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Erster Weltkrieg
Als jüdische Soldaten für Deutschland kämpften

Fast 100.000 jüdische Soldaten nahmen auf deutscher Seite am Ersten Weltkrieg Krieg teil. Sie hofften, so endlich als gleichberechtigte Bürger anerkannt zu werden. Ein Irrtum: Rechte Kreise pflegten über jüdische Truppen weiter das tradierte Klischee des angeblichen "Drückebergers".

Von Carsten Dippel | 18.06.2014
    Die ersten deutschen Soldaten überqueren zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 die französische Grenze.
    Die ersten deutschen Soldaten überqueren zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 die französische Grenze. (picture alliance / dpa)
    Mit markigen Worten schwor Kaiser Wilhelm II. am 4. August 1914 in einer Thronrede vor dem Reichstag die Deutschen auf den patriotischen Kampf ums Vaterland ein:
    "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!"
    ... so seine Worte. Der proklamierte Burgfriede sollte die Nation einen über alle gesellschaftlichen und politischen Gräben hinweg. Auch die Juden des Reiches waren damit angesprochen. Fast 100.000 jüdische Soldaten haben auf deutscher Seite am Krieg teilgenommen. Gut 10.000 gar als Freiwillige. Julius Schoeps vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum:
    "Juden standen zweifellos in ihrer Mehrheit links von der Mitte. Aber es gab natürlich viele, die konservativ eingestellt waren und das zeigte sich bei Kriegsausbruch: Man meldete sich zu den Fahnen und war stolz darauf, Kriegsdienst leisten zu können. Das war das Bekenntnis zu Deutschland, das Bekenntnis zu Preußen, das Bekenntnis zum Kaiser; und wir können tatsächlich von so etwas wie einem jüdischen Patriotismus sprechen. Man zog in den Krieg, weil man der Überzeugung war, man müsste seine Pflicht leisten."
    Der jüdische Soldat – ein Drückeberger?
    Doch nicht alles war patriotischer Überschwang, wie er in der aufgeheizten Atmosphäre des Sommers 1914 allerorts anzutreffen war. Viele Juden verbanden mit dem bevorstehenden Waffengang die Hoffnung, durch ihren Einsatz fürs Vaterland endlich als gleichberechtigte Bürger anerkannt zu werden. Zwar sprach ihnen die Reichsverfassung von 1871 alle Bürgerrechte zu. In der Realität jedoch gab es nach wie vor viele Schranken. Höhere Richterämter waren ihnen verwehrt, Universitätslaufbahnen blockiert, Offizierskarrieren nahezu ausgeschlossen. Doch zu Kriegsbeginn sah es so aus, als würden diese Schranken fallen. So konnten Juden nun auch Offiziere werden. Zudem wurde antisemitischer Agitation mit Zensur begegnet. Würde der Frieden halten, was er versprach? Werner Bergmann vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin:
    "Man setzte die Hoffnung in ihn jetzt von jüdischer Seite, aber man war gewarnt, weil das Bild der Juden oder Bild des jüdischen Soldaten ist ja nicht erst im Ersten Weltkrieg attackiert worden, sondern es gibt eine lange Tradition seit dem frühen 19. Jahrhundert, dass Juden als Soldaten immer als Drückeberger, als wenig zuverlässig, als schwächlich, als schlechte Soldaten galten."
    Während sich an den Fronten die Kämpfe immer länger hinzogen und schnelle Kriegserfolge ausblieben, verstärkten rechte Kreise ihre antijüdischen Kampagnen. Sie fragten jetzt: Suchten Juden ihr Heil nicht lieber in warmen Schreibstuben hinter der Front, statt sich mit ihren Kameraden im Schützengraben zu bewähren? Mit Petitionen und Denkschriften an das Kriegsministerium machten Antisemiten Front gegen die angeblichen "Drückeberger". Bis sich das Ministerium zu einer umstrittenen Maßnahme entschloss: Im Herbst 1916 ordnete es eine "Judenzählung" im Deutschen Heer an. Julius Schoeps:
    "Als die Judenzählung kam und man nachweisen wollte, dass Juden feige seien und sich vor dem Dienst mit der Waffe drücken würden, dieses war eine Debatte, die einen antisemitischen Hintergrund hatte, gar keine Frage. Natürlich, es gab Feldrabbiner, es gab zweifellos ein jüdisches Engagement, das kann man nicht hinwegleugnen. Aber den Antisemiten passte das nicht. Sie wollten nicht, dass Juden in der deutschen Armee als ihresgleichen angesehen werden. Für die jüdische Seite war das ganz sicher eine Enttäuschung, weil man merkte, dass man nicht akzeptiert wurde, egal, ob man nun für das Vaterland in den Krieg zog oder nicht."
    Geschätzte 12.000 Juden fielen für Deutschland
    Zu Beginn der 20er-Jahre wies der Statistiker Franz Oppenheimer nach, dass Juden genauso wie ihre nichtjüdischen Kameraden in den Schützengräben standen und fielen. Ihr Anteil am Heer entsprach ihrem prozentualen Anteil an der Bevölkerung. Schätzungsweise 12.000 Juden sind in den Kämpfen gefallen. Gegen die Agitation der Antisemiten nutzten sachliche Nachweise indes wenig. Je länger der Krieg dauerte, je mehr sich ein Scheitern abzeichnete, umso stärker wuchs der Argwohn. Sah man in den Juden einerseits Drückeberger, galten jüdische Unternehmer wie Alfred Ballin oder Walter Rathenau, die in sogenannten Kriegsgesellschaften Rüstung, Nachschub und Versorgung organisierten, als Kriegsgewinnler. Wirtschaftliche Not an der Heimatfront, der in weite Ferne gerückte Sieg, ein gefährlicher Bodensatz, so Werner Bergmann:
    "Diese alten antijüdischen Vorstellungen werden jetzt sehr stark reaktiviert. Von daher ist die Stimmung sozusagen in Deutschland generell, beginnt sich antisemitisch einzufärben. Auch die Auseinandersetzung dann im Reichstag um die Frage eines Friedensschlusse, also Siegfrieden gegen Verständigungsfrieden, das war die Alternative und Juden wurden da immer zu dieser Friedenspartei gezählt."
    Der Dolchstoß und erste progromartige Ausschreitungen
    Nach der Niederlage 1918 sahen sich Juden vielfach mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrats konfrontiert. Nicht nur hätten sie sich vor dem Schützengraben gedrückt und am Krieg bereichert, vielmehr seien sie im Verbund mit Liberalen und Sozialdemokraten dem unbesiegten Heer in den Rücken gefallen. So die damals schnell in Umlauf gebrachte Legende vom Dolchstoß. Untermalt vom Horrorszenario eines "jüdisch-bolschewistischen" Umsturzes wie in Russland. Der Erste Weltkrieg wirkte wie ein Brandbeschleuniger für den Antisemitismus.
    "Vor 1918 waren die Antisemiten systemloyal. Sie hatten nichts gegen das Kaiserreich, sondern sie hatten etwas gegen die Position der Juden im Kaiserreich. Das war auch ähnlich in Österreich oder auch in Ungarn. Jetzt haben wir eine neue Situation: Jetzt wird der Kampf gegen die Republik gleichzeitig ein Kampf gegen die Juden. Das verbindet sich. Also vorher haben die Leute ja hauptsächlich Traktate verfasst, Broschüren geschrieben, Reden gehalten. Aber es gibt relativ wenig antijüdische Gewalt. Und das ändert sich eben nach 1918. Wir erleben überall im Reich Übergriffe gegen Juden, gibt kleinere pogromartige Ausschreitungen. Also das ist ne völlig neue Situation. Das heißt, jetzt wird tatsächlich agiert und nicht nur geschrieben."
    Am Ende schlug die Hoffnung, mir der viele Juden 1914 in den Krieg gezogen waren, in bittere Enttäuschung um. Zwar fiel das Ancien-Regime und mit ihm tatsächlich die letzte Barriere auf dem Weg der Emanzipation. Doch die gesellschaftliche Atmosphäre war bereits zu Beginn der Republik nachhaltig vergiftet.
    "Man kann erkennen, wie sich das politische Klima gegen die Juden geändert hat. Und das ist von jüdischer Seite auch schon so, 1917/18 gibt es Stimmen, die sagen, es wird einen Judenkrieg nach dem Krieg geben. Wir müssen uns drauf gefasst machen, dass, wenn der Krieg verloren wird, man gegen uns losziehen wird. Und das ist bis zu einem gewissen Grade ja auch so passiert."
    100 Jahre Erster Weltkrieg - Themenseite des Deutschlandfunks