Donnerstag, 25. April 2024

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"Es geht um das Ansehen Europas"

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat die EU-Länder aufgefordert, in der Debatte über die Finanzierung der Gemeinschaft nationale Interessen hintan zu stellen. Bei den Verhandlungen auf dem Gipfeltreffen in Brüssel gehe es nicht nur um das Budget, sondern auch um das Ansehen Europas in der Öffentlichkeit, sagte Asselborn. Der permanente Spagat zwischen europäischen und nationalen Interessen müsse ein Ende haben.

Moderation: Bettina Klein | 17.06.2005
    Bettina Klein: Es war einmal ein historischer Tag für Europa. Damals vor zwei Jahren am 13. Juni 2003 billigte der Konvent den gemeinsamen Entwurf für eine EU-Verfassung, ein Ergebnis nach äußerst zähen kontroversen Verhandlungen, die 16 Monate währten. Ein historischer Tag - so muss man wohl sagen -, das war einmal, denn die EU-Verfassung wird zunächst nach zwei ablehnenden Voten erst einmal auf Eis gelegt. Das ganze nennt sich Zeit zum Nachdenken für die Länder. Der Ratifizierungsprozess bekommt auf diese Weise mehr Zeit. Das ist ein Ergebnis des EU-Gipfels in Brüssel.

    Die Frage, wie die Finanzplanung aussehen soll, der andere aktuelle und kurzfristig brisantere Streitpunkt vielleicht sogar noch, ist weiterhin nicht geklärt. Darum wird heute und wohl auch morgen noch weiter gerungen.

    Jean Asselborn ist Außenminister von Luxemburg. Luxemburg, das zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat und deshalb natürlich eine Hauptrolle als Vermittler spielt. Die Beratungen und Vorgespräche gehen heute Morgen auch weiter. Deshalb freue ich mich sehr, dass Jean Asselborn für uns Zeit gefunden hat für ein Interview. Schönen guten Morgen nach Brüssel.

    Jean Asselborn: Guten Morgen.

    Klein: Sie kommen derzeit gerade aus Verhandlungen und Gesprächen. Sagen Sie uns: wie steht es um einen Kompromiss in Sachen Finanzplanung?

    Asselborn: Es ist jetzt 7:15 Uhr hier in Brüssel. Schon um 8 Uhr werden wir wieder bilaterale Gespräche führen. Sie wissen, in Sachen Finanzplanung gibt es vielleicht zwei Dinge zu beobachten. Das erste ist: jeder sagt, dass die Briten sich etwas einfallen lassen müssen, dass wir sie bewegen müssen das einzusehen. Darum werden wir heute Morgen vor der Sitzung auch noch ein Gespräch führen mit Tony Blair. Das ist eine Sache. Ich glaube, dass die Briten in der Strategie selbstverständlich bis jetzt ihre Position verteidigt haben, aber dass hier Bewegung machbar ist. Ich bin sehr, sehr vorsichtig. Aber das ist nicht alles. Wenn wir hier Bewegung hätten, gibt es andere Länder, die noch sehr viele Schwierigkeiten haben mit unserem Vorschlag. Ich denke zum Beispiel an die Holländer. Ich denke aber auch vielleicht an die Schweden. Ich denke an die Italiener und die Portugiesen und die Spanier. Und das geht nicht unbedingt in eine Richtung.

    Was ich Ihnen sagen kann das ist, dass der Umfang der Gesamtausgaben, der ungefähr bei 870 Milliarden liegt, was ungefähr 1,056% des nationalen Bruttoeinkommens in der Europäischen Union entspricht, glaube ich steht. Bei allem anderen im Inneren dieses Umfanges haben wir noch viel Arbeit zu tun. Ich hoffe, dass der heutige Tag ein fruchtbarer Tag wird, denn heute geht es nicht nur um ein europäisches Budget. Es geht glaube ich um das Ansehen Europas in der europäischen Öffentlichkeit.

    Klein: Schwierige Verhandlungen, Dissens, das ist der Stand, den wir seit Tagen und Wochen ja kennen. Wenn Sie eine vorsichtige Prognose wagen, wo sähen Sie am ehesten eine Kompromisslinie?

    Asselborn: Ich sehe sie, wenn alles so gehen würde, wie wir uns das vorstellen, dass Großbritannien sich bewegt, dass dann eine Dynamik entsteht, wo jeder einsieht, dass eine Lösung machbar ist, dass dann diese Blockierungen vielleicht fallen und dass wir dann ein Land wie Holland auch überzeugt bekommen nach diesem katastrophalen Referendum, sagen wir auch das Europäische in den Reflexen ihrer Politik wieder zu entdecken.

    Klein: Macht Sie das besorgt, dass ein so großes historisches Projekt wie Europa doch wiederum und in diesen Tagen ganz besonders sehr, sehr stark hängt an vielen nationalen Interessen und Eigenheiten, die irgendwie nicht miteinander kompatibel scheinen und vielleicht auch nicht gerade für Vertrauen bei den Bürgern sorgen?

    Asselborn: Ja, Sie haben ganz Recht. Ich glaube dieser permanente Spagat zwischen EU-Interesse und nationalem Interesse wird immer mehr auf Kosten Europas ausgetragen. Auch ein europäischer Gipfel ist nicht wie ein Fußballspiel, Liverpool gegen Madrid oder Frankreich gegen Großbritannien. Auf jedem Gipfel in den letzten Jahren war ein Sieger und viele Verlierer. Das Nationale ist Trumpf. Wenn man das Nationale verteidigt bekommt, hat man einen Erfolg. Das Europäische ist ein Input. Wenn man etwas gibt, dann ist das schon ein Misserfolg. Das müssen wir aus der Welt schaffen. Sie haben ganz, ganz Recht. Ich glaube das Bild, was auch wir Politiker von diesem Europa abgeben, da müssen wir uns sehr ernste Fragen stellen.

    Klein: Gesetz den Fall, Sie schaffen heute nicht den Durchbruch, welches Druckmittel haben Sie denn noch, um eine Einigung irgendwann dann hinzubekommen?

    Asselborn: Ich glaube unsere Aufgabe als Präsidentschaft ist es: Sollte es nicht gelingen, zu einem Akkord zu kommen, woran ich noch immer glaube, dann haben wir ein Papier auf den Tisch gelegt und ich kann mit Ihnen wirklich eine Wette eingehen, dass dieses Papier, was wir hinterlegen, bei der kommenden Präsidentschaft eine Einstimmigkeit finden wird. Wir haben alles ausgelotet. Wir haben die Ein-Prozent-Länder, wir haben die Kohäsionsländer, wir haben den britischen Scheck nicht abgeschafft, sondern wir wollen ihn auf einem sehr anständigen Niveau einfrieren. All das und was wir heute noch alles tun - wir haben ja vielleicht noch einige Karten in unserer Tasche - bedeutet, diese Arbeit war bestimmt nicht umsonst.

    Klein: Noch Karten in der Tasche. Das heißt es könnte noch eine Überraschung geben, dass Sie noch einen Joker vorweisen können, der am Schluss die Einigung möglich macht?

    Asselborn: Wir brauchen Joker wissen Sie, um ganz einfache Sachen zu regeln, um die Zusammenhänge sagen wir gut darzustellen und auch mit Argumenten die Länder zu überzeugen, dass sie sich bewegen müssen. All das wird auf dem Tisch liegen und ich glaube das ist auch die Arbeit unserer Präsidentschaft. Aber ich glaube das Datum ist wichtig, nicht wer das macht, ob das Luxemburg, England oder Österreich ist. Wir haben Programme beschlossen in der Kommission, im Parlament. All das muss vorangetrieben werden, wenn wir dieses Europa voranbringen wollen. Alles ist blockiert, wenn wir keine Lösung heute finden. Ich glaube unter englischer Präsidentschaft wird es dann sehr, sehr schwer werden, denn Sie wissen warum.

    Klein: Zeit zum Nachdenken haben Sie jetzt nicht mehr sehr viel. Zeit zum Nachdenken hat sich die EU verordnet in Sachen Verfassungsreferendum. Von dieser Zeit kann man eigentlich nicht genug haben, aber war das für Sie wirklich das ultimative Ergebnis jetzt in dieser Frage?

    Asselborn: Wissen Sie, keiner hat gestern Abend den Tot der Verfassung gefragt. Ein Land hätte das tun können. Diese Möglichkeit hat weder Frankreich noch Holland benutzt. Im Gegenteil ich glaube schon, dass trotzdem der Aufruf, die Prozeduren weiter zu führen mit dem großen Ziel, einmal eine Verfassung zu haben, an sich nicht negativ ist. Das ist ja wirklich positiv. Eine Evidenz können wir nicht aus der Welt schaffen. Wir müssen ihr Rechnung tragen. Wir brauchen jetzt mehr Zeit. Das Datum des Inkrafttretens einer möglichen Verfassung ist nicht der 1.1.2007.

    Was wir gestern auch gesagt haben, dass jedes Land weiter ratifizieren soll, aber für sich herausfinden soll, wann es das macht und wie es das macht. Im Juni 2006 soll dann der Pegel gemessen werden. In dieser Phase, die Sie ja auch Reflexionsphase, Dialogphase genannt haben, sind wir gefordert in Europa, in Brüssel, aber auch in den Nationalstaaten. Manche glauben ja, dass die Leute in Frankreich und Holland nur aus innenpolitischen Gründen Nein gesagt haben. Nein, auch weil sie dieses Europa wie es jetzt ist nicht verstehen. Wir müssen also diese Projektion fertig bringen: wie sieht ein neues Europa mit einer Verfassung aus. Da sind wir wirklich als Politiker gefordert, uns als erstes den Menschen zu stellen, zweitens die Zusammenhänge anders zu erklären und dann das, was ich am Anfang gesagt habe, müssen wir diesen permanenten Spagat vergessen.

    Klein: Aber was macht Sie so sicher, dass wir in einem Jahr eine andere Situation, eine andere Auffassung der Bürger, eine größere Überzeugung der Bürger haben für diese Verfassung?

    Asselborn: Ich glaube wir müssen den Bürgern auch wieder sagen, dass Europa ja für den Westen nach dem Krieg entstanden ist. Ich will nicht pathetisch werden, aber der Frieden war doch etwas Gewaltiges. Wir haben dann den Frieden im Osten Europas geschaffen. Heute müssen wir auch Frieden auf dem Balkan schaffen. Europa ist ein Friedensprojekt. Europa muss jetzt glaube ich auch ein besseres Projekt des sozialen Fortschritts, der sozialen Sicherheit werden und auch international muss die Solidarität dieses Projekts Europa besser zum Vorschein kommen. Wir müssen den Sinn und den Zweck Europas verdeutlichen. Den hat man verstanden nach dem Zweiten Weltkrieg, aber ich glaube heute versteht man den nicht mehr richtig, weil wir ihn nicht mehr richtig erklärt haben.

    Klein: Wir werden ihn erklären müssen, weiterhin uns darum bemühen. - Vielen Dank! Das war Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg, live direkt vom EU-Gipfel in Brüssel.