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Erzählungen aus Israel
Den Schrecken der Welt die Stirn bieten

In seinem neuen Buch "Die sieben guten Jahre" berichtet der israelische Autor Etgar Keret von seinem Leben als Vater und Sohn. Hinter vielen seiner heiteren Geschichten verbergen sich allerdings bedrückende Sujets. Seine lässige Sprache nutzt der Autor als subversives Mittel, um den Schrecken der Welt die Stirn zu bieten.

Von Ursula März | 23.11.2016
    Der israelische Schriftsteller und Filmemacher Etgar Keret
    In Etgar Kerets Werken steckt viel subversiver Humor. (dpa/Ulrich Perrey)
    Etgar Keret sitzt gern zwischen den Stühlen und bezog folglich schon von den verschiedensten Seiten Prügel. Die israelische Rechte verzeiht ihm seine Respektlosigkeit gegenüber der Nation nicht. Die israelische Linke attackierte ihn, weil er in seinen Kurzgeschichten Siedler und Soldaten mitunter als sympathische Figuren darstellt. Subversiver Humor spielt in seinem literarischen, filmischen, zeichnerischen Werk eine weitaus größere Rolle als politische Korrektheit.
    Wer das neue Buch Etgar Kerets mit dem Titel "Die sieben guten Jahre" aufschlägt, begegnet diesem Humor schon in der ersten Episode. Sie spielt in einem Krankenhaus in Tel Aviv. Der Ich-Erzähler, erkennbar identisch mit dem Autor ist, sitzt auf einer Bank vor der Geburtsstation. Er ist verständlicherweise nervös: Die Geburt seines ersten Kindes hat sich angekündigt.
    Mit dem Taxi hat er seine hochschwangere Frau hergebracht. Der Taxifahrer, ein Sauberkeitsfanatiker, hat das Ehepaar beschimpft, weil in seinem Wagen die Fruchtblase platzte. Höchste Zeit also - die Wehen haben eingesetzt. Aber das Kind muss warten. Denn das gesamte Klinikpersonal ist damit beschäftigt, die Opfer eines Sprengstoffattentats zu versorgen, die zur gleichen Zeit eingeliefert wurden: Alltag in Israel, den Etgar Keret nicht unterkühlt, aber unaufgeregt und mit einem Zug ins Burleske schildert.
    Autobiografisches Werk
    "Die sieben guten Jahre" ist ein unverhüllt autobiografisches Buch. Eine Chronik aus Skizzen, Episoden, Erinnerungen, die sieben entscheidende Jahre im Leben Etgar Kerets umfasst. Jahre, in denen das Thema Vaterschaft eine entscheidende Rolle spielt. Am Anfang der mythischen Zeitstrecke, die in der Bibel wie im Märchen den gottgewollten Wechsel von Katastrophen und Wohlergehen anzeigt, kommt sein Sohn zur Welt, am Ende stirbt sein Vater.
    Es ist zugleich sein bislang persönlichstes Buch; so persönlich, dass er darauf verzichtet hat, es in hebräischer Sprache herauszubringen. Es erschien auf Englisch und in einigen anderen Übersetzungen, für die deutsche Leserschaft hat es nun Daniel Kehlmann übertragen, dem die verschmitzte Leichtigkeit und der stilistische Charme Etgar Kerets ganz offensichtlich entgegenkommen. Unterhaltsam im besten und intelligenten Sinn sind "Die sieben guten Jahre". Ein Buch, das großes Lesevergnügen bereitet, in seinem Gehalt jedoch nicht zu unterschätzen ist. Unter seiner Heiterkeit verbergen sich bisweilen bedrückende Sujets.
    Bedrückende Sujets
    In einer Geschichte erzählt Keret von dem Lieblingsspiel seiner Familie, an dem sich auch der vierjährige Sohn begeistert beteiligt. Es heißt "Angry Birds" und wird auf dem Iphone gespielt. Es geht darum, Vögel aus Steinschleuder zu schießen, die in Häuser knallen und sie explodieren lassen, Häuser in denen grüne Schweine leben. Kerets Eltern sind etwas entsetzt über den Zeitvertreib von Sohn, Enkel und Schwiegertochter, zumal diese unumwunden zugibt, wie viel Spaß ihnen dieser virtuell kontrollierte Terrorismus bereitet.
    Bei ihrem nächsten Besuch bringen die Eltern ein Ersatzspiel mit, das sie für den Enkel pädagogisch sinnvoller finden: Monopoly. Was Bomben sind, ahnt er bereits. Den kapitalistischen Umgang mit Geld sollte er langsam erlernen. "Die sieben guten Jahre" sind für den Schriftsteller Etgar Keret nicht zuletzt Jahre des Reisens, der Auslandsstipendien, Einladungen zu Literaturfestivals rund um die Welt.
    Geschichte eines Heimatlosen
    In einem Dutzend der kurzen Kapitel, die jeweils zur Chronik eines Jahres zusammengefasst sind, erlebt der Leser den Autor als übermüdeten, von Sitznachbarn bedrängten oder von Heimweh übermannten Flugzeugpassagier. En passant erinnert er sich an einen Flug von New York nach Amsterdam wenige Monate nach 9/11. Sein Aussehen verrät die Herkunft aus dem Mittleren Ostens und macht ihn in den Augen der amerikanischen Sicherheitskräfte verdächtig; israelischer Pass hin oder her. Fast unmerklich mischt sich in die scheinbar amüsante Episode die Geschichte des heimatlosen, an keinem Ort sicheren Juden.
    Etgar Keret ist ein Meister des lässigen Tons. Diese Lässigkeit aber ist nie Zeichen oberflächlicher oder popliterarischer Gleichgültigkeit gegenüber der Welt. Sie ist vielmehr ein subversives Mittel, mit dem Keret den Schrecken der Welt die Stirn bietet.
    Etgar Keret: "Die sieben guten Jahre. Mein Leben als Vater und Sohn"
    S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016. 222 Seiten, 19,99 Euro.