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"Es geht der Szene darum, im Knast niemanden zu verlieren"

Schon seit vielen Jahren gebe es Berichte über Rechtsextremisten in Gefängnissen, die dort "wirklich fast Kaderschulungen durchlaufen", sagt der Publizist Toralf Staud. Sie kämen häufig ideologisch gefestigter und besser in die Szene integriert wieder heraus, als sie reingegangen seien.

Toralf Staud im Gespräch mit Bettina Klein | 11.04.2013
    Christiane Kaess: Nach den Enthüllungen über ein geheimes Neonazi-Netzwerk in deutschen Gefängnissen suchen Fahnder in mehreren Bundesländern nach weiteren Spuren. Neben der Haftanstalt im hessischen Hünfeld hatten in Bayern mehrere Gefangene in drei Justizvollzugsanstalten Kontakt zu dem Netz. Auch in der Vergangenheit hat es bereits solche Netzwerke gegeben. Meine Kollegin Bettina Klein hat gestern Abend mit dem Publizisten Toralf Staud gesprochen, der sich mit Rechtsextremismus beschäftigt. Sie hat ihn zuerst gefragt: Wie verbreitet sind solche Strukturen?

    Toralf Staud: Die sind sehr verbreitet, seit Jahren, man kann sagen, seit Jahrzehnten. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg ja schon die HIAG, dieses Hilfsbündnis von ehemaligen Waffen-SS-Leuten. Es hat dann die wohl bekannteste und am längsten aktive – bis zuletzt – Gruppe gegeben, die HNG, die Hilfsgemeinschaft Nationale Gefangene, seit 1979. Die hat wirklich laufend über die Jahre Rechtsextremisten jeder Couleur in den Knästen betreut.

    Bettina Klein: Wurde dann aber verboten!

    Staud: Sie wurde 2011 verboten, nachdem sie jahrzehntelang aktiv war. Man kann sicher sein, dass die Leute, die in der HNG diese Gefangenenarbeit gemacht haben, wie sie das nennen, also Briefe geschrieben haben, Päckchen gepackt haben, dass die jetzt weiter aktiv sind. Die werden ihre Aktivitäten nicht eingestellt haben.

    Klein: Wenn Sie sagen, die werden weiter aktiv sein und solche Strukturen seien nach Ihrem Eindruck auch verbreitet, da stellt sich natürlich sofort die Frage: Wird es eigentlich überhaupt nicht kontrolliert und beobachtet, was da passiert?

    Staud: Na ja, es gibt schon die Kontrollen in den JVA. Es gibt ja auch Briefkontrollen. Die NSU-Angeklagten, also Beate Zschäpe, da werden die ein- und ausgehenden Briefe natürlich gelesen, bei denen sicherlich auch schärfer als bei anderen Inhaftierten. Aber diese Kontrollen können auch umgangen werden. Es kommt immer wieder vor, dass Sachen ins Gefängnis geschmuggelt werden. Man hört immer wieder, dass sogar Handys ins Gefängnis geschmuggelt werden von Anwälten oder von Familienbesuchern. Es ist ein Leichtes, Nachrichten in einen Knast hineinzubekommen.

    Klein: Das heißt, Sie würden die Ursachen dafür, dass diese Netzwerke weiter existieren, in den Strukturen selbst sehen und weniger darin, dass Beamte oder Behörden da wegschauen?

    Staud: Ich denke, ganz verhindern kann man es nie, weil in den Gefängnissen herrscht eine hohe Fantasie unter den Häftlingen. Aber man könnte sicherlich mehr tun und es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Nachrichten darüber, dass nichts gemacht wurde. Dass es bisweilen wohl auch Gefängniswärter gab, die selbst rassistische Einstellungen hatten und vielleicht mit dem einen oder anderen Nazi sympathisierten. Häufig ist es wohl auch so, dass rechtsextreme Gefangene als pflegeleicht gelten, die sich mit besonders guter Führung hervortun, dann auch in der Gefängnisdruckerei arbeiten dürfen und da durchaus wohl auch die Sympathien so manches Wärters genießen.

    Klein: Weshalb sind dann Konsequenzen nicht bisher schon gezogen worden nach Ihrem Eindruck?

    Staud: Na ja, Konsequenzen werden immer mal gezogen. Solche Fälle von Knast-Netzwerken fliegen immer mal wieder auf. Erst vor ein paar Monaten - es hat damals kaum jemand mitbekommen – ist Ralf Wohlleben, ja ein Mitangeklagter von Beate Zschäpe, aus Thüringen vorzeitig schon nach München-Stadelheim verlegt worden, weil es ihm in Thüringen in der JVA gelungen war, so ein Netzwerk aufzubauen. Er hat Verbindungen nach draußen gepflegt. Das ist dann aufgeflogen, er ist verlegt worden. Wenn man es merkt, dann tun natürlich die Behörden schon was dagegen. Aber sie merken es gar nicht immer und die Öffentlichkeit interessiert sich nur in Ausnahmefällen dafür.

    Klein: Und interessiert sich im Augenblick ganz besonders dafür. Was ist Ihre Erklärung?

    Staud: Ich kann es mir nur durch den bevorstehenden NSU-Prozess, der ja nächste Woche beginnen soll, erklären. Berichte über Rechtsextremisten in Gefängnissen, die dort wirklich fast Kaderschulungen durchlaufen, die häufig ideologisch gefestigter und besser in die Szene integriert herauskommen, als sie reingegangen sind, die gibt es seit vielen Jahren. Aber so häufig interessiert sich dann die Öffentlichkeit oder die Politik dann eben doch nicht dafür.

    Klein: Aber noch mal nachgefragt an der Stelle. Welche Konsequenzen der Politik wären jetzt geboten aus Ihrer Sicht?

    Staud: Na ja, man sollte sicherlich in den Haftanstalten mehr Personal zur Verfügung stellen. Häufig liegt es daran, dass die Bediensteten nicht hinterherkommen. Man sollte sie besser ausbilden. Rechtsextremistische Propaganda zu erkennen, ist heute schwieriger als früher. Da kann in den Haftanstalten eine Menge gemacht werden. Aber häufig ist der Mainstream ja eher so, dass gespart wird, oder eben in den Knästen die Haftbedingungen verschärft werden, aus unpolitischen Gründen. Da genauer hinzuschauen und mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wäre schon mal ein großer Fortschritt.

    Klein: Wie genau kommunizieren denn diese Netzwerke untereinander und auch mit den Kontakten draußen?

    Staud: Ein Beispiel: diese Annoncen, die geschaltet werden. Aber dann gibt es die Briefe, die zwar gelesen werden, aber wo man natürlich Codewörter drin unterbringen kann. Die Briefe werden auch häufig nur flüchtig gelesen, überflogen. Wenn man vorher Schlüsselworte vereinbart hat, dann kann man das da sicher unterbringen. Noch viel häufiger sind es aber die Anwälte, die bei Neonazis ja häufig aus der Szene kommen, die zu Besuchen kommen und Informationen rein und raus bringen, oder Angehörige, Ehefrauen, Freundinnen. Besuche sind die häufigsten Kuriere.

    Klein: Herr Staud, müssen wir auch noch mal unterscheiden zwischen Netzwerken der NPD direkt und allgemeinen rechtsextremistischen Strukturen, die da aufgebaut werden?

    Staud: Auf jeden Fall! Nach meinem Eindruck wird viel zu häufig auf die NPD geschaut, weil es eine Partei ist und weil die Politik sich so sehr auf das NPD-Verbot konzentriert. Rechtsextremisten gibt es viel mehr außerhalb der NPD als innerhalb der NPD. Es sind Gewalttäter, es gibt gewalttätige Netzwerke, es gibt Skinhead-Netzwerke. Es gibt die autonomen Nationalisten, denen die NPD häufig noch zu lasch ist. Es gibt kulturelle Netzwerke, also Musikproduzenten, Kameraden, die Kleidung, Szenekleidung verschicken und davon leben. Diese Netzwerke jenseits der Partei NPD sind für die rechtsextreme Szene häufig wichtiger als die Partei selbst.

    Klein: Und wo liegt aus deren Sicht dann vor allem der Nutzen, eher auf der praktischen Seite, dass man es sich da ein bisschen netter macht im Gefängnis, oder geht es ganz klar um politische und ideologische Einflussnahme und auch Werben von neuen Mitgliedern?

    Staud: Wenn man diese Knast-Netzwerke anschaut, da ist es ganz genau beides: die praktische Lebensverschönerung, da werden Brieffreundschaften vermittelt von den einsamen Kameraden im Knast, damit sie außen jemanden haben, mit dem sie sich austauschen können, aber es geht auch um ideologische Schulungen. Es geht der Szene darum, im Knast niemanden zu verlieren, dass niemand isoliert wird und vielleicht ins Nachdenken kommt. Dass er wirklich in der Szene gehalten wird und häufig wie gesagt ideologisierter und gefestigter aus einem Knast herauskommt, als er reingegangen ist.

    Kaess: Meine Kollegin Bettina Klein im Interview mit dem Publizisten Toralf Staud.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.