dort hat er einen konventionellen Schweinehof mit 800 Tieren. Kein Ökobetrieb im strengsten Sinne, aber mit den Tierschutzauflagen der Marke Neuland, die Produkte aus artgerechter Tierhaltung als "Tierwohl"-Label zertifiziert. Und Martin Schulz ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Die AbL versteht sich selbst als eine Art Opposition zum Deutschen Bauernverband, und wir haben uns gefragt, wie diese Opposition in der Branche eigentlich über die Dürrehilfen denkt. Darüber sprechen wir jetzt also. Guten Morgen, Martin Schulz!
    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Der Bauernverband will eine Milliarde Euro. Brauchen die Bauern dieses Geld? Sehen Sie das auch so?
    Schulz: Die Schäden sind schon immens durch die Trockenheit, und es gefährdet auch einige Betriebe in ihrer Existenz. Gerade die Futterbaubetriebe, also Milchviehbetriebe, Rinderhaltungsbetriebe haben das Problem, dass auf dem Grünland nichts wächst durch die Dürre, und das kriegt man auch nicht irgendwie mit Beregnung oder irgendwas ausgeglichen. Da ist man dem Wetter einfach ausgeliefert.
    Heuer: Brauchen die Bauern denn auch so viel Geld, eine Milliarde? Das ist ja ganz schön happig.
    Schulz: Wenn man das mal durch die Hektar teilt – ich hab das mal so überschlagen, wir haben so 13 Millionen Hektar in Deutschland. Wenn die Dürre flächendeckend so zugeschlagen hat wie bei uns in der Region, und alle Hektar gleich bedacht würden, dann kommt man ungefähr auf 65 bis 70 Euro pro Hektar. Das ist natürlich nicht ausreichend für die Schäden, die man hat. Aber ich halte auch nichts davon, das Geld mit der Gießkanne dann, wenn es denn Geld gibt, das mit der Gießkanne zu verteilen, sondern genau zu gucken, welche Betriebe sind stark betroffen und welche nicht.
    Heuer: Habe ich jetzt nicht verstanden, Herr Schulz. Was heißt denn das in Summe, diese 65 bis 75 Euro pro Hektar? Heißt das, Sie finden weniger Geld würde auch ausreichen?
    Schulz: Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Ich wollte nur sagen, dass, wenn man in den Regionen, die von Dürre betroffen sind, sind die Schäden natürlich wesentlich höher pro Hektar als 65 bis 70 Euro. Aber wie gesagt, die Dürre hat ja auch unterschiedlich – die Betriebe sind unterschiedlich stark betroffen von der Dürre, und deswegen ist es aus unserer Sicht auch nicht sinnvoll, dieses Geld dann gleichmäßig pro Hektar auszuzahlen, sondern genau zu gucken, welche Betriebe stark betroffen sind und welche Betriebe nicht so betroffen sind.
    "Das ist letztendlich ein Stück weit eine Anerkennung"
    Heuer: Okay, also Sie schließen sich aber der Forderung vom Bauernverband auch in dieser Höhe an, Sie sagen nur, das Geld muss gezielter ausgegeben werden, als das der Bauernverband gern sähe?
    Schulz: Nein, wir sagen, dass das aus unserer Sicht zu kurz gesprungen ist. Wir fordern, dass alle Branchenvertreter in die Verantwortung genommen werden. Wir haben zum Beispiel aktuell die Situation, dass Schweinefleisch eigentlich gar nicht so stark auf dem Markt ist, aber dass die großen Schlachtunternehmen mittlerweile so viel Marktmacht haben, dass sie immer wieder versuchen, die Preise nach unten zu korrigieren. Es gibt einen vorgeschlagenen Preis für jede Woche, an den sich eigentlich die Schlachtunternehmen halten sollten, was sie auszahlen pro Kilo Schweinefleisch. Und sie versuchen aber jedes Mal, wenn der Preis ein bisschen steigt, über Hauspreise - also indem sie sagen, wir zahlen das aber nicht -, diesen Preis nach unten zu korrigieren. Und das ist in der jetzigen Situation aus unserer Sicht völlig verantwortungslos. Ähnlich ist es bei den Molkereien, aber natürlich auch beim Lebensmittelhandel, die immer darauf bedacht sind, dass die Preise niedrig sind. Und wenn wir einen zehn Cent höheren Milchpreis hätten für die Betriebe, dann müssten wir uns wahrscheinlich nicht über eine Milliarde Euro unterhalten.
    Heuer: Ja, aber die höheren Preise werden ja auf jeden Fall nicht so schnell kommen, dass Ihnen das jetzt helfen wird.
    Schulz: Egal, wie viel Förderung es geben wird, es wird nicht dazu führen, dass die Betriebe vollständig ihre höheren Kosten durch die Dürre ersetzt bekommen. Das ist letztendlich ein Stück weit eine Anerkennung, ein Ausgleich, um das Schlimmste abzuwenden. Den Großteil werden die Betriebe selber stemmen müssen. Nichtsdestotrotz ist es so, dass die letzten Jahre die Preise in der Landwirtschaft eigentlich immer so niedrig waren, dass viele Betriebe in Existenznot kamen. Ich erinnere nur an die letzten Milchkrisen, die wir in 2015/2016 hatten. Und wenn dann noch diese Dürre dazu kommt, dann ist das natürlich schon hammerhart für die Betriebe.
    Heuer: So, jetzt ist die Not groß. Julia Klöckner sagt, sie möchte aber erst den Erntebericht abwarten, bevor sie darüber entscheidet, ob der Bund jetzt auch noch finanziell hilft. Können denn die Bauern bis Ende August warten?
    Schulz: Da gehe ich von aus, dass die Liquiditätssituation nicht so ist, dass man innerhalb von vier Wochen nicht mehr weiter kann. Aber die Mühlen des Staates mahlen sowieso sehr langsam. Bis das Geld fließt, wird es doch eher Oktober, November werden, davon gehe ich aus. Aber mit der Situation, denke ich, muss man leben.
    Heuer: Wie ist denn eigentlich Ihre eigene Lage? Ich habe es ja eingangs gesagt, Sie haben einen Schweinebetrieb mit 800 Tieren. Leiden die, leiden Sie als Unternehmer auch unter der Dürre im Moment?
    Schulz: Die Tiere leiden natürlich unter den hohen Temperaturen, aber wir haben überall Duschen installiert. Da gehen jede Stunde für eine Viertelstunde die Duschen an, damit die Schweine sich abkühlen können. Die Schweine haben auch Auslauf, die können sich zwischen zwei Klimazonen entscheiden. Was in diesem Jahr problematisch war, wir wirtschaften nach den Neuland-Richtlinien, das heißt, die Tiere stehen auf Stroh. Und dadurch, dass es wenig Getreide gab, gab es natürlich dementsprechend auch wenig Stroh. Es war schon mühselig, das Stroh für die Tiere zusammenzubekommen. In meinem Betrieb selbst ist es so, dass wir Beregnungstechnik haben, das heißt, wir können bewässern. Aber trotzdem wir das Getreide sehr intensiv gewässert haben – so viel habe ich mein Getreide in den letzten Jahren noch nie beregnet in einem Jahr, wie dieses Jahr, und trotzdem lagen die Erträge um 30 Prozent geringer, obwohl wir sehr … Und damit hatten wir natürlich nicht nur Kosten, sondern auch sehr viel Arbeit. Beregnung macht sehr viel Arbeit.
    Heuer: Aber das ist ja interessant, Herr Schulz, was Sie da sagen. Sie haben höhere Biostandards als die ganz normale konventionelle Landwirtschaft, ganz sicher höhere Standards als das, was man so unter Agrarfabriken versteht. Und was Sie schildern, ist, Sie haben es vielleicht nicht leicht, aber Sie haben nicht so ein Problem wie andere im Moment.
    Schulz: Na ja. Ich beziffere mal den Schaden für meinen Betrieb. Wir bewirtschaften 116 Hektar und haben 800 Mastplätze, und den Schaden für meinen Betrieb in diesem Jahr beziffere ich so auf 40.000 bis 50.000 Euro – das ist schon nicht ganz wenig. Also.
    "Ich kann den Weltmarkt auch nicht abschätzen"
    Heuer: Ja, aber die Frage ist ja, geht es Höfen vielleicht besser, die etwas nachhaltiger produzieren, als diesen Massenbetrieben mit der Massentierhaltung und auch mit diesen ganz großen Äckern, auf denen dann nur Monokulturen gezogen werden?
    Schulz: Ich habe meinen Betrieb natürlich versucht, dahin auszurichten, dass ich ihn an Wetterkapriolen anpasse, natürlich auch preislich. Was die Schweine angeht, haben wir ein Festpreissystem bei Neuland. Das heißt, wir sind nicht diesen Marktschwankungen so unterworfen wie die Konventionellen, das ist richtig. Ich habe für meinen Betrieb nie die Zukunft darin gesehen, für den Weltmarkt zu produzieren, weil ich die Preise überhaupt nicht abschätzen kann. Und ich kann den Weltmarkt auch nicht abschätzen, wie er funktioniert und ob er funktioniert. Deswegen ist das schon richtig, habe ich natürlich schon eine gewisse Risikoabschätzung vorgenommen und versuche, das Risiko etwas zu minimieren.
    Heuer: Ja, und andere haben das eben möglicherweise nicht getan. Wir hören ja in diesen Tagen oft den Vorwurf, auch Landwirte seien Unternehmer, und dann sei es nun mal ihre Pflicht, vorzubeugen. Haben das die großen Betriebe vielleicht einfach nicht gemacht?
    Schulz: In Teilen ist das sicherlich so. In der Außenwirtschaft habe ich halt auf Beregnungstechnik gesetzt, weil ich gesagt habe, okay, wenn wir solche Dürrejahre hatten – das letzte extreme Dürrejahr, das wir hatten, was 2003 –, bevor ich dann nichts ernte und kein Stroh für meine Tiere hab und kein Futter, muss ich eine gewisse Risikoabsicherung machen. Das haben sicherlich nicht alle Betriebe gemacht, aber das können auch nicht alle Betriebe. Es ist nicht überall möglich, Wasser aus der Erde zu bekommen.
    Heuer: Aber die großen Betriebe, die sind doch liquide, die sind mächtig, die hätten das doch eigentlich tun müssen.
    Schulz: Die großen Betriebe rechnen aber vielleicht ein bisschen anders als die kleinen Betriebe. Wenn ein Großbetrieb in den neuen Bundesländern mit 20.000 Hektar wirtschaftet und kriegt pro Hektar 300 Euro Subventionen aus Brüssel und macht das mit sehr wenig Arbeitskräften, der kommt vielleicht auch mit so einer Dürre eher klar als ein Betrieb, der darauf angewiesen ist, vielseitig zu wirtschaften, der darauf angewiesen ist, Futter für seine Tiere zu haben und kriegt aus Brüssel halt nicht Millionen, sondern nur für seinen 100-Hektar-Betrieb vielleicht 25.000 Euro.
    Heuer: Aber das klingt so, Herr Schulz, als würden die großen Betriebe nichts abbekommen wollen oder müssen von dem Kuchen, der da möglicherweise in Berlin bald aufgeschnitten wird.
    Schulz: Das ist auch wieder sehr unterschiedlich. Das sind alles Rechenexempel, diese Hektar-Prämien, die man bekommt. Die bekommt man, ob es viel regnet und man viel erntet oder eben wenig regnet und man erntet fast gar nichts. Das ist eine feste Größe, die eingeplant werden kann. Und je mehr Hektar ich habe und je kostengünstiger ich die bewirtschaften kann, desto eher habe ich von diesen Prämien aus Brüssel auch was über.
    "Wir diskutieren gerade in Deutschland über ein Tierschutz-Label"
    Heuer: Aber unterm Strich können wir ja mal festhalten, Landwirte sind Unternehmer, manche hätten besser vorbeugen können, sagen Sie, andere vielleicht nicht. Am Ende kommt aber der Steuerzahler dafür auf, wenn die Bauern ein Problem haben. Das würden sich andere Branchen auch wünschen, Herr Schulz. Ist das gerecht?
    Schulz: Das ist insofern gerecht, dass es politisch gewollt ist. Es ist politisch gewollt, dass die Nahrungsmittelpreise immer niedrig sind. Deswegen sagt der Bauernverband auch nicht, wir müssen jetzt die Schlachtunternehmen, Molkereien und den Handel in die Pflicht nehmen, sondern der Bauernverband sagt, wir wollen Geld vom Staat. Weil der Bauernverband auch daran ein Interesse hat, dass das System weiterhin so funktioniert, wie es funktioniert.
    Heuer: Haben Sie daran ein Interesse? Finden Sie das System richtig?
    Schulz: Ich finde dieses System falsch mittlerweile. Wir brauchen nur darüber nachdenken, wenn wir 30 bis 50 Prozent der Lebensmittel wegschmeißen können, weil wir es uns einfach leisten können, ist das ökologisch überhaupt nicht vertretbar. Wir sagen, wir brauchen bessere Produkte, wir sagen, wir brauchen eine andere Tierhaltung, weniger Tiere in Deutschland, dafür aber besser gehaltene Tiere. Dafür müssen aber die Produkte teurer sein. Das ist nachhaltiger, das ist ökologischer, und das ist auch eine Risikoabsicherung für die Betriebe.
    Heuer: Und Sie haben gesagt, das ist der politische Wille, der hinter der Richtung sozusagen steht, in die die Landwirtschaft geht. Was verlangen Sie, was wünschen Sie sich von der Bundeslandwirtschaftsministerin in dieser Situation? Wenn wir über grundlegende Änderungen sprechen.
    Schulz: Wir verlangen, dass wir die Möglichkeit haben, anders erzeugen zu können. Wir diskutieren gerade in Deutschland über ein Tierschutz-Label. Der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister hat da wenig voreinander bekommen, und wir fordern jetzt von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner, dass sie ein ambitioniertes Label auf den Markt bringt, damit wir Marktdifferenzierung überhaupt umsetzen können. Wir fordern aber auch als Bauern von der Bundesregierung, dass sie den Klimawandel ernst nehmen. Es ist eine Bankrotterklärung, zu sagen, wir erreichen bis 2020 die Klimaschutzziele nicht und verfehlen sie um bis zu zehn Prozent – aber das holen wir alles nach, wir haben ja noch Zeit bis 2050.
    "Anreize könnten wir setzen über das Geld aus Brüssel"
    Heuer: Aber an dem Klimawandel – Entschuldigung, Herr Schulz, da gehe ich noch mal rein –, an dem Klimawandel sind ja die Landwirte in Deutschland maßgeblich beteiligt. Die tragen ja ganz viel dazu bei.
    Schulz: Ja, das ist – nein, die gesamte Ernährung. Landwirtschaft und Ernährungsindustrie tragen ungefähr 20 Prozent zu den CO2-Emissionen in Deutschland bei. Wir sind ja auch bereit, was zu ändern, wir ändern auch was, wir verbessern uns da auch. Als Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft fordern wir das schon lange, dass wir vielfältigere Fruchtfolgen haben, die auch klimaschonender sind. Dafür muss es aber auch Anreize geben. Diese Anreize könnten wir setzen über das Geld aus Brüssel, das an die Betriebe verteilt wird. Es braucht gar nicht mehr Geld, es müsste nur mal anders – es müssten nur andere Anreize gesetzt werden.
    Heuer: Glauben Sie, dass die Politik aus dieser Dürre jetzt endlich lernt? Weil über dieses Problem reden wir ja immer wieder, und wir haben nicht mehr viel Zeit, Herr Schulz, ich muss es leider sagen.
    Schulz: Ich glaube, dass die Politik … Ich bin sehr pessimistisch, dass sie schnell daraus lernt. In der Politik geht es sehr langsam voran, und ich glaube, sie lernt nur daran, wenn diese Dürreereignisse in kürzeren Abständen kommen. Dann erhöht sich der Druck. Ich glaube, die Situation ist, dass wir, wenn der Regen dann vielleicht im Herbst einsetzt, dass so was dann auch schnell wieder vergessen ist. Das ist immer das Problem, das am Laufen zu halten.
    Heuer: Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft war das. Herr Schulz, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
    Schulz: Vielen Dank auch!
    Heuer: Einen schönen, erfolgreichen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.