Uraufführung "Die Wohlgesinnten"

Der Skandal blieb aus

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Probenfoto vom April 2019 an der Flämischen Oper in Antwerpen mit allen Akteuren auf der Bühne zur Operninszenierung "Die Wohlgesinnten" des katalanischen Komponisten Hèctor Parra.
Die Gräuel spielen sich eher im Kopf ab, sagt Uwe Friedrich über die Oper "Die Wohlgesinnten", die in Antwerpen uraufgeführt wurde. © Foto: Flämische Oper/Annemie Augustijns
Von Uwe Friedrich · 24.04.2019
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Nach Jonathan Littells umstrittenem Roman „Die Wohlgesinnten“ über die Judenvernichtung hat der Komponist Hèctor Parra eine Oper geschrieben. Die kluge Umsetzung an der Oper Antwerpen und die musikalische Qualität haben unseren Kritiker überrascht.
Wenn die Tabus des Stoffs zu schwach sein sollten, werde der versierte Skandalregisseur Calixto Bieito bestimmt mit seiner Art der Inszenierung für Aufregung sorgen. Diese Vermutung unseres Kritikers Uwe Friedrich erwies sich zwar prinzipiell als richtig, wie er im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur nach der Uraufführung der Oper "Die Wohlgesinnten" bestätigt. Doch der Regisseur Calixto Bieito, der früher ein Garant dafür gewesen sei, dass skandalträchtige Szenen mit Körperflüssigkeiten geboten wurden, habe sich zurückgehalten:
"Selbst in den Inzest-Szenen, die auch ausführlich gespielt werden. Die Gräuel spielen sich eher im Kopf des – hoffentlich wissenden – Zuschauers ab. Die Opfer der Erschießungsaktion werden so erschossen, wie Kinder 'Erschießen' spielen. Also ausgestreckter Zeige- und Mittelfinger und der Daumen ist der Abzug – ohne dass da mit Maschinengewehren aus der Requisite gespielt wird."

Viel Presse und großartige Musik

Dass die Inszenierung trotzdem medienwirksam ankomme, dafür habe Aviel Cahn gesorgt: "Natürlich ist das auch auf PR gesetzt. Der Presseauftrieb ist enorm heute Abend. Der scheidende Intendant Aviel Cahn hat immer ein Händchen gehabt für großes PR-Tamtam." Auch der Aufschrei der großen jüdischen Gemeinde in Antwerpen sei mit Sicherheit einkalkuliert.
Obwohl sich Friedrich nicht für die Buchvorlage begeistern konnte, sei die Oper ein gelungenes Werk:
"Diese Musik ist ungeheuer kraftvoll, ist extrem klug gebaut und hochemotional. Ich war überhaupt nicht gelangweilt." In den Schilderungen der Gräuel der Geschichte erinnere die Oper an die Passionen, weil darin eben soviel erzählt werde. "Das ist eine Musik, die dieser Figur – dieser sehr gestörten, psychopathischen Figur – sehr nahe kommt, ohne sich emotional anzubiedern. Das hat mich musikalisch wirklich sehr überzeugt."
Er glaube, dass die Oper im Nachhinein sehr kontrovers diskutiert werde zwischen denen, die das Buch mögen und die das Buch nicht mögen, sagt Friedrich: "Ich mag das Buch nicht, ich mag die Oper. Ich kann mir vorstellen, dass wer das Buch mag, die Oper schwierig findet."
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