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"Es darf kein Schaden für die Institution des Bundespräsidenten entstehen"

Der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und von Thüringen, Bernhard Vogel (CDU), empfiehlt, die Diskussion um mögliche Verfehlungen Christian Wulffs "eine Stufe tiefer zu hängen". Auch gegen frühere Bundespräsidenten habe es schon Vorwürfe gegeben, etwa gegen Johannes Rau. Dennoch sei er hoch angesehen gewesen.

Bernhard Vogel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.12.2011
    Friedbert Meurer: Am ersten Weihnachtstag wird wie immer die Weihnachtsansprache von Bundespräsident Christian Wulff ausgestrahlt - bei uns im Deutschlandfunk auch: Sonntagabend, 19:05 Uhr. Es liegt auf der Hand, das wird keine leichte Aufgabe für den Bundespräsidenten werden. Wulff steht im Kreuzfeuer der Kritik. Jetzt berichtet heute Morgen auch noch die Bildzeitung, Wulff habe sich 2007 eine kostspielige Anzeigenserie vom AWD-Gründer Carsten Maschmeyer bezahlen lassen; die Rede ist von ungefähr 40.000 Euro. Wulff beharrt darauf, im Landtag in Niedersachsen nicht gelogen zu haben, und gestern legte er die entsprechenden Akten in einer Anwaltskanzlei in Berlin zur Einsichtnahme aus. In der öffentlichen Auseinandersetzung prallen vor allem zwei Argumente aufeinander in der Causa Wulff: Wir seien zu puritanisch und verlangten den absolut sauberen Politiker und Staatsmann, das sagen die einen; dagegen steht aber, ein Bundespräsident dürfe auf keinen Fall ein Landesparlament belügen oder die Unwahrheit sagen, er dürfe auch keine Geschenke mit Amtsbezug von prominenten Freunden annehmen. Am Telefon begrüße ich Bernhard Vogel, er war lange Jahre Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen (CDU). Guten Morgen, Herr Vogel!

    Bernhard Vogel: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Bundespräsident Christian Wulff hat selbst von der Verantwortung seines Amtes gesprochen, die er zu tragen hat. Ist sein Verhalten der Würde und der Verantwortung des höchsten Amtes, das unser Land zu vergeben hat, angemessen?

    Vogel: Genau diese Frage wird ja allgemein gestellt, und der Beantwortung dieser Frage soll ja die Aktenvorlage und die gegenwärtige Diskussion dienen. Ich empfehle allerdings, sie eine Stufe tiefer zu hängen, keine Vorverurteilung vorzunehmen, sondern tatsächlich nüchtern und ruhig die Fakten zu prüfen. Manche Erregungen - da wird an das Scheitern der Weimarer Republik erinnert, oder was dergleichen mehr - sind meines Erachtens der Lösung des Falles, der Klärung des Falles und der Würde des Präsidenten völlig unangemessen.

    Meurer: Auf was, Herr Vogel, kommt es denn bei einer nüchternen Betrachtung an?

    Vogel: Es kommt darauf an, ob dem Gesetz Genüge getan worden ist - das ist das Erste -, und zweitens, ob Herr Wulff verantworten kann, was er getan hat, und ob er das glaubhaft belegen kann.

    Meurer: Mit dem Gesetz meinen Sie das Ministergesetz, dass man keine Geschenke mit Amtsbezug annehmen darf?

    Vogel: Ja! Das Gesetz muss eingehalten werden, selbstverständlich, denn deswegen gibt es dieses Gesetz. Es muss aber auch der Sache gerecht geworden werden. Es muss doch möglich sein zu fragen, kann eine befreundete Familie jemanden in einer bestimmten Lage nicht aushelfen, würde das ein normaler Mensch unter den deutschen Bürgern nicht auch tun, oder liegt tatsächlich eine Verletzung vor, die man nicht akzeptieren kann.

    Meurer: Wie haben Sie das in Ihrem Kabinett in Mainz oder Erfurt damals gehandhabt? Gab es da Spielregeln, was getan werden darf und was nicht?

    Vogel: Also zunächst erinnere ich mal daran, dass wir in Thüringen und in den neuen Ländern in den ersten Jahren wahrlich andere Sorgen hatten, als uns mit solchen Dingen zu beschäftigen. Wenn ich dieses Thema ausführlich angesprochen hätte, hätten mich meine Kollegen ausgelacht. Wir haben jeden Tag die schwierigsten Entscheidungen zu treffen gehabt. Aber auch dort, aber vor allem vorher in Rheinland-Pfalz galt natürlich, wenn man nach einem Winzerfest eine Flasche Wein geschenkt bekam, konnte man die mit heimnehmen, oder man konnte sie an seinen Sicherheitsbeamten weiterschenken. Wenn man ein Geschenk bei einem Auslandsbesuch machte, dann allerdings hat man es entweder in der Staatskanzlei ausgestellt, damit sich die Leute darüber freuen, oder man hat es in den Gruselkeller verbannt, wenn es scheußlich war.

    Meurer: Wenn man Ihnen einen teuren Luxusurlaub angeboten hätte, Herr Wulff, hätten Sie es angenommen?

    Vogel: Nein!

    Meurer: Entschuldigung, Herr Vogel!

    Vogel: Danke schön. Nein, das hätte ich nicht angenommen. Aber wenn ich Freunde hätte, die über ein Ferienhaus verfügen, bin ich nicht ganz sicher, dass ich mich nicht mal für ein paar Tage hätte einladen lassen. Angenommen als Bestechung hätte ich das selbstverständlich nicht, aber ich weiß nicht, ob ich nicht, wenn ich in den Tiroler Bergen einen Freund hätte, auch mal eine Woche mich hätte einladen lassen. Das will ich nicht ausschließen.

    Meurer: Wenn es eine kleine Anfrage im Landtag gegeben hätte, hätten Sie dann gesagt, es gab keine Geschäftsbeziehung, obwohl Sie im Urlaub waren?

    Vogel: Eine solche Gesetzesregelung gibt es nach meiner Erinnerung in Rheinland-Pfalz und in Thüringen nicht. Aber es war für mich selbstverständlich, dass ich Geschäft trennen musste vom Alltag. Aber es war für mich auch selbstverständlich, dass ich alles tat, um Kontakt zu Unternehmern, insbesondere zu ausländischen Unternehmern herzustellen, um sie dafür zu gewinnen, sich in Deutschland anzusiedeln. Natürlich habe ich mit den Herren von Daimler gesprochen, beispielsweise mit Herrn Schleyer, als es um den Bau eines Lastkraftwagenwerkes im Süden von Rheinland-Pfalz ging. Und ich war froh, dass es zu solchen Kontakten und Gesprächen kam. Aber ich habe selbstverständlich mich dabei nicht bestechen lassen, das ist doch ganz selbstverständlich.

    Meurer: Eine entscheidende Frage, Herr Vogel, ist ja das Verhalten, das Aussageverhalten Christian Wulffs auf eine kleine Anfrage im niedersächsischen Landtag hin 2010. Riecht das, was wir jetzt hören, was der Unternehmer Egon Geerkens sagt, nicht doch sehr danach, dass er der Kreditgeber war und nicht seine Ehefrau?

    Vogel: Also das mag so oder so riechen. Das muss nüchtern, in Ruhe und sachlich geklärt werden und darf nicht davon abhängen, welche Nase der eine oder der andere hat. Es darf kein Schaden für die Institution des Bundespräsidenten entstehen - da haben wir ja Erfahrung. Es gab ja auch bei früheren Bundespräsidenten schon heftigste Vorwürfe; sie haben nicht zu einer Beschädigung des Amtes geführt, im Gegenteil. Beispielsweise Johannes Rau ist zu einem hoch angesehenen, sehr geachteten Bundespräsidenten auch in unserer Erinnerung geworden, obwohl er monatelang heftigsten Vorwürfen ausgesetzt war, und andere Beispiele fallen mir auch noch ein.

    Meurer: Unter anderem auch von Christian Wulff. Ich zitiere: Wulff hat im Jahr 2000 zu der WestLB-Affäre und Johannes Rau gesagt: "Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben." Fallen diese Worte jetzt auf ihn selbst zurück?

    Vogel: Also zunächst einmal fallen mir viele Leute ein, die das heute auch wieder sagen. Und trotzdem - ich wiederhole noch mal - ist aus Rau ein hoch angesehener Bundespräsident in der Reihe unserer ja insgesamt sehr angesehenen Bundespräsidenten geworden. Und dasselbe, was für Rau gegolten hat, muss man doch auch Herrn Wulff gelten lassen können.

    Meurer: Der Vorgänger von Christian Wulff, Horst Köhler, hat vor eineinhalb Jahren das Amt hingeworfen. Jetzt diese Vorwürfe. Ist der Schaden nicht schon da für das Amt?

    Vogel: Also die beiden Vorgänge haben ja nun offensichtlich nichts miteinander zu tun, außer dass sie aufeinanderfolgen. Aber man darf doch nun nicht aus der Kausa Köhler, die ich nach wie vor sehr bedauere, aber akzeptieren muss, Folgerungen für die Vorwürfe gegen Herrn Wulff ziehen, sondern man muss jedem seine eigene Dignität einräumen und muss sie danach beurteilen. Wir können doch nicht, weil wir uns über den Rücktritt von Köhler geärgert haben, jetzt den Rücktritt von Wulff fordern. Das ist doch keine Konsequenz und keine Logik.

    Meurer: Bernhard Vogel, der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Vogel, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Vogel: Ich bedanke mich für Ihre Fragen. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.