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Ersatz für Julian Assange

Kristinn Hrafnsson gab für die Enthüllungsplattform WikiLeaks Interviews, als sich Chef Julian Assange versteckt hielt. Bislang hat er als Journalist gearbeitet. Erst vor drei Monaten wurde er von seinem Sender entlassen.

Von Philipp Boerger | 10.12.2010
    Grauhaarig, schlank und immer gut gekleidet. Auf den ersten Blick könnte man ihn für einen Verwandten von Julian Assange halten. Der fast 50 Jahre alte Kristinn Hrafnsson gilt als neues Aushängeschild von WikiLeaks. Seine früheren Kollegen beim isländischen Fernsehen allerdings reden nicht nur gut über ihn.

    In den letzten Wochen war es Hrafnsson, der für WikiLeaks die Interviews gab. Während Assange sich versteckt halten musste, war Hrafnsson Gast in Talkshows - zum Beispiel beim britischen Sender Channel 4. Dort kündigte er an, dass WikiLeaks noch viele hunderttausend Dokumente mehr habe:

    "Diese Kabel werden wir in den nächsten Wochen nach und nach veröffentlichen. Zum Teil beziehen sie sich auf letzten Enthüllungen, über die auf der ganzen Welt berichtet wurde. Wir wollen dabei auch mit mehr Medien, vielleicht auch regionalen und lokalen Medien zusammenarbeiten."

    Im Internet ist zwischen Gegnern und Befürwortern von WikiLeaks eine Art Cyberkrieg ausgebrochen. Hacker haben in dieser Woche mehrere Male die Server des Bezahldienstes PayPal und der Kreditkartenfirmen MasterCard und Visa attackiert und lahmgelegt. Die hatten zuvor die Spendenkonten von WikiLeaks eingefroren. US-Amerikanische Politiker bezeichnen WikiLeaks als terroristische Organisation. Die Veröffentlichungen würden Menschenleben gefährden und könnten ganze Regionen destabilisieren, heißt es in Washington. Kristinn Hrafnsson hält diese Vorwürfe für übertrieben:

    "Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, wie eine Großmacht wie die USA ihre Außenpolitik wirklich gestaltet. Und WikiLeaks veröffentlicht nur vollständig editierte Dokumente. Namen von Einzelpersonen tauchen nirgendwo auf. Wenn die Veröffentlichungen nun für Streit und Konflikte sorgen, liegt das nicht an WikiLeaks. Sondern an der unfreundlichen Art und Weise von Diplomaten und ganzen Regierungen.""

    Bis vor einem Jahr hat Kristinn Hrafnsson als Fernsehjournalist für die öffentlich-rechtliche Anstalt RÚV gearbeitet. Dort kam er auch zum ersten Mal mit WikiLeaks in Kontakt. Im Sommer 2009 war ein brisantes Dokument über die Kaupthing-Bank auf WikiLeaks aufgetaucht. Die Bank war, bevor sie pleite ging, von ihren eigenen Großaktionären noch geplündert worden. Die Fernsehnachrichten wollten darüber berichten. Aber der Kaupthing-Bank war es gelungen, per Gerichtsentscheid ein Sendeverbot zu erzwingen, erinnert sich Chefredakteur Ingólfur Bjarni Sigfusson:

    ""Fünf Minuten vor der Sendung wird man wütend, wenn man so eine Meldung bekommt. Und das waren wir auch, stinksauer. Haben einfach einen Text für unseren Sprecher geschrieben: Guten Abend, hier sind die Meldungen von heute oder wenigstens die Meldungen, die wir euch bringen dürfen, denn wir dürfen nicht aus diesen Dokumenten berichten, wir dürfen euch nicht sagen, wer Geld von der Bank bekommen hat. Dieses Verbot gilt aber nur für uns. Und die Dokumente sind auch abrufbar unter wikileaks.org."

    Mit der Aufdeckung dieses Skandals wurde WikiLeaks in Island bekannt. Redaktionell hatte Kristinn Hrafnsson mit dem Fall zwar nichts zu tun. Aber er engagierte sich seitdem, zusammen mit vielen anderen, für neue und fortschrittlichere Mediengesetze in Island. So kam er mit Julian Assange in Kontakt. Und begleitete ihn bei dessen Auslandsauftritten. Als WikiLeaks im April das Video veröffentlichte das zeigt, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber heraus irakische Zivilisten und zwei Journalisten von Reuters erschießen, trat Hrafnsson als Sprecher der Enthüllungsplattform:

    "Die Arbeit von WikiLeaks zeigt auch, wie sehr die etablierten Medien bei der Berichterstattung aus dem Irakkrieg versagt haben. Gerade Berichterstatter IM Irak haben sich viel zu oft auf die offiziellen Informationen der US-Army verlassen. Und wir haben hier bei WikiLeaks viele geheime Militärdokumente. Da wurden der Öffentlichkeit viele Informationen über tote Zivilisten vorenthalten."

    Bei öffentlichen Auftritten verhält sich der Isländer bisher zurückhaltender und sachlicher und weniger emotional und demagogisch als Assange.
    Als Journalist beim isländischen Fernsehen arbeitet Kristinn Hrafnsson nicht mehr. Erst vor drei Monaten wurde er von seinem Sender entlassen.
    Offiziell wurde erklärt, es habe redaktionelle Differenzen gegeben, doch in Wirklichkeit gab es hinter den Kulissen einen Vorfall mit Handgreiflichkeiten. Seine ehemaligen Kollegen berichten, dass Hrafnsson Probleme hat, die er nicht in den Griff bekommt.

    Als Journalist sei er aber eisenhart gewesen. So hat er sich schon 2005 mit den Banken angelegt, als die isländische Finanzwelt noch in Ordnung schien. Und wegen seiner früheren Berichte ist er für einige isländische Politiker nach wie vor ein rotes Tuch. Nach der Verhaftung von Julian Assange steht Kristinn Hrafnsson jetzt im Rampenlicht, denn wenigstens einen offiziellen Ansprechpartner braucht WikiLeaks.
    Hinter vorgehaltener Hand sagen seine früheren Fernseh-Kollegen, für die Internetplattform sei Hrafnsson als Sprecher womöglich keine so günstige Wahl.