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Es geht in Tunesien um einen "Machtkampf"

Es gehe in Tunesien um die Frage, in welche Richtung der Staat sich entwickelt, sagt Joachim Hörster von der deutsch-tunesischen Gesellschaft. Die meisten Bürger in Tunesien wollten eine "liberale Demokratie" und seien enttäuscht von der Ennahda-Partei, die versucht habe, ihre Alleinherrschaft zu etablieren.

Joachim Hörster im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.02.2013
    Mario Dobovisek: Unsere Collage über die Revolution in Tunesien, und am Telefon begrüße ich jetzt den CDU-Außenpolitiker Joachim Hörster, der sich seit Langem für die deutsch-tunesische Gesellschaft engagiert. Guten Morgen, Herr Hörster!

    Joachim Hörster: Guten Morgen!

    Dobovisek: Steht der demokratische Prozess in Tunesien vor dem Scheitern, Herr Hörster?

    Hörster: Es mag sich vielleicht etwas merkwürdig anhören, was ich jetzt sage, aber ich glaube, das, was jetzt in Tunesien stattfindet, ist sozusagen ein Hoffnungssignal, dass der demokratische Prozess doch nicht erledigt wird, sondern dass er von Neuem beginnt.

    Dobovisek: Worin sehen Sie Hoffnung, wenn die derzeitige Regierung ja ihr Militär massig aufmarschieren lässt?

    Hörster: Also das Militär marschiert ja gerade nicht auf, sondern es ist die Polizei, die aufmarschiert, und diese Polizei ist im Grunde genommen noch dieselbe wie zu Zeiten Ben Alis, weil hier keine Änderungen stattgefunden haben, hier hat es auch keine neuen Ausrichtungen gegeben, und deswegen ist das Ganze sehr fragwürdig und undurchsichtig. Das Militär hält sich aus diesen ganzen Betrachtungen heraus, denn das Militär möchte wohl in seiner übergroßen Zahl, dass Demokratie einkehrt.

    Dobovisek: Wie demokratisch ist denn in Tunesien die Ennahda-Partei?

    Hörster: Also ich glaube, die Ennahda-Partei hat einen schweren Fehler gemacht, indem sie das Vertrauen, das sie bekommen hat von den Wählerinnen und Wählern, dass sie eben nicht korrupt war, nicht mit Ben Ali verbandelt war, missbraucht hat und stattdessen versucht hat, eine Alleinregierung in die Hand zu bekommen, und das nehmen ihnen die Wähler übel.

    Dobovisek: Ein Flügel der regierenden Ennahda-Partei akzeptiert ja die Regeln der Demokratie, fördert sie klar, doch es gibt auch eine nicht geringe Zahl an Hardlinern. Die Opposition wirft ihnen vor, für den Mord an Belaid verantwortlich zu sein. Können Sie sich vorstellen, Herr Hörster, dass einige der Islamisten gegen die säkulare Opposition vorgehen, in welcher Form auch immer?

    Hörster: Ja, das kann ich mir sehr wohl vorstellen, weil es geht ja hier um einen wirklichen Machtkampf, und es geht um die Frage, in welche Richtung soll der tunesische Staat gehen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger in Tunesien wollen eine liberale Demokratie, und darauf haben sie gehofft. Und die Ennahda-Partei macht genau etwas anderes, sie versucht die Alleinherrschaft einer Partei zu etablieren, und das nehmen ihr die Wählerinnen und Wähler in Tunesien übel, und deswegen sagte ich zu Beginn, es ist auch ein Zeichen der Hoffnung, dass sich die Tunesierinnen und Tunesier das nicht gefallen lassen, was da stattfindet, und dass sie demonstrieren.

    Dobovisek: Wie weit würden Ihrer Einschätzung nach die Islamisten, darunter ja auch Salafisten, gehen in Tunesien?

    Hörster: Oh, die gehen ziemlich weit. Die Salafisten auf jeden Fall, wir haben ja die Fälle gehabt, wo man gegen Kinos oder andere Kultureinrichtungen vorgegangen ist, die Salafisten haben sie gestürmt, beschädigt, demoliert, und die Polizei hat daneben gestanden und hat in eine andere Richtung geguckt und hat gar nicht wahrgenommen, oder wahrnehmen wollen, was da passiert ist. Also von daher gesehen ist der Wille, den Staat in die Hände zu bekommen, doch sehr stark ausgeprägt.

    Dobovisek: Hätte sich Europa, hätte sich Deutschland mehr um die Demokratisierung in Tunesien bemühen müssen?

    Hörster: Also ich glaube schon, dass wir uns sehr um Demokratisierung bemüht haben, wir haben auch alle möglichen Hilfen angeboten, aber bei einem solchen Prozess muss man auch zugestehen, dass es eine Angelegenheit der Tunesier selbst ist, wie sie sich das organisieren. Und dabei haben wir, wo immer möglich und gewünscht, geholfen, aber wir können natürlich nicht sozusagen die Roadmap für die Tunesier vorschreiben.

    Dobovisek: Aber hat das ausgereicht, was bisher geleistet worden ist, wenn zum Beispiel Angela Merkel nun sagt, wir müssen diese Unterstützung ausdehnen?

    Hörster: Ja, nun wird die Angela Merkel nach den gegenwärtigen Zeitplänen, ich weiß nicht, ob sie noch aufrechterhalten werden, einen Besuch in Tunesien machen, und dann wird sie mit den Tunesiern ganz Klartext reden darüber, was gemacht werden muss, damit eine tolerante Demokratie entsteht. Also ich glaube schon, dass wir auf der Höhe der Zeit sind.

    Dobovisek: Wie müsste künftig die Unterstützung Deutschlands und der Europäischen Union aussehen, jenseits der Worte?

    Hörster: Also jenseits der Worte findet ja durchaus Unterstützung statt. Man kann ja nicht so tun, als ob gar nichts geschehen würde. Das Hauptproblem ist aber, dass man Verfassungen nicht essen kann, sondern dass wir eine wirtschaftliche Entwicklung brauchen, die Tunesien nach vorne bringt, die die Arbeitslosigkeit bekämpft, die der Jugend wieder eine neue Perspektive eröffnet, und das ist das Hauptproblem, und da helfen wir, wo es geht, und wir wollen auch Investitionen entsprechend unterstützen, aber wir können das Problem alleine auch nicht lösen, das müssen die Tunesier selbst mit machen.

    Dobovisek: Nun schlägt der Regierungschef in Tunesien eine Regierung mit parteilosen Experten vor. Ist das ein tatsächlicher Ausweg oder bloß ein Feigenblatt?

    Hörster: Also es ist zumindest das Eingeständnis, das mit der rein Ennahda-orientierten Regierung das Ganze nicht zu lösen ist, und dass nach anderen Wegen gesucht werden muss. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, die parteilosen Experten seien das Heil, aber man müsste dann mal sehen, wen er vorschlägt.

    Dobovisek: Müsste es Neuwahlen geben?

    Hörster: Wahrscheinlich würde das die Sache sehr befrieden.

    Dobovisek: Auch in Ägypten gehen die Proteste ja weiter, jetzt in der vergangenen Nacht wurden wieder 120 Menschen verletzt. Droht Tunesien eine ähnliche Islamisierung und eine ähnliche anhaltende Protestwelle wie in Ägypten?

    Hörster: Also ich möchte noch mal betonen, der Umstand, dass es diese Demonstrationen gibt, sowohl in Tunesien als auch in Ägypten, bedeutet ja, dass diejenigen, die eine tolerante Demokratie in diesen Ländern haben wollen, noch nicht aufgegeben haben, sondern sie wehren sich dagegen, dass die Islamisten die Macht übernehmen und ihre gesellschaftlichen Vorstellungen auf das Ganze Land ausbreiten. ich glaube, deswegen muss man das ein bisschen von doppelter Seite aus sehen, was dort stattfindet. Es ist auf der einen Seite ein Zeichen größter Krisenhaftigkeit, auf der anderen Seite ist es aber auch ein Zeichen, dass diejenigen, die Demokratie und Toleranz wollen, noch nicht aufgegeben haben.

    Dobovisek: Joachim Hörster für die CDU als Außenpolitiker im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!

    Hörster: Bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.