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Erst Regen, dann Beben?

Geologie.- Im Herbst 2008 überschütteten Tropenstürme Haiti mit ungeheuren Regenmassen - anderthalb Jahre später bebte dort die Erde. 2009 überschwemmte ein Taifun Taiwan mit Wasserfluten - ein halbes Jahr später erschütterte ein sehr starkes Beben die Region. Zufall? Vielleicht nicht, denn zweier Studien zufolge könnte es eine Verbindung zwischen Wetterphänomenen und Erdbeben geben.

Von Dagmar Röhrlich | 29.05.2012
    Die Tropenstürme, die Haiti und Taiwan im Vorfeld der schweren Erdbeben getroffen hatten, waren keine normalen Unwetter: Während des Taifuns Morakot fielen in Taiwan innerhalb von fünf Tagen fast vier Meter Regen.

    "Dieser sehr regenreiche Taifun war unserer Theorie zufolge lediglich der Auslöser des Bebens ein halbes Jahr später. Der eigentliche Motor für das Beben war natürlich die Plattentektonik: Sie verschiebt die Krustenplatten gegeneinander. An den Störungen bauen sich Spannungen so hoch auf, dass sie sich schließlich jederzeit in einem Erdbeben entladen können. Dann kann ein regenreicher Taifun zum Auslöser werden, und zwar, weil seine Wassermassen die Erosion sprunghaft ansteigen lassen."

    Die Regenfälle des Taifuns Morakot lösten schwere Erdrutsche aus, so dass in den kommenden Monaten weitere Regenfälle im Verein mit den Flüssen gewaltige Mengen an Erdreich ins Meer schaffen konnte, erklärt Shimon Wdowinski von der University of Miami:

    "So wird die Erdkruste von einer Auflast befreit. Dadurch verändert sich das Stressfeld, auch an den Störungen im Untergrund: Die weggespülten Landmassen pressen den Untergrund nicht mehr zusammen, der Stress löst sich, die Erde bebt."

    Shimon Wdowinski stützt sich bei seiner Aussage auf die Statistik: Danach ereigneten sich 85 Prozent aller Beben in Taiwan mit einer Magnitude stärker als 6 innerhalb von vier Jahren nach einem regenreichen Taifun: fünfmal mehr als im statistischen Durchschnitt:

    "Wir haben diese Analyse auch für schwächere Beben zwischen Magnitude 5 und 6 durchgeführt. Da ist der Zusammenhang nicht so deutlich wie bei den Starkbeben, aber auch dieser Bereich liegt über dem statistisch zu erwartenden."

    Auch für den Himalaja konnte eine andere Geophysiker-Gruppe einen Zusammenhang zwischen Wetter und Erdbeben herstellen - genauer: zwischen Monsun und Erdbeben. Der Himalaja entsteht durch die Kollision der Indischen Platte mit der Eurasischen, wobei die Indische Platte sich unter die eurasische schiebt, erklärt Thomas Ader vom California Institute of Technology in Pasadena:

    "Während des Sommermonuns regnet es sehr viel und das Wasser sammelt sich auf der indischen Platte. Diese Wassermassen sind so gewaltig, dass sie ausreichen, um die Indische Platte leicht nach unten zu drücken."

    Nachweisen lassen sich diese Verformungen mit hochgenauen GPS-Messungen. Wenn sich die Indische Platte unter den Regenmassen biegt, verändert das die Spannungen an den Störungssystemen im Kollisionsbereich mit Eurasien. Weil sich Indien nach unten verbiegt, drückt es nicht mehr so stark gegen Eurasien, entlastet das System also. Deshalb bebt es seltener. Im Winter, wenn es nicht regnet, passiert das Gegenteil:

    "Das Wasser ist abgeflossen und die Indische Platte kehrt in die Normallage zurück, und die Spannung, die durch diese Bewegung entsteht, verstärkt die allgemeine tektonische Spannung - und die Erde bebt häufiger."

    Glücklicherweise sind die meisten dieser Beben klein, kaum zu spüren. Ob Himalaja oder Taiwan - im Vergleich zu den Spannungen, die sich durch die großen tektonischen Bewegungen aufbauen, sind die wetterbedingten Veränderungen im Stressfeld minimal. Sie liegen in einer ähnlichen Größenordnung wie die durch die Gezeiten, die ja auch auf die Gesteine wirken. Aber die Gezeiten lösen keine Beben aus:

    "Die Entstehung eines Erdbebens braucht also längere Zeiträume als die Dauer der Gezeiten. Für Nepal wissen wir deshalb, dass die minimalen Veränderungen länger als einen halben Tag wirken müssen, um ein Beben auszulösen."

    Auch die Daten aus Taiwan, wo die Veränderungen im Stressfeld etwas kleiner sind als im Himalaja, lassen auf Zeiträume von Monaten schließen. Die Wetterphänomene können damit also zu dem Tropfen werden, der ein das sprichwörtliche Glas zum Überlaufen bringt - in diesem speziellen Fall also ein Erdbeben auslöst.