Dienstag, 23. April 2024

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"Es geht um Eingriffe in die Pressefreiheit insgesamt"

Seit Tagen protestieren Dutzende Journalisten in der südchinesischen Stadt Guangzhou für mehr Rede- und Pressefreiheit. Anlass war ein von Regierungszensoren umgeschriebener Leitartikel im beliebten liberalen Blatt "Nangfang Zhoumo". Doch inzwischen geht es um Zensur und Gängelung der Presse insgesamt. Die staatlichen Medien kommentierten den Protest scharf.

Ruth Kirchner im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 08.01.2013
    "In China gibt es keine sogenannte Nachrichtenzensur. Die chinesische Regierung schützt die Freiheit der Medien entsprechend der Gesetze und respektiert die Wächterrolle der öffentlichen Meinung durch die Medien und die Bürger."

    Stefan Koldehoff: Na, dann ist doch eigentlich alles gut. Die Sprecherin des Außenministeriums in Peking war das, gestern Abend. Und ihr Statement kam nicht ohne Grund, denn die zitierten "Bürger" scheinen die Sache mit der Pressefreiheit durchaus anders zu sehen. In der Provinz Guang Zhou versammelten sich gestern mehrere Hundert Demonstranten vor dem Verlagsgebäude der beliebten Wochenzeitung "Nangfang Zhoumo" mit Schildern, auf denen unter anderem Stand: "Meinungsfreiheit ist kein Verbrechen". Sie protestierten damit gegen eine radikale Umgestaltung der Neujahrsausgabe durch den staatlichen Oberzensor der Provinz. Und: rund 100 Redakteure der liberalen Zeitung blieben aus Protest einfach zu Hause. - Unsere China-Korrespondentin Ruth Kirchner habe ich vor der Sendung gefragt, ob die Demonstrationen heute weitergegangen sind.

    Ruth Kirchner: Auch heute hat es eine Reihe von Protesten gegeben. Ich habe vor unserem Gespräch mit Leuten in Guang Zhou gesprochen, es waren 50 bis 100 Demonstranten auch heute wieder vor der Zentrale der Zeitung und haben ein Ende der Zensur gefordert.

    Koldehoff: Natürlich gibt es bei so was dann auch immer eine offizielle Sprachregelung. Die lautete: Die Redakteure haben von zu Hause gearbeitet. Was gab es denn für Reaktionen seitens der staatlichen Behörden?

    Kirchner: Bislang hat man diese Demonstranten gewähren lassen. Aber es ist schon interessant zu sehen, wie die staatlichen Medien jetzt reagieren. In der "Huanqiu Shibao", auf Englisch "Global Times" – die hat eine chinesisch- und eine englischsprachige Ausgabe -, gab es heute einen doch sehr scharfen Kommentar, in dem die Journalisten kritisiert wurden. Da hieß es, angesichts der derzeitigen politischen Realitäten sei es unrealistisch, dass es in China Pressefreiheit geben werde, von der einige Aktivisten träumten, und es hieß, radikale Reformen, gemeint ist wiederum eine Abschaffung der Zensur, sei unrealistisch. Und ich habe eine Direktive gesehen, die aus dem Propagandaministerium stammen soll, also hier direkt aus Peking, wobei man natürlich vorsichtig sein muss, ob das nun tatsächlich die eigentliche Anweisung ist, aber da heißt es, alle Medien müssten sich darüber klar sein, dass die Kontrolle der Partei über die Medien nicht zur Diskussion stehe, und es gebe ausländische feindliche Mächte, die jetzt den Streit bei der Nangfang Zhoumo anheizen wollen. Also eine klare Richtungsvorgabe, dass man das Ganze in die Schranken weisen will und dass man auf jeden Fall verhindern will, dass sich jetzt eine größere Debatte über die Zensur in China entwickelt.

    Koldehoff: Zu diesen feindlichen Kräften zählen wir dann wahrscheinlich mit diesem Gespräch auch. Haben denn die Demonstrierenden und die Redakteurinnen und Redakteure direkte Konsequenzen zu befürchten?

    Kirchner: Da muss man zunächst mal abwarten. Das ist in China häufig nicht so, dass da direkt dann die Polizei eingreift. Das passiert häufig eine Woche, einen Monat, zwei Monate später, dass dann bestimmte Leute abgesetzt werden, dass vielleicht bestimmte Chefredakteure oder leitende Redakteure ausgetauscht werden, dass Journalisten ihre Jobs verlieren. Also da ist ganz sicherlich das letzte Wort noch nicht gesprochen.

    Koldehoff: Frau Kirchner, was entnehmen Sie dem, was da gestern und heute geschehen ist in Guang Zhou? Ist das der Beginn, na ja, zumindest einer kleinen Emanzipationsbewegung in der Presse, oder wird das ein Strohfeuer bleiben?

    Kirchner: Nun, es ist sicherlich so, dass die Nangfang Zhoumo eine besondere Zeitung ist, eine Zeitung, die dafür bekannt ist, dass sie immer wieder versucht hat, mehr Freiräume für Journalisten zu schaffen, eine sehr angesehene Zeitung, die als integer gilt, als sehr liberal und die schon lange immer wieder auch natürlich mit den Zensoren zu kämpfen hatte. Aber was interessant ist, dass es eigentlich nicht mehr nur um diese Zeitung geht, sondern es geht insgesamt um die Eingriffe in die Pressefreiheit und dass es zunehmend hier Stimmen gibt, die sagen, wir haben uns als Land wirtschaftlich so weit entwickelt, wir sind eine viel modernere Gesellschaft geworden, da ist es eigentlich völlig unangemessen, dass wir immer noch so von den Behörden gegängelt werden. Das hat mit einer so emanzipierten Gesellschaft wie der modernen chinesischen eigentlich nichts mehr zu tun und passt nicht mehr in diese Zeit, und da treffen natürlich die Liberalen, Intellektuellen und Akademiker, die jetzt alle die "Nangfang Zhoumo" unterstützen, und, ich sage mal, die Parteikader und die alten Betonköpfe in der kommunistischen Partei sehr unversöhnlich aufeinander.

    Koldehoff: Welche Kraft haben denn dann noch Direktiven wie die, die Sie gerade zitiert haben?

    Kirchner: Nun ist es so, dass dieser Kommentar aus der Global Times heute bereits von einer ganzen Reihe von Online-Websites nachgedruckt wurde. Man muss damit rechnen, dass auch morgen eine ganze Reihe von Zeitungen diesen Kommentar nachdrucken werden. Das stand in dieser Direktive eben drin, dass sie alle diesen Kommentar nachdrucken sollen. Das wird dann schon noch befolgt, weil die Konsequenzen für Journalisten doch sehr unangenehm sein können und sicherlich nicht jeder bereit ist, sich hier in die Dissidentenecke zu bewegen oder seinen Job zu riskieren. Da steht für viele Menschen viel zu viel auf dem Spiel.

    Koldehoff: Ruth Kirchner war das, unsere Korrespondentin in Peking.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.