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Erste Gentherapie vor Zulassung

Mehr als zwanzig Jahre nach der ersten Gentherapiestudie am Menschen, hat die Europäische Arzneimittelagentur jetzt grünes Licht geben für die erste offizielle Zulassung einer Gentherapie außerhalb Chinas. Nach einer Reihe von Rückschlägen könnte der Behandlungsansatz damit erstmals in der EU genehmigt werden.

Von Volkart Wildermuth | 01.08.2012
    Noch fehlt das letzte Okay der Europäischen Kommission, aber das ist wohl nur noch Formsache. Schließlich hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA in London die Zulassung von Glybera befürwortet. Diese Gentherapie soll ein extrem seltenes Erbleiden behandeln. Den Patienten fehlt ein wichtiges Enzym für die Fettverarbeitung im Körper. Jede fettige Mahlzeit beschert ihnen schlimme Bauchschmerzen, ein Besuch im Fast-Food-Restaurant kann tödlich enden. Glybera soll das ändern. Die Gentherapie besteht aus einem künstlichen Virus, das eine intakte Kopie des Enzymgens enthält. Das Virus wird in den Oberschenkel injiziert, dringt in die Muskelzellen ein und bringt sie dazu, das fehlende Enzym über Jahre herzustellen. Bisher wurde Glybera an 27 Patienten getestet. Dr. Jörn Aldag vom Hersteller uniQure aus Amsterdam ist mit den Resultaten mehr als zufrieden.

    "Das hat ihr Leben verändert. Vorher litten diese Patienten immer wieder unter schweren Entzündungen der Bauchspeicheldrüse, manche mussten sogar auf die Intensivstation. Nach der Behandlung sank die Zahl der Entzündungen deutlich."

    Die Patienten sind nicht komplett geheilt. Sie müssen immer noch eine Diät einhalten. Aber selbst wenn sie einmal eine sehr fette Mahlzeit zu sich nehmen oder viel Alkohol trinken, sind die Folgen längst nicht mehr so schlimm. Eine Patientin wurde sogar schwanger und brachte ein gesundes Baby zur Welt. Trotzdem hat die EMA die Zulassung von Glybera zunächst abgelehnt. Eine Studie mit nur 27 Patienten war einfach nicht genug, erinnert sich Dr. Marisa Papaluca, bei der EMA Leiterin der Abteilung für die wissenschaftliche Beurteilung.

    "Mit den wenigen Daten wollten sie eine sehr komplexe Krankheit angehen, das war nicht ausreichend."

    Komplex ist die Krankheit, weil ihre Auswirkungen auf die einzelnen Patienten recht verschieden sind. Einige müssen häufig auf die Intensivstation, andere nie. Um hier für mehr Klarheit zu sorgen, hätte uniQure größere Studien starten müssen. Das aber war unmöglich, es gibt einfach zu wenige Menschen mit diesem Erbleiden. Im zweiten Anlauf beantragte das Unternehmen deshalb, Glybera nur für die am schwersten betroffenen Patienten zuzulassen. Diesmal gab die EMA grünes Licht, obwohl es kaum zusätzliche Daten gab.

    Aldag: "Manchmal ist es nett, der Erste zu sein, aber es ist auch manchmal schwer. Es gab einen phänomenalen Lernprozess bei unserem Unternehmen und den Behörden."

    Papaluca: "Mehr Daten wären besser, aber die Patienten brauchen Hilfe. Die Nutzen-Risiko-Bilanz ist positiv, deshalb haben wir so entschieden."

    Das Risiko der Gentherapie sei gering, die Forscher haben aus der Erfahrung gelernt. Vor allem nutzen sie nun andere Viren. Die ersten Genfähren hatten die heilenden Gene direkt ins Erbgut eingebaut. Ein Vorgang, der in seltenen Fällen Krebs auslösen kann. uniQure hat stattdessen auf ein sogenanntes Adeno-assoziiertes Virus gesetzt, erläutert Jörn Aldag:

    "Unser Virus deponiert das Gen sozusagen als zusätzliches Minichromosom im Zellkern, ohne die restlichen Gene zu verändern. Da bleibt es und sorgt für die Produktion des Enzyms."

    Die mit Glybera behandelten Patienten werden engmaschig kontrolliert, sodass eventuelle Nebenwirkungen schnell auffallen sollten. Marisa Papaluca ist sich sicher, dass Glybera nur der Anfang ist. Allein uniQure arbeitet an vier weiteren Formen der Gentherapie und bei der EMA werden derzeit 41 Anträge aus diesem Feld bearbeitet, erklärt sie:

    "Alles ist bereit. Wir haben die Expertise, die Zulassungsvorschriften stehen und es gibt Produkte. Die Zeit ist reif, Gentherapien auch den Patienten zugutekommen zu lassen."