Donnerstag, 28. März 2024

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Erster "Myschkin-Preis" vergeben

Die Preisträger des ersten "Myschkin-Preises" könnten unterschiedlicher nicht sein: Stephane Hessel ist Diplomat und Autor, Martin Balluch Tierschützer und Gaetano Benedetti Psychotherapeut. Einer der Laudatoren, Thomas Macho, sagt über die Ausgezeichneten: "Die haben sehr radikale Dinge gemacht".

Thomas Macho im Gespräch mit Mascha Drost | 30.01.2012
    Mascha Drost: "Die ganze Kraft des Menschen liegt darin, zu beweisen, dass er keine Schraube, sondern ein Mensch ist. Deshalb tun wir nicht das, was man von uns erwartet, sondern etwas Unsinniges." – Von Dostojewski stammt dieser Satz und was könnte unsinniger sein, als sich ausschließlich menschlich, edel, hilfreich und gut zu verhalten – so wie Fürst Myschkin, der "vollkommen schöne Mensch". Und der vollkommene Idiot – denn seine Menschlichkeit macht die Welt nicht etwa menschlicher, die Welt treibt ihn mit ihrer Schlechtigkeit und ihren Abgründen selbst in den Abgrund, in den Wahnsinn. Nach Fürst Myschkin, der Hauptfigur aus dem "Idioten" von Dostojewski, ist jetzt ein neuer Preis benannt – unter anderem Peter Sloterdijk und Peter Weibel haben ihn ins Leben gerufen, damit sollen "kulturschöpferische und ethische Leistungen geehrt werden, deren Urheber sich durch vorbildhafte Beiträge zur Schaffung eines Klimas der Generosität hervorgetan haben". Verliehen wird der Preis heute, zum ersten Mal, und ich habe vorher mit einem der Laudatoren gesprochen, dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho, und die erste Frage hat gelautet: Was bedeutet es denn für einen Preis, wenn er nach einer solchen tragischen Figur benannt ist?

    Thomas Macho: Ja, das ist eigentlich eine Erinnerung daran, dass die kulturelle Kreativität und Generosität nicht immer zum Vorteil der Urheber ausfällt, und es ist keine Empfehlung für die Ausgezeichneten, jetzt ihrerseits wahnsinnig zu werden, aber eine Erinnerung jedenfalls an diese Tradition, dass man manchmal auch abseits der ausgetretenen Wege gehen muss, um Wichtiges für die Welt und Geratenes zu schaffen.

    Drost: Ist das auch so etwas wie eine Verbindung, eine Gemeinsamkeit, der gemeinsame Nenner zwischen den drei Preisträgern, den Ersten? Es sind Stephane Hessel, Martin Balluch und Gaetano Benedetti, ein Diplomat und Autor, ein Tierschützer und ein Psychotherapeut. Ist das so deren Verbindung?

    Macho: Das ist deren Verbindung, denke ich. Das ist die Verbindung: Die haben sehr radikale Dinge gemacht und getan, wenn ich an Benedetti mich erinnere und natürlich Hessel, der jetzt mit seinem Manifest "Empört euch" viel wahrgenommen wird, aber eben erst am Ende eines sehr langen und auch schwierigen Lebens, und Martin Balluch, der eben von der Mathematik und der Physik und der Astronomie zu einem der überzeugtesten und in seinem Leben auch konsequentesten Tierrechtsaktivisten geworden ist.

    Drost: Sie werden ja die Laudatio auf ihn halten, auf Martin Balluch, ein Tierethiker und Tierrechtler. Sie haben es kurz schon angedeutet, aber was ist denn genau, wenn Sie es ein bisschen ausführlicher machen, das Preiswürdige, das Myschkin-Preiswürdige an seiner Arbeit?

    Macho: Ja eben diese frühe Entdeckung, dass ganz viel davon abhängt, dass wir unser Verhältnis zu den Tieren verändern, und dass eben dieses falsche Verhältnis zu den Tieren auch an der Wurzel vieler zeitgenössischer Probleme steht – ich denke zum Beispiel an den Klimawandel und was könnte man alles verändern, wenn die Nutztierhaltung verändert werden könnte -, und dass das nicht aus irgendeinem Kontext von was weiß ich, einer Tierschutzbewegung, oder einer Religion oder so entstanden ist, sondern aus dem Zentrum moderner Naturwissenschaften selbst. Der Mann hat eben Mathematik, Astronomie, Physik studiert, auch abgeschlossen, promoviert in Heidelberg, ist dann in Cambridge jahrelang als Universitätsassistent in derselben Abteilung tätig gewesen, in der auch Stephen Hawking, der weltberühmte Physiker, arbeitet. Dass aus dieser, gerade im Zentrum der Naturwissenschaften angesiedelten Tätigkeit dann so etwas wie das Engagement für die Tierrechte und für die Tierethik entstanden ist, das finde ich sehr bewundernswert, und Martin Balluch hat dann eben auch noch diese Aktivitäten wirklich durchaus bis an die Grenzen dessen, was man Individuen zumuten kann, getrieben. Ich meine, der ist in Untersuchungshaft gesessen, dem wurde die Bildung einer kriminellen Organisation vorgeworfen und was weiß ich noch alles.

    Drost: Das Geld, 50.000 Euro, das für sein "Work in progress" vergeben wird, das ist durch private Spenden zusammengekommen. Wären solche Preise nicht anders zu finanzieren, oder ging es den Preisstiftern Peter Sloterdijk oder Regina Haslinger um die eigene Unabhängigkeit?

    Macho: Ich glaube, da ging es ein Stück weit um die Unabhängigkeit, und natürlich ist so ein Preis, der assoziiert ist mit diesem russischen Fürsten aus dem Dostojewski-Roman, natürlich passt das auch zu so einem Preis, dass man dann dahinter eben auch anonyme Spender und großzügige Menschen weiß, die nicht mit diesem Preis ihren eigenen Namen und ihr eigenes Engagement verewigen wollen.

    Drost: Ist der Fürst Myschkin heute noch eine zeitgemäße Figur?

    Macho: Ich finde ihn eine wunderbare und großartige Figur und ich finde die Idee fantastisch, einen Preis nach ihm zu benennen, denn in gewisser Hinsicht ist das natürlich eine absolut zeitgemäße Figur und man kann sie über viele, viele Varianten und Variationen auch bis in die Gegenwart wiederentdecken. Künstler und Kreative und Denker, die etwas wirklich Neues, etwas wirklich Herausragendes schaffen wollen, müssen sich oft eben auch wie dieser Fürst an die Grenzen, wenn man so will, auch der psychischen Gesundheit begeben.

    Drost: Heute Abend wird er verliehen, der erste Myschkin-Preis – das war Thomas Macho, einer der Laudatoren.