Mittwoch, 24. April 2024

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"Es geht nicht um Namen"

"Was man diskutieren müsste und was wieder nicht diskutiert wird, ist die Frage: Was ist die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Person", kritisiert Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, an der IWF-Personalsuche. Und er fordert, dass auch Kandidaten aus Schwellenländern eine Chance haben.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Christian Bremkamp | 21.05.2011
    Christian Bremkamp: Fast eine Woche saß er im Gefängnis wegen Vergewaltigungsvorwürfen, gestern nun konnte er seine Zelle gegen ein Apartment in Manhattan eintauschen. Für seine vorübergehende Freilassung musste Dominique Strauss-Kahn umgerechnet 700.000 Euro Kaution in bar hinterlegen. Wirklich frei bewegen kann sich der frühere IWF-Chef deswegen dennoch nicht, eine Sicherheitsfirma wird jeden seiner Schritte rund um die Uhr überwachen. Und in der besagten Wohnung sollen Videokameras installiert sein. Der nächste Gerichtstermin für Strauss-Kahn ist für den 6. Juni anvisiert, das Rennen um seine Nachfolge derweil längst eröffnet.

    Am Telefon begrüße ich jetzt Heiner Flassbeck, der Wirtschaftswissenschaftler war Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ist Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, kurz UNCTAD. Guten Morgen, Herr Flassbeck!

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Bremkamp: Die Suche nach einem Nachfolger beziehungsweise einer Nachfolgerin für Dominique Strauss-Kahn läuft – muss es wirklich jemand aus Europa sein?

    Flassbeck: Nein, dafür spricht nichts. Europa, das nun seit Beginn an besetzt und warum sollte man nicht wechseln. Es ist traditionell so gewesen, aber es spricht sachlich nichts dafür.

    Bremkamp: Warum? Warum spricht dafür nichts?

    Flassbeck: Na ja, weil der IWF jetzt gerade mal seit ein paar Jahren wieder seine Hauptkunden sozusagen in Europa hat, aber die ganzen Jahre vorher hatte Europa praktisch mit dem IWF nichts zu tun. Der IWF war weltweit zuständig, ist weltweit zuständig und hat sich vor allem um Krisen in Entwicklungsländern gekümmert. Und insofern ist diese Geschichte mit Europa eine reine Tradition, aber hat keine sachliche Begründung.

    Bremkamp: Hoch gehandelt wird derzeit die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Berlin, Paris, Rom und Stockholm haben bereits Zustimmung signalisiert – ein Name, mit dem Sie leben könnten?

    Flassbeck: Na ja, es geht nicht um Namen. Natürlich kann ich damit leben, aber das ist ja nicht der Punkt. Was man diskutieren müsste und was wieder nicht diskutiert wird, ist die Frage: Was ist die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Person, die wir da haben wollen? Was wollen wir überhaupt im Fonds ändern? Strauss-Kahn hat ja einiges in Bewegung gesetzt, hat versucht, da ein bisschen die Richtung zu ändern – obwohl da sicher nicht so ganz viel rausgekommen ist, aber immerhin hat er es versucht. Und das wäre eine zentrale Frage: Was soll der IWF in Zukunft tun? Wie soll unser Weltwährungssystem aussehen? Wir diskutieren da in G-20 gerade sehr heftig die Zukunft des internationalen Währungssystems. Und ich verstehe überhaupt nicht, dass die Politik sich jetzt wieder auf Namen stürzt, ohne die Frage zu stellen, ja, was ist eigentlich das Profil der Person, die man da braucht.

    Bremkamp: Zur Zukunft des IWF würde ich gerne gleich noch kommen, aber zunächst die Frage: Hat es Sie überrascht, dass Kanzlerin Merkel nicht auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus Deutschland gepocht hat?

    Flassbeck: Na ja, überrascht hat es mich eigentlich nicht, denn Deutschland hatte ja nun mit Horst Köhler vor einiger Zeit die Spitze des IWF besetzt. Ich hätte mir eher vorgestellt, dass man über andere Länder jetzt – wenn schon Europa, wenn Europa –, dass man dann mal über andere Länder nachdenkt, weil Frankreich hat ja nun, ich glaube, fast alle Jahre sozusagen diese Position besetzt, also in unheimlich vielen der Gesamtjahre, ich weiß es nicht ganz genau, aber jedenfalls sehr oft. Und Deutschland war eigentlich nicht an der Reihe, es hätte können auch jemand ganz anderes sein. Aber wie gesagt, es geht nicht in erster Linie meines Erachtens um Namen, man muss ein neues Verfahren finden, man muss auch ein objektives Verfahren finden, bei dem die anderen Länder eine Chance haben mitzusprechen.

    Bremkamp: Andere Länder, denn Sie haben es eben schon angedeutet, der IWF ist ja nicht ausschließlich für die Größten der Großen da – wäre es einen Versuch wert, vielleicht einen Kandidaten, eine Kandidatin aus einem ganz anderen Land aufzustellen, Stichwort Schwellenländer?

    Flassbeck: Natürlich, absolut. Der IWF ist vor allem für diese Länder zuständig. Was der IWF in Europa, in den USA macht, war bis jetzt, vor der Eurokrise sozusagen, war das eine wirklich nicht ernsthafte Beschäftigung mit diesen Ländern. Er hat Berichte geschrieben. Aber wo es wirklich zur Sache ging, das war in den Entwicklungsländern, da, wo Finanzkrisen aufgetreten sind, in Asien, Lateinamerika und so weiter, wo sich übrigens der IWF nicht mit Ruhm bekleckert hat, muss man auch sagen. Wie ich glaube auch, dass er in Europa einige Fehler machte, obwohl Europa, die Europäer, glaube ich, die Fehler selbst machen, wie man in Griechenland und woanders sieht. Aber ...

    Bremkamp: Aber welche Fehler macht denn der IWF in Europa?

    Flassbeck: Bitte?

    Bremkamp: Welche Fehler macht denn der IWF in Europa?

    Flassbeck: Na ja, diese gesamte Anpassungsgeschichte, die man mit Griechenland gemacht hat. Jetzt sieht man ja, dass es nicht funktioniert. Man hat Länder mitten in der Rezession gezwungen, zu sparen, was wir wussten, dass es nicht funktioniert, denn in Deutschland haben wir das nicht gemacht. Aber andere Länder hat man gezwungen, das zu tun, und jetzt wundert man sich, dass da nichts rausgekommen ist. Und jetzt sagt man, jetzt müsst ihr das Gleiche wieder machen. Und das kann nicht funktionieren. Dass die Leute dort auf die Straße gehen, ist kein Wunder. Also das ist alles nicht so toll gewesen. Und insofern, wie gesagt, muss man ernsthaft drüber nachdenken, mal jemand zu nehmen, der Erfahrung in diesen Geschichten hat. Und das sind in erster Linie Menschen aus den Entwicklungsländern, die selbst durch solche Situationen gegangen sind, die wissen, wie brutal die Anpassung, wie falsch sie manchmal ist. Und da, finde ich, diese Variante könnte gerade Deutschland mit nach vorne tragen.

    Bremkamp: Wer könnte das sein, fällt Ihnen ein Name ein?

    Flassbeck: Na ja, ich will jetzt nicht über Namen reden, aber es gibt sicherlich sowohl in Afrika wie in Asien profilierte und auch durchaus anerkannte Kandidaten, die dazu in der Lage wären, das zu machen. Man muss ja immer sehen, es ist ja nicht, der Mann ist ja nicht der IWF, der IWF ist eine Rieseninstitution. Es muss jemand sein mit einer Vision, mit neuen Ideen, und er muss versuchen, diese Rieseninstitution ein bisschen zu bewegen. Wie gesagt, das ist schon schwierig genug. Es kommt jetzt nicht darauf an, hier einen Künstler zu finden, der alles kann, das ist vollkommen unmöglich. Aber wichtig wäre eben die Vision, die der Mensch hat. Und die Idee für die Zukunft des Weltwährungssystems.

    Bremkamp: Welche Visionen, welche Ideen wären denn nötig Ihrer Meinung nach?

    Flassbeck: Na ja, ich sagte vorhin ja schon, es wird jetzt im Rahmen G-20 zum ersten Mal seit 40 Jahren ungefähr ernsthaft diskutiert, wie das Weltwährungssystem aussehen könnte, weil man gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern gesehen hat, dass das nicht funktioniert. Man kann die Währung, die Wechselkurse nicht einfach dem Markt überlassen, es geht dauernd in die falsche Richtung. Brasilien ist ein klassischer Fall. Und das wird ernsthaft diskutiert. Da muss man Ideen entwickeln. Und die gibt es auch schon, die muss man weiterführen, wie man diese Fehlentwicklung durch den Finanzmarkt, durch die Spekulation mit Währungen, wie man das beseitigen kann, wie man das eindämmen kann, indem man nämlich global dafür sorgt zum Beispiel, dass diese Währungen den Fundamentaldaten relativ rasch folgen, also nicht erst über Jahre sozusagen Gleichgewicht immer wieder hergestellt wird, sondern man kann das praktisch Tag für Tag machen.

    Bremkamp: Ideen gibt es, sagen Sie, auch schon im IWF, sprich: Ist der IWF vom Inneren her auch auf Veränderungen vorbereitet?

    Flassbeck: Ja, das ist die entscheidende Frage vielleicht am Ende. Da würde ich sagen, mein Eindruck ist da von vielen Gesprächen mit den Kollegen und auch selbst mit Teilnahme an den Tagungen des IWF, gerade wieder in Washington, ist gemischt. Es gibt sicherlich Leute, die sehen, dass sich etwas ändern muss, aber es gibt sicherlich auch eine große Beharrungsfraktion sozusagen, die man erst überwinden muss, wenn man wirklich etwas ändern will. Also machen wir uns nichts vor, die Frage etwa Weltwährungssystem oder auch Rohstoffspekulation ist auch ein Thema in den G-20, da kann man nicht sagen, dass der IWF sozusagen der Pionier der neuen Gedanken ist.

    Bremkamp: Kurze Frage zum Schluss: Kann es vielleicht sein, dass Europa auch deswegen diesen Chefposten behalten will, weil sich eben nichts ändern soll?

    Flassbeck: Ja, das ist durchaus möglich, das ist durchaus möglich. Traurig, kann man da nur sagen. Wenn man selbst sieht, wenn man gerade mit seinem eigenen Währungssystem in solchen Schwierigkeiten ist, sollte man doch einen Moment innehalten und überlegen, was hab ich falsch gemacht. Und was kann ich eigentlich tun, damit wir wenigstens global ein Schrittchen in die richtige Richtung weiterkommen.

    Bremkamp: Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung UNCTAD. Herzlichen Dank für das Gespräch!

    Flassbeck: Bitte sehr!