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Erst Ausbildung, dann Abschiebung

Jugendliche Migranten stehen unter dem besonderen Schutz der UNO-Kinderrechtskonvention, die auch Spanien unterschrieben hat: Die Abschiebung von Minderjährigen ist nur in Ausnahmen möglich. Doch jetzt werden viele Zuwanderer volljährig - was tun?

Von Hans-Günter Kellner | 15.02.2010
    Auf dem Fußballplatz ist Spaniens Einwanderungsgesellschaft ein Idyll. Ecuadorianer, Marokkaner, ein Chinese, ein paar Spanier und sieben junge Männer aus Mali spielen Fußball im Park des Madrider Vororts Parla. Zum Fußballspielen haben die jungen Männer aus Mali zu viel Zeit. Denn arbeiten dürfen sie nicht, obwohl sie unbedingt wollen. Sie alle kamen 2006 nach Spanien, als insgesamt 30.000 Afrikaner die Überfahrt über den Atlantik auf die Kanarischen Inseln wagten. Omar war damals 15 Jahre alt:

    "Auf den Kanaren haben sie uns eine Aufenthaltsgenehmigung für ein Jahr gegeben, die hier dann verlängert wurde. Als ich 18 Jahre alt wurde, rief mich Tato vom Hilfswerk für Sozialarbeit an. Er sagte mir: 'Deine Papiere sind mit Deinem 18. Geburtstag abgelaufen. Wir müssen eine Lösung finden.' Ich weiß nicht, ob er schon eine Lösung gefunden hat."

    Denn seit sie volljährig sind, stehen die Bootsflüchtlinge nicht mehr unter dem Schutz der UN-Kinderrechtskonvention. Und jetzt, ohne Aufenthaltsgenehmigung, könnten sie jederzeit abgeschoben werden. Zumal Spanien mit Mali inzwischen ein Rücknahmeabkommen von Flüchtlingen unterzeichnet hat. Doch nicht immer führt eine Verhaftung auch gleich zur Abschiebung, erzählt Bandjougou:

    "Wir spielten mal wieder Fußball. Da kamen zwei Polizisten in Zivil und verlangten nach unseren Papieren. Weil wir keine hatten, nahmen sie uns mit auf die Wache. Zum Glück kam recht schnell ein Rechtsanwalt, redete mit ihnen, und wir konnten gehen. Natürlich hatten wir Angst vor der Abschiebung. Aber sie haben uns nicht schlecht behandelt. Der Chef der Wache sagte uns noch, wir sollten uns Polizisten gegenüber normal verhalten und keine große Klappe riskieren, dann bekämen wir auch keine Probleme."

    Vier Jahre lang haben sich die Behörden um die afrikanischen Jugendlichen aus dem Senegal, Mauretanien, Mali oder Guinea gekümmert. Die meisten besuchten in Spanien zum ersten Mal eine Schule, lernten Lesen und Schreiben, machten eine Ausbildung zum Schreiner, Kraftfahrzeug-Mechaniker oder Gärtner. Jetzt ist ihre Ausbildung beendet, doch arbeiten dürfen sie nicht - obwohl einige konkrete Angebote bekommen haben. Dabei bräuchten ihre Familien zu Hause unbedingt ihre Hilfe, erklärt Massire, der inzwischen Schreiner ist:

    "Das mit den Papieren ist schlimm. Mein Vater ist jetzt über 80 Jahre alt und arbeitet immer noch. Er kann nicht aufhören, sonst hat er gar kein Geld. Die Familie hat meine Überfahrt bezahlt, 2500 Euro. Was soll mein Vater ohne meine Hilfe machen? Er muss arbeiten, um essen zu können. Er ist Landwirt."

    In den Ausbildungswerkstätten im Madrider Stadtteil Carabanchel sind alle voll des Lobs über die Afrikaner. Die Werkstätten sind ursprünglich als letzte Chance für Schulabbrecher konzipiert worden. Die jungen Männer aus Mali seien hingegen hoch motiviert bei der Sache, sagt Schreinermeister Nacho Ugade. Er ist sich sicher, dass seine Schüler ihren Weg gehen werden. An eine schnelle Abschiebung glaubt er nicht:

    "Sie müssen jetzt geduldig sein. Keine Krise dauert ewig. Mit der Ausbildung hier werden sie dann nicht mehr nur die Handlangerarbeiten machen. Die politischen Probleme werden sicher gelöst werden. Man kann die Leute aus der Dritten Welt doch nicht aufnehmen, in ihre Ausbildung investieren und wenn sie volljährig sind, wieder nach Hause schicken. Solange sie nicht straffällig werden, werden sie bestimmt nicht ausgewiesen. Spanien und ganz Europa braucht Arbeitskräfte. Wir sind doch viel zu alt. Die Leute haben ja nur noch ein Kind – oder gar keine Kinder mehr."

    Weshalb auch Spanien gerade über die Sicherheit der Renten diskutiert. "La Calle", das Hilfswerk, das die Afrikaner betreut, verhandelt unterdessen mit der Ausländerbehörde. Die Aufenthaltsgenehmigungen sollen künftig nicht mit der Volljährigkeit ablaufen. Denn wenn die Afrikaner eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, funktioniere die Integration ohne Probleme, berichtet die Sozialarbeiterin Carolina Uranga:

    "Ganz ehrlich: In unserem Projekt haben wir 80 Afrikaner betreut. Ein Einziger konnte sich nicht integrieren und musste schließlich in ein geschlossenes Heim. Ein Einziger. Mehr als zehn haben hingegen Arbeitsverträge bekommen. Wir haben viele Beispiele, die zeigen, ihre Integration ist möglich!"

    Darauf hoffen Omar, Bandjouguou, Massime und die Übrigen auch. "Schließlich bin ich nicht nach Europa gekommen, um hier faul rumzusitzen", sagt einer. Und trotz der Gefahren bei der Überfahrt, über die keiner reden möchte, trotz der Probleme mit den Behörden, und trotz der vielen unerreichten Ziele kann Amadou verstehen, dass Europa in Afrika immer noch ein Kontinent der Sehnsucht ist:

    "Das muss jeder selbst entscheiden. Wenn einer nach Europa will, wünsche ich ihm viel Glück. Soll ich ihm von dem gefährlichen Meer erzählen? Er wird mir nicht zuhören. Er wird denken, schließlich bin ich schon in Europa, ich habe gut reden. Ich war auf dem Meer, ich weiß, wie es ist. Entweder Du schaffst es - oder Du stirbst. Das hängt von Deinem Glück ab. Was soll man da noch sagen?"