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Erzählexperiment
Ein Roman, neun Autoren

Neun Autoren schreiben zusammen einen Roman - ist das die Zukunft des Schreibens oder dichten hier zu viele Köche? Das literarische Onlinemagazin "Hundertvierzehn" wagt mit seinem Projekt "Zwei Mädchen im Krieg" ein digitales Erzählexperiment.

Von Simone Schlosser | 03.03.2015
    E-Book und Buch
    E-Book und Buch (picture alliance / dpa / Simon Chavez)
    Zwei scheinbar ganz normale Mädchen aus Wien ziehen nach Syrien in den Krieg. Wenige Monate später sind sie auf Facebook mit erhobenem Zeigefinger und einer Kalaschnikow im Arm zu sehen. Bilder wie diese waren der Ausgangspunkt für das digitale Erzählexperiment "Zwei Mädchen im Krieg", erzählt Thomas von Steinaecker:
    "Tatsächlich konnte ich sie sehr gut verstehen, wenn ich sie auf einem Foto sah, bevor sie nach Syrien gingen. Das waren, so schien es mir jedenfalls, völlig durchschnittliche Teenager, die vielleicht auch 'Germany's next Topmodel' sahen und von einer Karriere auf dem Laufsteg träumten. Der Weg führte eben nicht auf den Laufsteg oder zu einem Plattenproduzenten á la Dieter Bohlen, sondern in den Dschihad."
    Neun Autoren schreiben gemeinsam online einen Roman über diese beiden Mädchen. Ein digitales Erzählexperiment initiiert vom Schriftsteller und Filmemacher Thomas von Steinaecker. Jede Woche schreiben jeweils drei Autoren. Danach greifen die anderen die begonnenen Erzählstränge auf. Einer der Autoren ist Jakob Nolte. In seinen Text hat er selber Bildelemente eingebunden. Zum Beispiel das Ergebnis einer Bildersuche in einer Online-Suchmaschine:
    "Das ist fast so eine Karikatur auf so einen dokumentarischen Anspruch. Aber gleichzeitig ist das Lesen auf dem Computerbildschirm ein bisschen ein anderes. Es gibt mehr Reize. Es passiert viel, wie so ein Trick, dass man den nächsten Paragraf noch liest."
    Aufbrechen des klassischen Schreibprozesses
    Für Thomas von Steinaecker eröffnen solche Ansätze eine völlig neue Spielwiese:
    "Oder auch einen neuen Zugang zur Wirklichkeit, der einen ganz anderen Effekt hat, als wenn man sich der Wirklichkeit nur mit Text nähert. Ich glaube, auf dem Gebiet ist alles noch sehr im Entstehen begriffen, weil wir alle immer noch den Vorstellungen hinterher hängen, dass ein Roman oder eine Erzählung nur aus Text zu bestehen haben. Das ist so eine Art Reinheitsgebot. Das ist aber mittlerweile, glaube ich, nicht mehr haltbar in dieser Zeit."
    Genauso geht es auch um das Aufbrechen des klassischen Schreibprozesses. Etwa durch vielfältige Formen der Schreibbeteiligung:
    "Es verfolgt auch so ein Modell, was jetzt bekannt geworden ist, durch diesen Writer's Room, was es im Drehbuch extrem viel gibt, das gemeinsam Sachen geplant und gemacht werden, bloß dass hier die Vielstimmigkeit erhalten bleibt."
    Das Besondere daran: Die Leser können den Schreibprozess live begleiten:
    "Es gibt immer Beteiligungen. Die ist manchmal offener, manchmal weniger offen. Das ist jetzt sozusagen ein Spiel damit, dass man es versucht, weitgehend zu öffnen und nachvollziehbar zu machen, wie Texte sich verändern."
    Durch eine Kommentarfunktion kommt noch eine weitere Ebene hinzu: Hier können die beteiligten Autoren ihre Beobachtungen und Anmerkungen einbringen. So sind bereits Diskussionen entstanden die immer wieder Eingang in den eigentlichen Roman finden.
    "Das ist auch die große Herausforderung und der große Vorteil an so einem Medium wie dem Internet, dass man dort Dinge berücksichtigen kann, die in einem normalen Buch keine Rolle spielen. Wenn die Kommentare im Idealfall auf den Erzähltext zurückwirken, ergeben sich da auch wieder Bezugspunkte, die man gut nachvollziehen kann, wenn man das liest. Insofern sind sie ein integraler Bestandteil des entstehenden Romans."
    Neues Lesen
    Das angestrebte Ergebnis: Ein Mosaik-Roman, den man sowohl vertikal als auch horizontal lesen kann, und der wenig mit der klassischen Vorstellung eines Romans als einer Abfolge von Kapiteln zu tun hat.
    "Es wird etwas, was ich persönlich viel angemessener finde, für ein Medium wie das Internet, wo man eben nicht mehr linear erzählen muss, wie in einem Buch, sondern wo sehr viele Texte nebeneinanderstehen können, die dann eben ein Gesamtbild ergeben."
    Das an den digitalen Raum gebundene Erzählexperiment gibt aber nicht nur Einblicke in die Zukunft des Schreibens, sondern auch in die Zukunft der Bücher:
    "Wir sind ja bisher gewohnt, dass man Buchinhalte einfach transferiert ins Digitale und dann von einem E-Book spricht und glaubt, das ist jetzt die Zukunft des Buches. Aber die Zukunft des Buches hat meiner Ansicht nach noch überhaupt nicht begonnen, weil es immer noch nach den alten Strukturen des gedruckten Buches verläuft."
    Thomas von Steinaecker stellt sich vor, dass sich Autoren mit Programmierern zusammenschließen, um in einem Schreiblabor ohne Erfolgs- oder Veröffentlichungsdruck zusammen an neuen Möglichkeiten des Schreibens zu forschen.
    "Es wird einfach eine neue Form des Schreibens sein und des Miteinander-Schreibens. Allerdings wird es zu dieser Form nur kommen, wenn es weiter Experimente dieser Art gibt, wo dann wirklich ernsthaft erforscht wird, was man mit den digitalen Möglichkeiten anstellen kann und nicht nur schnell und billig Printinhalte digital verpackt."
    Das Erzählexperiment ist ein erster Schritt in diese Richtung.