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Erwin Wurm Ausstellung
"Es geht mir auch um Sinnlichkeit"

Eigentlich seien wir Menschen "die ersten Skulpturen, mit denen wir zu tun haben", sagte der österreichische Bildhauer Erwin Wurm im Corsogespräch. Volumen zulegen oder wegnehmen lasse sich aber auch auf Statussymbole wie Autos übertragen. In Duisburg stellt Wurm eine ganze Reihe deformierter Statusobjekte aus.

Erwin Wurm im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 06.07.2017
    Der Künstler Erwin Wurm im Lehmbruck-Museum in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) neben seiner Skulptur "Kuss"
    "Gesellschaftliche Fragen mit dem Skulpturalen verknüpfen", das will der Künstler Erwin Wurm. Derzeit findet eine große Retrospektive seiner Werke in Duisburg statt. (picture alliance / dpa / Jonas Güttler)
    Bernd Lechler: Der österreichische Künstler Erwin Wurm gehört international zu den Großen und Renommierten. Er hat den Begriff der Skulptur neu definiert, indem er die Betrachter mitmachen und Skulptur werden ließ, er hat Autos anschwellen lassen, bis sie lächerlich aussehen oder in andere Statussymbole Dellen getreten und zieht einen - stets freundlich, aber energisch - in seine irritierende Welt. In Duisburg beginnt morgen im Lehmbruck-Museum und im MKM Museum Küppersmühle eine große Retrospektive. Und ich durfte ihm heute Vormittag einige Fragen dazu stellen. Grüße Sie, Herr Wurm!
    Erwin Wurm: Guten Tag.
    "Mein Land ist mein Ideenfundus"
    Lechler: Eine der neuen Arbeiten in dieser Ausstellung heißt "Land der Berge". 55 winzig kleine Berge, in Kupfer gegossen, auf so kleinen weißen Podesten, die aussehen wie … naja, kleine Berge, manche wie Köpfe, manche wie Hundehaufen. Und schon auf den Fotos bringt mich dieser Clash zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen ziemlich durcheinander. Welcher Gedanke - oder welche Gefühlslage - hat Sie zu dieser Arbeit geführt?
    Wurm: Ja, der Satz "Land der Berge" - also der Titel - stammt ja aus der österreichischen Bundeshymne. "Land der Berge, Land der Äcker, Land am Strome, Land der Söhne zukunftsreich". Und bei den Söhnen, da hat es vor Kurzem gehakt. Dann kamen die Töchter hinzu, natürlich, selbstverständlich, ganz wichtig. Die hatte man bis jetzt vergessen.
    Also, das ist ja so ein Kennungsmerkmal. Und eine Nation oder ein Staat oder ein Land - wie auch immer - stellt sich ja … will sich ja dargestellt wissen durch die Bundeshymne. Und "Land der Berge", ganz am Anfang. Der Titel und die Arbeit bezieht sich auf mein Land. Das ist ja der Steinbruch für mich, der Ideenfundus. Mit all diesen Problemen und Verschiebungen und Verwerfungen beschäftige ich mich ja seit vielen Jahren. Und Ausgangspunkt vieler Arbeiten und unter anderem auch dieser.
    "Blickwinkel des Paradoxen"
    Lechler: Ich sprach vorhin schon von den "One-Minute-Sculptures", von denen auch welche zu sehen sein werden. Da soll man sich - wer es noch nie gesehen hat - als Besucherin oder Besucher Bücher zwischen die Beine und Arme klemmen oder den Kopf irgendwo reinstecken oder in einen Stuhl schlüpfen. Warum zwingen Sie uns in so peinliche Situationen und Positionen?
    Wurm: Na, erstens zwinge ich niemanden! Es ist ja eine Einladung. Ich schreibe also kleine Texte mit Zeichnungen auf Podesten. Und lade den Besucher, die Besucherin ein, den Anweisungen zu folgen und die Skulptur zu realisieren - nach den Anweisungen - und so die Skulptur entstehen zu lassen. Und bei diesen Konstellationen, bei diesen kurzlebigen Skulpturen - ich nenne sie Skulpturen, es sind Aktionen - also jemand macht eine Handlung, führt eine Handlung aus und steht dann still, bleibt dann eingefroren stehen. Und diese kurzlebigen Aktionen, kurz ist auch nur … eine Minute ist auch nur ein Synonym für "kurz", das kann zehn Sekunden sein oder zwei Minuten. Da kommt es immer zu Handlungen, die sehr nahe am Alltagsbereich angelegt sind, aber trotzdem auf unsere Alltagswelt aus einer vollkommen anderen Perspektive blickt. Ich nenne das immer Blickwinkel des Paradoxen. Der uns dann erlaubt - wenn man sich darauf einlässt - unsere Realität anders zu sehen oder anders interpretiert zu sehen. Und das ist etwas, was mich interessiert.
    Aus Subjekt wird Objekt
    Lechler: Wie sehr interessiert Sie denn genau, was diese Minute - oder diese 20 Sekunden - mit den Menschen machen? Also lassen Sie sich auch von Leuten erzählen, wie es war?
    Wurm: Ja, das kommt natürlich immer wieder vor. Das Prägnanteste ist wahrscheinlich ein vollkommener Wechsel der Situation. Weil normalerweise, wenn man durch eine Ausstellung geht, ist man ein Beobachter oder eine Beobachterin, also ein beobachtendes Subjekt. Und wenn man aber dann als Skulptur in einer Aktion auf so einem Podest steht, wird man selbst beobachtet. Also man wird passiv und ist beobachtetes Objekt. Also ein vollkommener Wechsel der Situation und der Positionierung. Und das löst viel aus und das bringt viele Gedanken mit und animiert zu vielen verschiedenen Dingen und Vorstellungen und Gedanken.
    "Paranoia und Klaustrophobie"
    Lechler: Ich habe mich letztes Jahr in der Berlinischen Galerie durch Ihr "Narrow House" gezwängt, 20 Meter lang, 9 Meter hoch - aber eben nur einen Meter breit. Mit Telefon und Vase und allem drin, schmalen Möbeln. Ihr Elternhaus als klaustrophobischer Ort. Hat sich das damals so angefühlt?
    Wurm: Nein. Wenn man aufwächst in einer Umgebung, in einer Gesellschaft, im Elternhaus, in der Schule und so weiter, kommt einem das, wenn es passiert - also in der Zeit, in der es passiert - nie sonderbar vor, weil man ja das andere nicht kennt. Und erst, wie ich sozusagen später dann reflexiv meine Zeit und die Form, wie ich aufgewachsen bin und wo ich aufgewachsen bin reflexiv, rückblickend betrachtet habe, sind mir verschiedene Dinge aufgefallen. Und eines davon war, dass ich in einer … war ja letzten Endes, 1954 geboren, doch noch eine Nachkriegsära, wo man anders mit jungen Menschen und mit Leuten und die Gesellschaft miteinander anders umgegangen ist, als heute. Da hat sich inzwischen viel verändert. Aber der Blick zurück in die Vergangenheit - und darum geht es auch letzten Endes also - hat dieses Bild des Eingezwängt-Seins, der Paranoia und der Klaustrophobie und so weiter hervorgebracht.
    "Intellektualität allein ist mir zu wenig"
    Lechler: Was macht das mit Ihnen, wenn Sie das dann als Kunstobjekt realisieren? Ist das eine rein intellektuelle Auseinandersetzung?
    Wurm: Also Intellektualität in der Kunst allein ist mir immer zu wenig, es geht mir auch um Sinnlichkeit. Wenn man beides zusammenbringt und koppelt - das finde ich am interessantesten! Funktioniert selten - aber wenn es funktioniert, dann gut! Es gibt auch viele Fehlschläge oder viele Male, wo es nicht funktioniert und nicht so gut läuft - aber das gehört halt auch dazu.
    Das Werk "Fat Car" des Künstlers Erwin Wurm - ein zur Lächerlichkeit aufgeblasener Sportwagen - bei einer Ausstellung in Sao Paulo im Februar 2017 (Bild: Cris Faga / imago stock&people)
    Das Werk Fat Car erläutert die Hassliebe zum Auto. "Es ist eine Identifikationsfigur, letzten Endes ein Identifikationsobjekt." (imago stock&people / Cris Faga)
    Lechler: In dieser Duisburger Ausstellung steht auch so ein verfetteter, adipöser, roter Sportwagen. Und Sie haben auch Löcher in metergroße goldene Smartphones getreten, also Statussymbole lächerlich gemacht. Wieso ist Ihnen das wichtig?
    Wurm: Also das ist ja so eine Hassliebe-Beziehung zum Auto. Einerseits ist es ein wunderbares Objekt, mit dem man schnell unterwegs sein kann. Es ist eine Identifikationsfigur, letzten Endes ein Identifikationsobjekt. Und vieles, vieles mehr! Neben der Tatsache, dass es uns auch wohin bringt.
    Menschen als Skulpturen
    Lechler: Sie fahren selber gerne schöne Autos?
    Wurm: Ja, das sind halt diese Bubenträume - und irgendwann konnte ich sie mir halt verwirklichen. Aber gut, jetzt zurück zum Auto: Also ausgehend davon, dass ich probiert habe, immer meine Vorstellung, was Bildhauerei ist oder der Versuch, der langjährige, das zu hinterfragen: Was kann das, Bildhauerei? Was ist das? Was kann das für mich bedeuten, in der Gesellschaft? Gibt es irgendeine Relevanz? Das war das Eine. Und das Zweite hat mich immer interessiert: Gesellschaftliche Fragen unserer Zeit - das Hier und Jetzt - zu stellen und die mit dem Skulpturalen verknüpfen.
    Wir haben noch länger mit Erwin Wurm gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Und so kam ich irgendwann auf die Idee, dass wir eigentlich - wir Menschen selbst - die ersten Skulpturen sind, mit denen wir zu tun haben. Wir arbeiten quasi plastisch-bildhauerisch, indem wir ständig Volumen zulegen oder Volumen wegnehmen. Das ist ja die klassische bildhauerische Arbeit. Also wenn ich etwas in Ton modelliere - und genau das passiert beim Zunehmen und beim Abnehmen, beim dicker werden. Und das habe ich dann noch mal in weiterer Folge verbunden mit einem technischen Medium. Nämlich mit dem des Autos. Oder auch mit einem tektonischen, mit dem Haus. Also unsere großen Statussymbole, Häuser und Autos, die so viel über unsere Gesellschaft aussagen. Und da gibt es dann noch andere Facetten, über die man reden könnte. Aber das ist so eine der Ersten.
    "Lachen ist ein Teil von Paradoxie"
    Lechler: Nun befassen sich Ihre Arbeiten ja schon mit wesentlichen Dingen - und haben eine große Tiefe und auch einen formalen Reiz. Aber viele sind dabei sehr lustig! Man kann auch prima Kinder mit in die Ausstellungen nehmen. Ist Ihnen eigentlich andere Kunst oft zu gewichtig - und überhaupt der ganze Betrieb zu seriös?
    Wurm: Wenn man, so wie ich, mit dem Begriff des Paradoxen arbeitet, wo Lachen ein Teil davon ist - das bedeutet ja nicht, dass ich jetzt Scherze mache und dass mir andere Kunst zu ernst ist oder was auch immer. Ich gehe auch mit einer großen Ernsthaftigkeit an meine Arbeit heran. Ich habe eine andere Vorgehensweise und das zieht sich durch alle Bereiche durch. Es kommt noch dazu, dass ich ja mit sehr leicht wiedererkennbaren Phänomenen arbeite - also mit Dingen aus der Alltagswelt, Realität, es gibt einen gewissen Realismus. Dann verwende ich immer Comic-Strip und Science-Fiction, die fließen oft in meine Arbeit ein. Das sind sozusagen große Sprachformen unserer Gegenwart, die mich auch interessieren.
    "Eine Mona Lisa im Keller bringt nichts"
    Lechler: Sie sind ein erfolgreicher und respektierter und teurer Künstler auch. Wir wissen, dass der Kunstmarkt erratisch ist, aber andererseits ist Erfolg ja schon immer, für jeden auch, die Bestätigung, dass man die Leute erreicht und gewürdigt wird. Wie verhält sich das bei Ihnen? So das Selbstbewusstsein und die Zufriedenheit zum Erfolg?
    Wurm: Also ich habe gelernt, dass alles sehr relativ ist und sehr kurzlebig ist. Also ich bin dankbar für das, was ich erreicht habe. Und ich habe erreicht, dass ich meine Arbeiten zeigen kann! Das ist das Wichtigste. Also ich kann meine Objekte und ich kann meine Skulpturen weltweit zeigen und das ist wunderbar und fantastisch. Und das ist ein Privileg. Denn die beste Arbeit - nehmen wir mal an, es ist die Mona Lisa im Keller - bringt gar nichts! Sie braucht jemanden, der sie lesen kann und der sie verstehen kann und der Gefallen an ihr findet und Faszination! Und alleine hat kein Kunstwerk Bedeutung - es braucht immer den Betrachter, die Betrachterin, die sie lesen kann, die sie schätzen kann.
    Lechler: Die Retrospektive in Duisburg wird heute eröffnet - um 18:30 Uhr im Lehmbruck-Museum. Da wird Erwin Wurm auch zugegen sein! Und um 20 Uhr im MKM Museum Küppersmühle. Ab dem 07. Juli dann bis zum 29. Oktober im Lehmbruck-Museum und bis Anfang September im MKM Museum. Erwin Wurm - vielen Dank für das Corsogespräch!
    Wurm: Danke sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.